Finanzplatz Hamburg

Vielfältig, offen und kooperativ die Zukunft angehen

Der Finanzplatz Hamburg hat enormes Potenzial bei Fintechs, bei nachhaltigen Finanzprodukten, der Exzellenz in Forschung und Lehre wie auch in der Ansiedlungspolitik.

Vielfältig, offen und kooperativ die Zukunft angehen

Man sagt Hamburgern nach, dass sie in jeder Hinsicht stolze Bürger ihrer Stadt sind. „Hamburg, meine Perle“ oder „Schönste Stadt der Welt“ sind folkloristische Manifestationen dieser Verbundenheit. In Verbindung mit einer weltoffenen Haltung ist ein solcher Lokalpatriotismus eine wertvolle Eigenschaft, denn Zukunft braucht bekanntlich Herkunft.

Gefährlich wird es aber, wenn dieser Stolz zur Selbstzufriedenheit verführt und man den Wandel verschläft. Die Handelskammer hat im Rahmen ihrer Initiative „Hamburg 2040“ eine Bestandsaufnahme für den Standort gemacht und festgestellt: Die heutige Zufriedenheit gefährdet den Wohlstand von ­morgen.

Lösen wir uns also zunächst von der Selbstbetrachtung und schauen über Hamburg hinaus. International ist das deutsche Finanzsystem in seiner vielfältigen Struktur einzigartig. Im „Global Financial Centres Index“ sind mit Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart gleich vier deutsche Finanzplätze unter den ersten 40 vertreten. Wie viele sind es aus England, Frankreich und Spanien? Richtig, jeweils nur einer. Der Finanzplatz Deutschland ist also stark und vielfältig. Mit zunehmender Entfernung von unserem Land wird diese Vielfalt aber schnell zu einer kommunikativen Herausforderung gegenüber zentralistisch geprägten Ländern mit einem stark dominanten Finanzstandort.

Auch aus diesem Grund haben sich 2019 die deutschen Finanzplätze in einer Arbeitsgemeinschaft unter dem Dach von „Germany Finance“ zusammengeschlossen. Die jüngste Studie „Der Finanzplatz Deutschland als Eckstein des europäischen Finanzsystems“ der Initiative hat ermittelt, dass das deutsche Finanzsystem international zwar ein Sonderfall ist, aber genau zur dezentralen, mittelständischen Wirtschaftsstruktur und zum deutschen Föderalismus passt. Der Finanzplatz Deutschland erwirtschaftet 122 Mrd. Euro pro Jahr, beschäftigt 1,1 Millionen Mitarbeiter und ist nach Erwerbstätigen der größte Finanzsektor in Europa.

Hohe Wettbewerbsintensität

Im europäischen Vergleich ist das deutsche Finanzsystem kundennah und durch viele Akteure geprägt. Dies führt zu einer hohen Wettbewerbsintensität und impliziert, dass die deutschen Institute we­niger ertragsstark sind als in anderen europäischen Ländern und Kunden weniger für Finanzdienstleistungen zahlen. Dies gilt zweifellos auch am Platz Hamburg, und es ist eine hervorragende Nachricht für alle Unternehmen und Bürger unseres Landes!

Das Modell der kundennahen, diversifizierten Strukturen eröffnet gerade bei den anstehenden Her­ausforderungen Zukunftschancen, wenn man dies konsequent und frühzeitig anpackt. Die 2020er Jahre werden eine Dekade der Weichenstellung für Nachhaltigkeit und Digitalisierung sein. Mehr denn je wird die Finanzbranche gebraucht, um diese Herausforderungen zu lösen. Nach Berechnungen von ZEB Research erfordert die nachhaltige Transformation in Deutschland ein Investitionsvolumen von rund 330 Mrd. Euro pro Jahr. Von 2020 bis 2050 wird mit über 9,6 Bill. Euro gerechnet – fast dem Fünffachen der Kosten der deutschen Wiedervereinigung seit 1990.

Vom ehemaligen US-Vizepräsidenten und Friedensnobelpreisträger Albert Arnold „Al“ Gore Jr. stammt das Zitat: „Wir werden eine Nachhaltigkeitsrevolution erleben, die vergleichbar mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist, aber im Tempo der digitalen Revolution. Es wird die größte Investitionschance und die größte Jobmaschine in der Geschichte sein.“

Damit dies gelingt, braucht es einen starken Finanzsektor, der Investitionen ermöglichen und Eigen- und Fremdkapital in ungeahnter Höhe bereitstellen kann. Dabei ist es die Aufgabe unserer Branche, als guter Dienstleister Komplexität zu reduzieren und als Navigator zum jeweils passenden Finanzprodukt zu führen oder dies aufzulegen. Leider zerschellen die Begeisterung und globale Zustimmung für das Ziel der grünen Transformation aber oft an der Komplexität der Umsetzung.

