Berlin

Mehr Einhörner aus der Start-up-Hauptstadt

Um führende Start-up-Schmiede in Europa zu werden, braucht es eine andere Mentalität. Eine bessere Vernetzung zwischen Politik, Szene und Aufsicht ist erforderlich.

Mehr Einhörner aus der Start-up-Hauptstadt

„Deutschland soll führender Start-up-Standort in Europa werden“, verspricht die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag. Das klingt vielversprechend. Doch reichen die verbesserten Rahmenbedingungen für Start-ups? Und welche Chancen bietet die Gründerstadt Berlin?

Die neue Ampel-Regierung hat sich einiges auf die Fahne geschrieben. Mehr Wumms für Fintechs, Insurtechs, Neobroker und andere Plattformen. Mehr Rechtssicherheit und schnellere Genehmigungen, Risikokapital und Gründungsförderung. Das weckt berechtigte Hoffnungen bei Gründern: Denn die sind Deutschlands große Chance. Sie sichern mit neuen Technologien die Jobs von morgen. Wie das aber nun einmal so mit Einhörnern ist, es gibt sie viel zu selten. Politik und Geldgeber sind deshalb gefordert, mit mehr Schubkraft und schnellen Startrampen junge Unternehmen zu unterstützen.

Es lohnt sich

Denn das zahlt sich aus: Wir sehen ja, wie ehemalige Mitarbeiter von erfolgreichen Start-ups irgendwann selbst gründen. Aus zehn euro­päischen Start-ups mit einer Milliardenbewertung – darunter der Ge­braucht­wagenhändler Auto1 – kam es zu mehr als 850 neuen Unternehmen. Mit mehr als 20000 neuen Arbeitsplätzen. In Berlin sind aus den ehemaligen Start-ups Zalando und Rocket Internet 200 neue Ableger entstanden. Dazu hat Zalando-Mitgründer Filip Dames ein eigenes Wagniskapitalunternehmen gegründet. Das zeigt, wie jede Gründergeneration Geld zurück in das System bringt.

Berlin bietet für Start-ups optimale Voraussetzungen. Deshalb finden hier die meisten Gründungen statt. Die Kosten bei Gehältern und Büromieten sind vergleichsweise niedrig. Und die starke internationale Ausrichtung Berlins zieht junge, hochqualifizierte Menschen aus aller Welt an. Beim aktuellen „War of Talents“ ist das ein klarer Standortvorteil. Dazu fließt das Wagniskapital an der Spree. Dank einer etablierten und gut vernetzten Venture-Capital-Szene ist die Unterstützung in der Frühphasenfinanzierung ausgezeichnet. Die Finanzierungsmöglichkeiten für weiter fortgeschrittene Start-ups fehlen – wie in ganz Europa – auch in Berlin.

Dennoch gibt es in der Hauptstadt immer wieder große Finanzierungsrunden: Shootingstars sind Auto1 Group, Tier Mobility, Grover und Infarm. Fruchtbar für Berlin ist auch das neu gebildete Ökosystem für Fintechs, das qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland anlockt und die Hauptstadt noch internationaler macht. Das kommt auch dadurch, dass viele Fintech-/Tech-Unternehmen aus dem Ausland (mit-)finanziert sind und daher oftmals eine stärker diversifizierte Unternehmenskultur zu sehen ist. Hier sind junge Unternehmen auch Vorreiter zum Beispiel bei flexiblen Arbeitsmodellen, die auch disruptiv auf deutsche Unternehmen wirken können.

Gründer brauchen Infrastruktur, die Nähe zu Unternehmen und Universitäten und vor allem Kapital. Und weniger Bürokratie. Will ein Gründer beim Amtsgericht Charlottenburg sein Start-up ins Handelsregister eintragen lassen, dauert es laut Statistik 37 Tage bis zur Veröffentlichung. Hamburg und München sind schneller. Frankfurt ist letzter unter den großen Standorten. Neben der zu langsamen Gründung sind weitere Hindernisse das unflexible, komplizierte und ­teure Notarsystem, zu wenig Flexibilität bei den Gesellschaftsformen und den gesetzlichen Vorgaben zur ­Corporate Governance. Hinzu kommen der Mangel an Talenten im Deeptech, was auch an zu strikten Regelungen hinsichtlich der Arbeitserlaubnis für Nichteuropäer liegt, sowie die noch immer nicht ausreichende Förderung von Gründern. Sowohl in finanzieller Hinsicht als auch mit Modellen, die die Vereinbarkeit von erfolgreichem Geschäftsaufbau und Familie gesamtgesellschaftlich anerkennen.

