200 Mrd. Euro im Schlepptau von Gross

Analysten kalkulieren die Kosten des Wechsels an der Pimco-Spitze - Fondsgesellschaft setzt auf flexible Kostenbasis

200 Mrd. Euro im Schlepptau von Gross

Was kostet der Abschied von Pimco-Investmentchef Bill Gross die Allianz? Nach dem Kurssturz um 6,2% am Freitag legte die Aktie am Montag um 0,2% zu. Die Kursreaktionen lassen auf die Annahme eines Mittelabflusses von rund 200 Mrd. Euro schließen.Von Michael Flämig, MünchenGroßer Bahnhof bei der Allianz: Am Montagnachmittag hatte sich die Führungsspitze versammelt, um die Analysten zu beruhigen. Allianz-Chef Michael Diekmann, Finanzvorstand Dieter Wemmer und Pimco-Chef Douglas Hodge erklärten telefonisch, wie es bei der US-Fondsgesellschaft weitergeht, nachdem Investmentchef Bill Gross zum Konkurrenten Janus Capital abgewandert ist. Die Botschaft des Calls, sogar fast in dieser Wortwahl: Wir arbeiten Tag und Nacht daran, die Kunden bei der Stange zu halten.Vertrauensbildung ist tatsächlich das Gebot der Stunde. Denn allerorten herrscht Verunsicherung. Der Führungswechsel bei Pimco hat die Allianz rund 4 Mrd. Euro Marktkapitalisierung gekostet. Die Analysten reduzierten bei einem Aktienkurs von 128 Euro ihre Ziele in einem Ausmaß, das historisch zu nennen ist. J.P. Morgan senkte das Kursziel von 152 auf 143 Euro (Overweight), Credit Suisse von 148 auf 139 Euro (Outperform auf Neutral), Barclays von 148 auf 143 Euro (Overweight), UBS von 153 auf 149 Euro (Buy), Berenberg von 153 auf 148 Euro (Buy), Citigroup von 152 auf 147 Euro (Buy) und Deutsche Bank von 140 auf 135 Euro (Hold).Die Frage zu Beginn der neuen Woche lautet: Sind diese ausgeprägten Reaktionen für einen “einfachen” Führungswechsel bei einer Allianz-Konzerntochter gerechtfertigt?Wer sich im Markt auf der Suche nach einer Antwort umhört, der spürt vor allem: Unsicherheit. Klar ist nur: Je mehr Kundengelder Gross mitnimmt, desto teurer wird es für die Allianz. Doch wie soll man das Maß der Abwanderung schätzen? Schließlich ist es beispiellos, dass eine so herausragende Gestalt wie Bill Gross eine von ihm mitgegründete Fondsgesellschaft so kurzfristig verlässt. Vorbild Richard BuxtonAls Referenzpunkt wird wiederholt genannt: der Wechsel von Starmanager Richard Buxton vom britischen Vermögensverwalter Schroders zum kleineren Rivalen Old Mutual Global Investors. In der Folge habe sein Fonds bei Schroders die Hälfte der Assets verloren, so lautet die gängige Schätzung. Aber ist der Buxton-Aktienfonds mit dem Gross-Rentenportfolio vergleichbar? Als Neil Woodford von Invesco in die Selbständigkeit ging, soll er nur ein Drittel der Mittel mitgenommen haben. Bei Euan Munro (Standard Life zu Aviva) gab es sogar kaum Abflüsse.Wer aus derartigen Prozentsätzen absolute Werte errechnen will, der muss zudem wissen, wie viele Assets Gross verwaltet hat. Die Summe von 1,1 Bill. Euro, die Pimco für Dritte managt (siehe Grafik), ist der falsche Ansatzpunkt. Pimco hat rund 240 Portfolio-Manager – die sicherlich nicht nur Däumchen drehen. Viele Analysten nehmen an, dass die Kunden des Total Return Fund besonders