Geldanlage

Nachhaltige Aktienkultur rückt Qualität in den Fokus

Für den Aufbau einer Aktienkultur in Deutschland kommt es weniger darauf an, ob die Zahlen der Aktien- und Fondsbesitzer stimmen. Entscheidender ist vielmehr, ob es gelingt, Aktiensparen mit dem Gedanken einer lang­fristigen Beteiligung an erfolgreichen Unter­nehmen zu verknüpfen.

Nachhaltige Aktienkultur rückt Qualität in den Fokus

Selbst in den vergangenen zwei Jahren, die von der Corona-Pandemie und ihren vielfältigen Auswirkungen dominiert waren, gab es immer wieder auch Lichtblicke am Finanzmarkt. Das erneute Aufblühen einer Aktienkultur in Deutschland gehört sicher dazu. Schon 2020 haben laut Deutschem Aktieninstitut (DAI) rund 12,4 Millionen Bundesbürger in Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierte Exchange Traded Funds (ETFs) investiert – der höchste Stand seit dem Platzen der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende.

Zahlen für die ersten neun Monate 2021 zeigen eine Fortsetzung dieses Trends. Nach Angaben des deutschen Fondsverbands BVI hat der Fondsabsatz deutlich zugelegt: So konnten Aktienfonds in den ersten neun Monaten des zurückliegenden Jahres fast 42 Mrd. Euro an Nettomittelzuflüssen verbuchen, gegenüber 6 Mrd. Euro im Vorjahreszeitraum. Besonders optimistisch stimmt, dass das DAI den höchsten Zuwachs an Aktienbesitzern in den Altersgruppen der 14- bis 29-Jährigen (plus 67%) und der 30- bis 39-Jährigen (plus 34%) ausweist. Geht es also mit dem Aktiensparen in Deutschland 2022 endlich aufwärts?

Wiedererwachte Liebe?

Die guten Zahlen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wiedererwachte Liebe der Bundesbürger zu Dividendenpapieren maßgeblich von einigen externen Faktoren bestimmt wird. Da ist zum einen die schlichte Alternativlosigkeit von Aktien angesichts anhaltend negativer Realzinsen. Zum anderen spielen bei jüngeren Anlegern vereinfachte Zugangswege an die Börse über Direct Broker und Neobroker sicher ebenso eine Rolle wie digitale Kommunikationsformate, Foren etc. Beide Faktoren bergen für die Aktienkultur in Deutschland jedoch auch Risiken.

Zunächst stellt sich die Frage, wie lange die Notenbanken mit ihrer Liquiditätsschwemme noch Treiber der Aktienmärkte sein werden. Das wird derzeit am Markt heiß diskutiert. Die Notenbanken müssen auf die anziehende Inflation reagieren. Sicher scheint bisher, dass die U.S. Fed (Federal Reserve System) ihre Anleihekäufe früher als geplant einstellen und die Zinsen anheben wird. Zinser­höhungen der Europä­ischen Zentralbank (EZB) scheinen für 2022 bislang vom Tisch zu sein. Auch dürfte der Spielraum hierfür insgesamt aus politischen Gründen eher begrenzt sein.

Allerdings ist aus Anlegersicht weniger entscheidend, was die Notenbanken tatsächlich tun, sondern wie die Märkte darauf reagieren. Und angesichts hoher Bewertungen in den USA – das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im S&P 500 liegt mit 21 rund 35% über dem Durchschnitt der vergangenen 100 Jahre – dürfte die Volatilität zunehmen. Und das wäre tendenziell Gift für die Aktienkultur.

Ein weiteres Risiko ist auch die unbekümmerte Art junger Anleger, mit Aktien umzugehen. Diese trägt die Gefahr eines Dämpfers in sich. Die Ereignisse um die Gamestop-Aktie im Frühjahr 2021 haben gezeigt, dass hinter dem hohen Interesse gelegentlich Herdentrieb, Zocken und die Lust auf Abenteuer stehen. Wenn Markt und Stimmung sich drehen, erhöht dieses Verhalten allerdings die Möglichkeit von Rück­schlägen.

Eine hohe Zahl von Aktienbesitzern ist also nicht automatisch gleichbedeutend mit einer stabilen und nachhaltigen Aktienkultur. Dazu braucht es vielmehr ein Grundverständnis von Aktiensparen als langfristiger Beteiligung am Produktivkapital. Die Qualität der Unternehmen, in die investiert wird, und ihre Fähigkeit, auch über längere Zeiträume einen Total Shareholder Return zu liefern, sind dafür von entscheidender Bedeutung. Denn wer weiß, dass er oder sie sich aus rationalen und qualitativen Gründen für die Beteiligung an einem Unternehmen entschieden hat, muss sich weniger Sorgen über die Bewegung der Aktienmärkte machen und erliegt auch nicht der Versuchung, der breiten Masse hinterherzulaufen und hektisch zu traden: Dieser Anleger bleibt dem Unternehmen länger verbunden.

Was ist zu berücksichtigen?

Aber was zeichnet ein Qualitätsunternehmen aus? Worauf sollten Anleger achten? Aus jahrzehntelanger Erfahrung haben wir bei Shareholder Value Management unsere eigene Definition hierzu entwickelt. Unser erster Blick als Assetmanager auf ein Unternehmen gilt dabei der Kapitalrendite. Uns interessiert nicht, ob ein Aktienkurs sich möglichst schnell verdoppelt, denn dann wäre unser Erfolg von den genannten externen Faktoren abhängig.

