Ein starker Finanzmarkt braucht eine starke Aufsicht
Der Finanzplatz Frankfurt am Main ist stark und attraktiv. Sein Name fällt in den weltweiten Finanznachrichten oft in einem Atemzug mit Städten wie New York, London, Zürich oder Singapur. Und wer „Frankfurt“ sagt, meint damit oft den gesamten deutschen Finanzmarkt, wobei der sich bekanntlich über das gesamte Land erstreckt. Einen Teil seiner Bedeutung schöpft Frankfurt aus den Institutionen, die dort im Laufe der vergangenen Jahrzehnte angesiedelt worden sind: 1948 die Bank deutscher Länder, 1957 die Deutsche Bundesbank, 1995 das Bundesamt für den Wertpapierhandel, eine der drei Vorgängerbehörden der BaFin, 1998 die Europäische Zentralbank, 2002 die Wertpapieraufsicht der BaFin, 2011 die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und bald auch das International Sustainability Standards Board.
Frankfurt ist also auch eine Stadt der Finanzaufsicht. Dieser Zusammenhang ist mehr als nur symbolisch: Ein starker Finanzplatz braucht eine starke Aufsicht, die – auf Basis angemessener und transparenter Regeln – dazu beiträgt, dass das Finanzsystem trotz aller Verwundbarkeiten seine gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Funktionen verlässlich und nachhaltig erfüllen kann. Diese Aufsicht bringt – bei aller räumlichen Nähe – die nötige Unabhängigkeit mit sich.
Für Transparenz sorgen
Ein starker Finanzplatz, oder besser noch: Finanzmarkt, braucht nicht nur eine starke unabhängige Aufsicht. Er braucht auch die kritische Beobachtung durch unabhängige Medien wie die Börsen-Zeitung, die mit ihren Recherchen und Berichten für Transparenz sorgen – und, wenn es ihnen gelingt, Fehlentwicklungen und Skandale aufzuzeigen, auch für sauberere Verhältnisse.
Ein starker Finanzplatz braucht also eine starke, unabhängige Aufsicht und kritische mediale Beobachtung. Aber sein Motor ist Innovation. Der wiederum darf Aufsicht nicht im Wege stehen. Im Gegenteil: Aufsicht muss Innovation kompetent begleiten.
Innovation heißt derzeit vor allem eines: Digitalisierung. Sie bringt im Eiltempo immer wieder neue Anwendungen, Prozesse und Produkte hervor; die Covid-19-Pandemie wirkt hier wie ein Katalysator. Manche hängen der Digitalisierung das Etikett „disruptiv“ an, andere halten sie für „schöpferisch zerstörend“. Die Zeitungsbranche kann davon ein Lied singen. Fest steht: Die Digitalisierung bricht die klassischen Wertschöpfungsketten der Finanzindustrie zusehends auf und bringt neue Geschäftsmodelle hervor.
Auslagerungen überwachen
So lagern Banken und Versicherer – auch wegen des zunehmenden Kosten- und Ertragsdrucks – Teile ihrer Wertschöpfungskette an externe Dienstleister aus – zum Beispiel an Cloud-Anbieter. Das bringt Effizienzgewinne und Skalierbarkeit mit sich. Aber Auslagerungen müssen auch überwachbar sein. Hinzu kommen Konzentrationsrisiken: Einige der Dienstleister, auf die die Unternehmen des Finanzsektors auslagern, haben sehr viele Mandanten. Fällt ein solches Dickschiff aus, kann es Teile des Finanzmarktes mit sich reißen und sogar die Finanzstabilität in Gefahr bringen.
Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung reagiert: Dank des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG), das im Juli 2021 in Kraft getreten ist, kann die BaFin nun unmittelbar auf Auslagerungsunternehmen zugreifen. Und das tun wir auch. Außerdem kann die Aufsicht nun dank neuer Meldepflichten Auslagerungen und deren Konzentrationsrisiken besser erfassen.
Die Digitalisierung hat ein weiteres Phänomen hervorgebracht, das die BaFin umtreibt: Kryptowerte, die meist auf der Blockchain-Technologie beruhen. Die Technologie selbst ist innovativ und vielversprechend. Für die darauf basierenden Kryptowerte gilt dennoch das alte Lied: Wo hohe Gewinne winken, sind auch die Risiken besonders hoch. Bislang besteht noch keine Gefahr für die Finanzstabilität. Aber der Markt für Kryptowerte wächst, denn institutionelle Anleger interessieren sich mehr und mehr dafür. Das dürfte zu engeren Verflechtungen mit dem traditionellen Finanzsystem führen.
Verstärkte Aufklärungsarbeit
Kryptowerte ziehen auch private Anlegerinnen und Anleger an. Die können aber die Risiken solcher Investitionen nicht immer überschauen und laufen daher Gefahr, Schiffbruch zu erleiden. Umso wichtiger ist es, dass sie sich informieren und wissen, dass hohe Verluste drohen. Die BaFin will daher verstärkt Aufklärungsarbeit leisten. Die Kombination von neuen Technologien und neuen Medien mit ihren Heerscharen von Influencern als Tippgebern kann zu einer Enttäuschung von Anlegern führen. Das Platzen von Blasen ist so alt wie Zeitungen selbst. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschienen die ersten Zeitungen – und es entstand die erste spekulative Blase: die Tulpenmanie. Heute kann man Kryptotulpen kaufen.