Die zur Klassifizierung grüner Investments aufgesetzte Taxonomie ist neu, komplex, entwickelt sich dynamisch weiter und wird die Finanzbranche langfristig begleiten. Die Entscheidungen, Kernkraft und Gas als „grün“ einzuordnen, haben bereits heftigen Widerspruch ausgelöst und einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie intensiv um eine Konkretisierung gerungen werden kann und wird. Bei allem Bemühen der Europäischen Union (EU) um den wissenschaftsbasierten Ansatz der Taxonomie bleibt die Lösung derartiger Fragen ein Fall für den gesellschaftlichen Diskurs.

Die Taxonomie wirkt aber nicht nur bei der Einordnung von Investments für Anleger, sondern intensiver noch in der Finanzierung. Wen darf eine Bank künftig noch finanzieren und wie prüft sie neben dem Kreditrisiko auch die Nachhaltigkeit? Bei größeren Unternehmen mag das noch gehen, denn der Kreis der zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichteten Unternehmen soll nach Vorschlägen der EU künftig massiv auf alle Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften erweitert werden, die im bilanzrechtlichen Sinne groß oder kapitalmarktorientiert sind, unabhängig von ihrer Mitarbeiterzahl.

Doch wie ist es bei kleineren Un­ternehmen? Auch sie werden über ihre Beziehungen als Zulieferer für diese großen Firmen mit neuen Anforderungen konfrontiert werden. Das ist politisch und gesellschaftlich ge­wollt, denn ein schnelles und entschlossenes Umsteuern ist global gesehen günstiger als die Folgekosten weitgehender Passivität. Aber dennoch sollte die effektive Umsetzung nachhaltiger Investitionen und Anlagen so geregelt werden, dass erforderliche Prüf-, Informations-, Dokumentations- und Umsetzungspflichten möglichst schlank ausfallen und die gute Sache nicht im rasenden Stillstand steckenbleibt.

Kooperationen erforderlich

Die Dimension der vor uns liegenden Herausforderungen zeigt eines deutlich auf: Mehr denn je wird es künftig Kooperationen brauchen. Kooperationen zwischen deutschen Finanzplätzen, Kooperationen zwischen Wirtschaft und Politik, mit der Wissenschaft. Die Coronakrise hat es gezeigt. In einem bislang einmaligen Schulterschluss haben Politik und Finanzwirtschaft die Liquidität von Unternehmen gesichert, Kunden beraten, öffentliche Hilfen adminis­triert und durchgeleitet. Wir brauchen öffentliches und privates Kapital und einen starken Finanzsektor.

In Hamburg haben Politik und Wirtschaft dies erkannt und sich mit dem Masterplan Finanzwirtschaft auf konkrete Maßnahmen für einen starken Standort verständigt. Denn obwohl der Finanzplatz Hamburg bedeutend ist, hat es in den vergangenen Jahren einen zu starken Aderlass an Beschäftigung und Entscheidungsmacht insbesondere in der Versicherungsbranche gegeben. Es heißt also, sich nicht selbstzufrieden im Status quo zu sonnen oder ihn sich schönzureden, sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen und aktiv nach vorne zu wirken. Großes Potenzial besteht dabei vor allem im Bereich von Fintechs, bei nachhaltigen Finanzprodukten, bei der Exzellenz in Forschung und Lehre sowie in der Ansiedlungspolitik.

Die Ausgangslage und die Qualitäten unserer Stadt waren und sind hervorragend: eine hohe Lebensqualität und Attraktivität für Talente, Bekanntheit sowie eine starke und diversifizierte Wirtschaft mit Schwerpunkten im Bereich Life Sciences, Luftfahrt, Logistik, Medien, IT und Gaming. Der Finanzplatz Hamburg ist kein Finanzplatz per se, sondern ein Standort, dessen diversifizierte Angebote hervorragend zur ansässigen Wirtschaft passen. Außenhandelsfinanzierung, Transportversicherung, Vermögensverwaltung, Sachwertinvestments und viele Fintechs im B2B-Bereich sind nur einige davon.

Ich glaube, dass gerade Vielfalt, Kreativität und die gute Vernetzung zu anderen Branchen für einen Finanzstandort der Zukunft wichtiger sind als große Türme von Banken oder Versicherungen. In diesem Sinne ist es auch verschmerzbar, dass Hamburg wahrscheinlich nicht die Europa-Zentralen globaler Banken für sich wird gewinnen können, dafür aber beispielsweise spezialisierte Versicherungsmakler, Vermögensverwalter, ambitionierte Akademiker oder Gründer von Fintechs.

Zukunft hat Tradition

Die vergangenen Jahrhunderte haben eines gezeigt: Zukunft hat bei uns Tradition. Kaum irgendwo finden sich derart viele Finanzunternehmen, die auch im weisen Alter von Jahrhunderten putzmunter sind. Zugleich hat Hamburg im bundesweiten Vergleich besonders viele Fintechs, die jünger als fünf Jahre sind, wie eine weitere Studie von Germany Finance ergeben hat. Seien wir also offen für Neues, denn „Offenheit ist ein Schlüssel, der viele Türen öffnen kann“.

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