sensibel auf den Gross-Abschied reagieren. Überschlagsweise wird angenommen, dass diese Anleger mit ihrem Vermögen vollständig zu Janus Capital folgen – es wird also ein höherer Prozentsatz als bei Buxton oder Woodford angesetzt. Das Resultat wären 220 Mrd. Dollar. Manager von 350 Mrd. DollarEine andere Argumentationslinie: Institutionelle werden rational auf den Gross-Wechsel reagieren und ihre Mittel großteils bei Pimco belassen. Ebenso werde die Personalie bei den Kunden außerhalb der USA weniger Aufregung verursachen. Auch derartige Kalkulationen landen bei der Schätzung, dass Pimco 200 Mrd. bis 250 Mrd. Dollar abgeben könnte – zusätzlich zu jenen Mitteln, die der Rentenspezialist im Umfeld steigender Zinsen sowieso verliert. Pimco-Chef Douglas Hodge indiziert eine ähnliche Größenordnung. Er erklärte am Montag, Gross sei der Portfolio-Manager für 37 Fonds mit einem Volumen von 350 Mrd. Dollar gewesen. Davon lägen 30 % bei institutionellen Anlegern. Das Resultat der Analysten in der jeweils gewählten Währung: J.P. Morgan schätzt den Abfluss auf 225 Mrd. Dollar, die Deutsche Bank auf 200 Mrd. Euro über die nächsten zwölf Monate, Baader auf 170 Mrd. Euro, Barclays auf 200 Mrd. Dollar, Credit Suisse auf 220 Mrd. Euro und Berenberg auf 150 Mrd. Euro in den nächsten sechs Monaten.Doch Vorsicht: Wer diese Rechnungen später überprüfen will, der muss berücksichtigen, dass Pimco in Dollar rechnet. Die Stärkung der US-Währung wird dazu führen, dass die Bestände in Euro wertvoller werden.Welchen Einfluss haben die Abflüsse auf den Gewinn von Pimco? Entscheidend ist, wie schnell die Kostenbasis bei eventuellen Milliarden-Abflüssen reduziert wird. Hodge erklärte in der Telefonkonferenz, die Hälfte der Kosten sei abhängig vom verwalteten Volumen. Davon bestünden 30 % bis 35 % aus variablen Boni. Verschlechtert sich also mit dem verwalteten Vermögen die Gewinnsituation, so sinken die Boni. Hodge zufolge aber ist die Kostenstruktur darüber hinaus flexibel, weil ein Großteil der operativen Abläufe ausgelagert ist. Negativspirale vermeidenWas bedeutet dies für die Allianz? Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass Nettomittelabflüsse von 100 Mrd. Euro den Allianz-Gewinn um 2 % verringern, den Cash-flow um 2,5 %. Dies deckt sich etwa mit den Rechnungen der Konkurrenz. So erwartet Credit Suisse einen um 3,6 % sinkenden operativen Gewinn, und Barclays spricht von 3 % vom Jahr 2016 an. Verhältnismäßig hoch greift J.P. Morgan mit 6 % (2015).Das Resultat laut Deutscher Bank: Je 100 Mrd. Euro Mittelabfluss sinkt der Allianz-Wert um 3 %. Damit wäre die Kursreaktion vom Freitag und Montag (6 %) gerechtfertigt, wenn ein Abfluss von 200 Mrd. Euro angenommen wird.Welche Risiken bestehen für Allianz-Aktionäre zudem? Zweifellos muss Pimco eine Negativspirale vermeiden. Denn bisher zahlt Pimco deutlich mehr Boni als der Schnitt der Branche. Wie wird, wenn Kunden abwandern, der durchschnittliche Manager auf ein sinkendes Einkommen reagieren? Auf der Ebene unterhalb der Pimco-Spitze dürfte manchem Manager auch aufstoßen, dass die Führungsverhältnisse nun geklärt sind.