Wir suchen Unternehmen, die aus ihrem Geschäftsmodell heraus in der Lage sein werden, unser eingesetztes Kapital mit mindestens 20% pro Jahr zu verzinsen. Bei solchen Unternehmen verzichten wir auch gerne auf Ausschüttungen. Uns ist es lieber, wenn ein Unternehmen den Cash-flow zu den hohen Renditen wieder reinvestiert. Damit ein Unternehmen solche Kapitalrenditen über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren stabil und planbar liefern kann, braucht es bestimmte Eigenschaften.

Die vielleicht wichtigste Eigenschaft sind strukturelle Wettbewerbsvorteile. Sie erlauben es dem Unternehmen, langfristig höhere Erträge zu erzielen als der Wettbewerb. Gleichzeitig gehen sie häufig mit einer Preissetzungsmacht einher – ein attraktives Merkmal in einem Umfeld anziehender Inflationsraten.

Strukturelle Wettbewerbsvorteile treten in unterschiedlicher Form auf. Zu den gängigsten gehört die Kostenführerschaft, also wenn das Unternehmen zu niedrigeren Herstellungskosten produzieren kann als seine Konkurrenten. Ein weiterer Vorteil sind Skaleneffekte. Sie treten ein, wenn es gelingt, die Produktionsmenge bei annähernd gleichbleibenden Kosten zu steigern und so die Kosten pro hergestellter Einheit zu senken. Konsumgüterhersteller nutzen beispielsweise bestehende Produktionsstätten und Vertriebswege häufig für mehrere Produktlinien und halten damit die Kosten niedrig.

Als nächstes Beispiel sind Wechselkosten zu nennen. Sie verhindern die Abwanderung von Kunden zur Konkurrenz. Der Wechsel des IT-Anbieters kann etwa unattraktiv werden, wenn beim neuen Anbieter höhere Wartungskosten anfallen oder Updates nicht mehr zur Verfügung stehen. Netzwerkeffekte wiederum entstehen, wenn der Nutzen eines Gutes oder einer Dienstleistung für den Einzelnutzer mit steigender Nutzerzahl zunimmt. Internetplattformen wie Facebook oder Google verfügen häufig über solche Netzwerkeffekte. Auch immaterielle Werte wie Lizenzen, Patente und vor allem das Image können einen strukturellen Wettbewerbsvorteil bilden. Neben großen Markenunternehmen kommen solche Effekte auch in stark forschungs- und entwicklungsgetriebenen Branchen, wie etwa dem Pharmasektor, zum Tragen.

Solche strukturellen Wettbewerbsvorteile werden auch wirtschaftlicher Burggraben (engl. „economic moat“) genannt, da sie die Erträge des Unternehmens wie eine Burg schützen. Neben den strukturellen Wettbewerbsvorteilen spielt auch die Verschuldung eine Rolle. Der Grad der Verschuldung eines Qualitätsunternehmens sollte mo­derat und an das jeweilige Ge­schäftsmodell angepasst sein. Braucht ein Unternehmen einen hohen Fremd­kapitalanteil für sein Wachstum, entspricht das nicht unseren Anforderungen. Wir bevorzugen eindeutig Geschäftsmodelle, die ein organisches Wachstum ermöglichen.

Die Eigentümerstruktur ist ein weiterer Punkt, durch den sich ein Qualitätsunternehmen auszeichnet. Je geringer die Interessenkonflikte zwischen Management und Anteilseigner sind, desto besser. Unserer Erfahrung nach ist das vor allem dann gegeben, wenn Management und Aufsichtsrat selbst wesentlich am Unternehmen beteiligt sind, also „Skin in the Game“ haben. Dann haben sie dieselbe Motivation und tragen dasselbe Risiko wie die Eigentümer. Wir suchen deshalb bevorzugt nach Unternehmen, in denen die Gründerfamilie oder der Eigentümer eine aktive operative Rolle spielt.

Essenzieller als Kursprognose

Solche Unternehmen finden wir in allen Branchen und in jeder Größe. In unseren Portfolien halten wir internationale Groß- und Technologieunternehmen ebenso wie die Stars des deutschen Mittelstandes. Allen ist gemeinsam, dass wir uns mit ihnen in fast jeder Börsen-„Wetterlage“ wohlfühlen und dass wir uns als langfristige Teilhaber und Partner „unserer“ Unternehmen verstehen.

Für den Aufbau einer Aktienkultur in Deutschland kommt es unserer Meinung nach weniger darauf an, ob die Zahlen der Aktien- und Fondsbesitzer stimmen. Entscheidender ist vielmehr, ob es gelingt, Aktiensparen mit dem Gedanken einer langfristigen Beteiligung an erfolgreichen Unternehmen zu verknüpfen. Nur dann wird sich eine Aktienkultur etablieren, die nachhaltig ist und nicht bei Änderungen der „Großwetterlage“ in sich zusammenfällt. Die Fähigkeit, die Qualität eines Unternehmens zu beurteilen, spielt dabei eine größere Rolle als die kurzfristige Kursprognose.

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