ZERTIFIKATE

30 Jahre Zertifikate in Deutschland

Mit dem Dax-PS der Dresdner Bank sind Zertifikate hierzulande gestartet. Gerade im aktuellen Nullzinsumfeld bietet die innovative Branche Produkte mit niedrigem Risiko und noch auskömmlichen Renditen. Von Werner Rüppel Exakt am 11. Juli 1990 hat...

30 Jahre Zertifikate in Deutschland

Mit dem Dax-PS der Dresdner Bank sind Zertifikate hierzulande gestartet. Gerade im aktuellen Nullzinsumfeld bietet die innovative Branche Produkte mit niedrigem Risiko und noch auskömmlichen Renditen.Von Werner RüppelExakt am 11. Juli 1990 hat die Dresdner Bank am Frankurter Börsenparkett erstmals ein Partizipationszertifikat auf den Dax, kurz “Dax-PS”, gehandelt. Vorher konnten Privatanleger hierzulande nicht in einen Index investieren, und es gab auch keine Anlagezertifikate. Vor diesem Hintergrund war die Finannzinnovation “Dax-PS” eine Revolution. Henning Bergmann, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV), sieht im ersten Zertifikat daher einen “Meilenstein”. Im Interview mit rendite (siehe Seite 28) erklärt er: “Das Angebot für Privatanleger hat sich durch diese neue Kategorie deutlich verbreitert.”In 30 Jahren haben sich Zertifikate als Anlageklasse etabliert, und es gibt hierzulande weitaus mehr als eine Million Produkte bei einem Gesamtvolumen dieser Anlageklasse in Deutschland von mehr als 60 Mrd. Euro. Ein Vorteil des Zertifikatemantels ist seine Flexibilität, diese Produkte sind sozusagen “Alleskönner”. So hat die Branche über die Jahre mehrere im Vergeich zu Aktien risikoarme Strukturen wie Discount-, Bonus- oder Expressszertifikate sowie Aktienanleihen entwickelt. Diese sind heute echte Klassiker. Gerade im aktuellen Nullzinsumfeld sind solche Produkte für Anleger sehr interessant, bieten sie doch noch auskömmliche Erträge bei überschaubarem Risiko. “Denn die Anleger suchen Produkte, die noch Erträge bieten, aber zugleich ein niedrigeres Risiko als Aktien aufweisen”, erklärt Bergmann.Auch einige Banken haben diese Vorzüge der strukturierten Produkte in den vergangenen Jahren erkannt. So sind zum Beispiel auch konservative Adressen wie die DZ Bank oder die Deka massiv ins Zertifikategeschäft eingestiegen. Die Société Générale hat wiederum ihre Aktivitäten bei strukturierten Produkten durch den Erwerb der Zertifikatesparte der Commerzbank massiv gestärkt. Und mit J.P. Morgan ist gerade eine der größten Banken der Welt als 16. Vollmitglied dem Derivateverband beigetreten. Gunnar Regier, Vorstand und Head of Markets bei J.P. Morgan, sagt: “Es ist seit jeher die Philosophie von J.P. Morgan, ein Geschäftsfeld langfristig und nachhaltig zu besetzen.”Allerdings haben Zertifikate gegen einige Vorurteile zu kämpfen, werden sie doch mitunter als sehr risikoreich und teuer tituliert. Insbesondere manche Verbraucherschützer neigen gerade bei dieser Produktklasse zu Pauschalierungen und sind teilweise nicht in der Lage, über verschiedene Anbieter und Produktkategorien hinweg zu differenzieren.Doch der Reihe nach. Zertifikate sind in der Regel von Banken begebene Schuldverschreibungen. Folglich unterliegen sie, wie übrigens alle Bankschuldverschreibungen, einem Emittentenrisiko. Dieses gilt es für den Anleger natürlich stets zu beachten.Nun kam es am 15. September 2008 mit der Insolvenz von Lehman Brothers zu einem GAU in der Finanzbranche. Die Insolvenz traf auch von Lehman begebene Zertifikate, die zuvor von bestimmten Banken als angeblich sichere Papiere verkauft worden waren. Nicht allein die Insolvenz, auch eine fehlerhafte Anlageberatung hat damals zu einem schlechten Image der Zertifikate geführt. Und Geschichten von der Oma, der Lehman-Zertifikate verkauft wurden, gingen nach der Insolvenz durch alle Gazetten.Der DDV hat als Konsequenz von Lehman das einzig Richtige getan und eine umfassende Informations- und Transparenzoffensive gestartet. So veröffentlicht der Verband zum Beispiel auch die CDS-Werte (CDS steht für Credit Default Swaps) der Emittenten, die wesentlich besser als Ratings Auskunft über deren Bonität geben, auf seiner Website. Auch die Klassifizierung der einzelnen Zertikate tat not, damit Anleger ohne Schwierigkeiten einen Überblick erhalten. Wahrscheinlich hat der DDV aufgrund von Lehman in Sachen Transparenz und Information in den vergangenen Jahren wesentlich mehr unternommen als andere Branchenverbände. So hat sich die Zertifikatebranche zum Beispiel von sich aus zu einem einheitlichen Fairness Kodex verpflichtet. Einbruch durch LehmanAuch in der Entwicklung des Marktvolumens der Branche war Lehman deutlich sichtbar. Vor diesem Ereignis hat das in