Einen starken Innovationsschub haben auf den Finanzmärkten künstliche Intelligenz und ihre Unterdisziplinen wie das maschinelle Lernen ausgelöst. Sie machen es möglich, große Datenmengen in Sekundenschnelle genau auszuwerten. Schon heute sind etwa Versicherer in der Lage, die Risikobewertung beim Neugeschäft und die Schadenbearbeitung fast ohne menschliches Zutun abzuwickeln.
Für die Aufsicht stellt sich unter anderem die Frage, wie sich verhindern lässt, dass Kunden oder Kundengruppen diskriminiert werden, weil der Algorithmus indirekt gelernt hat, dass eine bestimmte Eigenschaft, die dabei eigentlich keine Rolle spielen darf, beispielsweise die Kreditwürdigkeit mindert. Eine weitere wichtige Frage ist die der Erklärbarkeit und der Nachvollziehbarkeit von Algorithmen für Kunden, Finanzunternehmen und die Aufsicht. Sie stellt sich auch, aber nicht nur bei internen Modellen.
Orientierung geben
Die BaFin hat im Juni 2021 aufsichtliche Prinzipien für den Einsatz von Algorithmen in Entscheidungsprozessen von Finanzunternehmen veröffentlicht, um den Unternehmen Orientierung zu geben. BaFin und Deutsche Bundesbank haben zudem im vergangenen Jahr ein Papier mit dem Titel „Maschinelles Lernen in Risikomodellen – Charakteristika und aufsichtliche Schwerpunkte“ konsultiert. Damit haben sie sich einen Überblick darüber verschafft, was nach Ansicht der Branche der Einführung von Methoden des maschinellen Lernens in Risikomodellen im Wege steht und wie sich die Chancen dieser Verfahren am besten nutzen lassen, ohne die da-mit einhergehenden Risiken zu vernachlässigen.
Ständig am Ball bleiben
Die Liste der digitalen Neuerungen ließe sich noch weiter fortführen, und sie dürfte weiterwachsen. Für die Aufsicht bedeutet das, dass sie ständig am Ball bleiben muss. Sie muss jede neue technische Entwicklung erkennen, verstehen und analysieren können. Sie muss neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen sein und sich das nötige technische Verständnis aneignen. Sie muss sich neue Skills aneignen oder rekrutieren. Und egal, welche Gestalt technologiebasierte Innovationen am Finanzmarkt auch annehmen, Aufsicht muss technologieneutral sein. Sie darf auch nicht Partei ergreifen.
Unsere Erwartungen transparent machen und erklären? Selbstverständlich! Die alten Unternehmen vor den Newcomern schützen? Ist nicht Aufgabe der Aufsicht. Newcomern Starthilfe geben und verhätscheln? Ebenfalls nicht Aufgabe der Aufsicht. Wachstum und Kontrollsysteme müssen miteinander Schritt halten. Und neue Projekte müssen auch scheitern können, wenn sie nichts taugen. Entscheidend ist, dass dabei den Kunden nicht geschadet wird.
Für die Aufsicht gilt auch in Zeiten galoppierender Digitalisierung der bewährte und unumstößliche Grundsatz „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“ – gepaart mit den Prinzipien der Proportionalität und der Verhältnismäßigkeit.
Aufsicht braucht ein geeignetes regulatorisches Instrumentarium. Gerade angesichts immer kürzerer Innovationszyklen ist es hilfreich, wenn dieses Instrumentarium vorausschauend und weitgehend prinzipienbasiert konzipiert ist. Das macht es der Aufsicht leichter, auf Neues schnell und angemessen zu reagieren und ihrem gesetzlichen Auftrag, die Stabilität und Integrität der Finanzmärkte nachhaltig zu sichern und Verbraucher zu schützen, auch in einem veränderten Umfeld bestmöglich gerecht zu werden.
Innovation nicht hemmen
Die Regulierungsphilosophie der Europäischen Union ist oft eine andere: Regulierung ist in Europa immer noch stark regelbasiert. Wir brauchen einen gesunden Mix aus beidem. Denn wir sollten nicht meinen, wir könnten und sollten jede Innovation vorwegnehmen und bis ins letzte Detail ausbuchstabieren. Auch wenn dahinter oft eine gute Absicht stehen mag: Mit solch einer Art von Regulierung läuft man Gefahr, Innovation zu hemmen.
Last but not least müssen Aufsicht und Regulierung mehr denn je auf multilateraler Ebene stattfinden. Technologische Innovationen heben nationale Grenzen auf. Dagegen sind Aufsicht und Regulierung auf vielen Gebieten immer noch stark national geprägt. Die Gefahr von Aufsichtsarbitrage ist nämlich besonders groß, wenn der physische Standort eines Unternehmens kaum eine Rolle mehr spielt, und darauf könnte es hinauslaufen. Auch darauf müssen Aufsicht und Regulierung vorbereitet sein. Der physische Standort Frankfurt am Main ebenfalls.