Dazu der stetig wachsende europäische und deutsche Überregulierungswahn, der ausbremst, unnötige Papiertiger schafft und Zeit und Ressourcen raubt, statt sich mit dem Wesentlichen zu befassen. Eine weitere Bremse für Start-ups bleibt die sogenannte Mitarbeiterbeteiligung. Ohne die ist es quasi unmöglich, Top-Leute zu rekrutieren. Geringe Freibeträge und eine unvorteilhafte steuerliche Behandlung machen weiterhin die Mitarbeiterbeteiligung zu keinem praktikablen Beteiligungsmodell. Das belegt auch die Studie des Ven­ture-Capital-Fonds Index Venture, die die Voraussetzungen der Mitarbeiterbeteiligungen in 24 Ländern untersuchte. Deutschland landet hier auf dem letzten Platz.

Ausländische Investoren

Start-up-Förderung heißt, den Markt attraktiv zu machen: unkompliziert, einfach, interessant für ausländische Investoren. Gelungen ist das Israel. Für Investoren ist es unkompliziert, in israelische Start-ups zu investieren. Vertrag unterschreiben und per E-Mail versenden, fertig. Ohne Notar, ohne Vollmachten, ohne Gründungsurkunden. Das kommt gut an: Internationale Investoren investierten im vergangenen Jahr rund 26 Mrd. Dollar in israelische Start-ups – mehr als das Doppelte des bisherigen Höchststands im Jahr 2020 und fast ein Viertel so viel wie die Mittel, die nach Europa insgesamt flossen. Beachtlich bei der Größe des Landes. Nach Angaben von Start-up Nation Central, einer gemeinnützigen Organisation, die die israelische Risikokapitalbranche beobachtet, haben US-Fonds 266 Frühphaseninvestitionen getätigt, was einem Anstieg von fast einem Fünftel gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Soll Deutschland führender Start-up-Standort in Europa werden, müssen hier auch Technologieriesen zur Welt kommen. Mit Gründern, die nicht nur auf eine Exit-Strategie hinarbeiten, sondern den Börsengang. Dafür sollte die neue Regierung Börsengänge erleichtern. Die Deutsche Börse hat erst einmal als Reaktion auf den Dax-Aufstieg von Delivery Hero beschlossen, nur noch operativ profitable Unternehmen in den Leitindex aufzunehmen. Ist das der richtige Weg? Vermutlich treibt man damit Start-ups an die Börsen Amsterdam und London. London hat seine Regeln für Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) den Vorschriften anderer Länder angepasst, um den Rückstand gegenüber anderen Börsenplätzen aufzuholen. In Europa ist mittlerweile Amsterdam dank liberaler Regeln der attraktivste Markt für Spacs. Auch wenn sich der Spac-Hype gerade ein wenig abgekühlt hat.

Digitalisierung und Fintech

Gemeinsam mit unseren Mandanten leisten wir häufig Pionierarbeit bei der digitalen Transformation der Finanzwirtschaft, darunter auf Distributed Ledger Technology (DLT) basierende Geschäftsmodelle wie der Handel mit Kryptowährungen oder tokenisierten Schuldverschreibungen, appbasierte Zahlungslösungen, digitale Finanzierungsplattformen sowie Handelsplattformen für die Schaffung und Ausgabe von sogenannten Non Fungible Tokens (NFTs) im Bereich Musik und Kunst.

Schulterschluss gesucht

Im Vordergrund steht dabei häufig aber nicht die Disruption der Märkte, sondern die Kooperation. Klassische und erfahrene Anbieter suchen den Schulterschluss mit innovativen und jungen Unternehmen. Zuletzt ist vermehrt der Trend zu vermerken, dass die „jungen Wilden“ auch eine direkte Abkürzung nehmen und entsprechend etablierte Banken schlichtweg kaufen. So entstehen auf vielfältige Weise Kooperationen und eine sehr eng miteinander vernetzte Szene, gerade, aber nicht nur in Berlin.

Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung macht in dieser Hinsicht Hoffnung. Doch um führende Start-up-Schmiede in Europa zu werden, braucht es eine andere Mentalität und es braucht auch eine bessere Vernetzung zwischen Politik, der Szene und vor allem der Aufsicht – hier sind zwar einige gute Grundsteine gelegt. Zuletzt sind Politik und Aufsicht aber ein wenig auf ihren Versprechungen sitzengeblieben – Gesetzgebungsverfahren wie zuletzt beim Gesetz über elektronische Wertpapiere ziehen sich gefühlt unendlich lange hin, lassen oftmals den Mut zu einem größeren Schritt voraus vermissen – warum wurden beispielsweise elektronische Gesellschaftsanteile ausgelassen? – oder erschweren durch neue Regulierungsanforderungen den Marktteilnehmern in Deutschland den Wettbewerb.

Genehmigungsverfahren von in­novativen Finanzprodukten wie auch die Erlaubnisverfahren neuer Marktteilnehmer laufen oftmals weit über die vom Gesetzgeber vorgesehenen Fristen hinaus. Auch in dieser Hinsicht engagiert sich unsere Kanzlei, indem wir aufgrund der vielseitigen und tiefen Einblicke sowie der guten Vernetzung bei Start-ups, Investoren und der Politik Verständnis füreinander schaffen und das Ökosystem fördern.

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