Zertifikaten angelegte Geld deutlich zugelegt, zumal neben Innovationen wie Bonus- und Discountstrukturen nach der Dotcom-Blase zahlreiche besonders risikoarme Garantieprodukte aufgelegt wurden. Nach Lehman ging das Marktvolumen der in Deutschland gehandelten Zertifikaten zunächst einmal deutlich zurück. In den vergangenen Jahren hat es sich dann stabilisiert. Zuletzt war eine Seitwärtstendenz beim Volumen der Anlagezertifikate festzustellen. Aufgrund der Attraktivität vieler defensiv strukturierter Produkte gerade in der Nullzinsphase sowie der Flexibilität der Produktkategorie könnten die hierzulande in Zertifikaten angelegten Gelder in den kommenden Jahren durchaus wieder deutlich zulegen. Hinzu kommt, dass die führenden Emittenten durchweg über eine gute Bonität verfügen. Nach Meinung von Hussam Masri, Leiter Private Banking & Produktmanagement der DekaBank, werden Zertifikate aufgrund der passenden Investitionsmöglichkeit für nahezu jedes Chance-/Risikoprofil “auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Wertpapierkultur in Deutschland leisten”.Doch zurück zum Vorurteil, dass Zertifikate besonders riskant seien. Das Gegenteil ist der Fall. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass am deutschen Zertifikatemarkt nicht riskante Produkte dominieren, sondern – zumindest im Vergleich zu Aktien oder auch zu direkten Investments in Rohstoffen oder Gold – risikoarme Strukturen. So entfielen Ende März nach Angaben des DDV 96,8 % des Marktvolumens von rund 62 Mrd. Euro auf Anlageprodukte und nur 3,2 % auf die riskanteren Hebelzertifikate.Die Anleger hierzulande bevorzugen in erster Linie Sicherheit und diese bieten zahlreiche Anlagezertifikate. So stellen Produkte mit vollständigem Kapitalschutz, also strukturierte Anleihen sowie Kapitalschutz-Zertifikate, seit vielen Jahren die größte Gruppe bei den Anlageprodukten. Aufgrund der Niedrigzinsphase ging ihr Anteil in den vergangenen Jahren zwar etwas zurück, doch lag er im März 2020 immer noch bei stattlichen 42,4 %.Dafür haben defensive Strukturen wie Expresszertifikate oder Aktienanleihen mit Marktanteilen von 27 % und 10,5 % an Gewicht gewonnen. Und auf die klassisch defensive Struktur Discounter entfallen immer noch 5,8 % des Marktvolumens, während Bonuszertifikate 3 % erreichen (vergleiche Grafik).Hingegen kommen die, ähnlich einer Direktanlage in einen Aktienkorb, in der Regel wesentlich riskanteren Index- und Partizipationszertifikate nur mehr auf einen Anteil von 4,1 %. Zu dieser Kategorie hat übrigens auch das erste Anlagezertifikat, der “Dax-PS” der Dresdner Bank, gezählt.Der deutsche Zertifikatemarkt wird also wesentlich von risikoarmen Produkten geprägt. Doch nun zum zweiten Vorurteil, dass Zertifikate per se teuer seien. Wettbewerb drückt KostenNatürlich gibt es auch in dieser Assetklasse, berücksichtigt man auch den Spread zwischen Geld- und Briefkursen, Produkte, die eher hohe Gebühren und solche, die eher niedrige Gebühren aufweisen. Doch herrscht ein starker Wettbewerb zwischen den einzelnen Anbietern. “Dieser führt zu niedrigen Kosten”, stellt Bergmann fest. “Eine wissenschaftliche Untersuchung hat festgestellt, dass die Kosten von Anlagezertifikaten inklusive Vertriebsleistung nur bei rund 1 % im Jahr liegen.” Das ist im Vergleich zu anderen Produkten nicht viel. Gerade die Kosten von aktiven Fonds liegen mitunter wesenlich höher. Alles in allem sind Zertifikate also im Vergleich mit anderen Produkten keineswegs teuer.Zu den Perspektiven von strukturierten Produkten hat rendite die Experten vier führender Emittenten befragt. Die Antworten finden Sie auf den nachfolgenden Seiten 32 und 33. Deutlich wird, dass die Fachleute der Banken vor dem Hintergrund der Nullzinsphase sowie der Flexibilität von strukturierten Werpapieren und eines breiten Angebots ausgezeichnete Perspektiven für den Zertifikatemarkt sehen. Matthias Hüppe von HSBC Deutschland stellt heraus: “Besonders die einfachen und transparenten Produktstrukturen finden sich wiederkehrend seit Jahrzehnen in den Depots der Anleger und Vermögensverwalter.” Nur was ist eigentlich aus dem “Dax-PS” der Dresdner Bank geworden, das vor 30 Jahren erstmals gehandelt wurde? Es hatte 1990 nur eine limitierte Laufzeit von fünf Jahren, die aber 1995 noch einmal um weitere fünf Jahre verlängert wurde. So wurde der Handel des “Dax-PS” tatsächlich erst Mitte September 2000 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt notierte der Dax bei 7 000 Zählern und damit mehr als 3,6-mal so hoch als bei Handelaufnahme des Zertifikats. Eine Investition in das erste Anlagezertifikat hat sich also gelohnt.