IM GESPRÄCH: STEFAN MEINE

ABN Amro steckt Rückschlag ein

Wirecard-Engagement verhagelt Performance im Corporate Banking - Nischenstrategie trägt indes Früchte

ABN Amro steckt Rückschlag ein

ABN Amro, die im deutschen Firmenkundengeschäft früh aufs Geschäft mit Green Bonds gesetzt hat, wettet auf Kreislaufwirtschaft als nächsten Trend. Nachdem das Haus mit seiner auf fünf Sektoren konzentrierten Nischenstrategie bis Ende April gut dastand, ist die Pleite von Wirecard ein Schlag ins Kontor. Von Bernd Neubacher, FrankfurtAuf manchen Verabredungen liegt kein Segen: Einen ersten Gesprächstermin an einem Montag Ende Februar lässt Stefan Meine, Head of Corporate Banking Germany von ABN Amro, kurzfristig absagen, da am Wochenende zuvor die Staatsanwaltschaft zu einer Razzia im Institut erschienen ist.Meine, seit 2017 im Amt, um das Firmenkundengeschäft von ABN Amro in Deutschland nach Jahren gedämpfter Aktivitäten wieder nach vorne zu bringen, will sich zunächst darum kümmern, die Moral seiner verunsicherten Mitarbeiter aufzurichten, wie es heißt. Mitte Juni findet das Gespräch dann doch noch statt. Zu den Hintergründen der Durchsuchungen will sich Meine dabei partout nicht äußern – Berichten zufolge geht es bei den Ermittlungen, wie bei einer ersten Razzia im November 2019, um Cum-ex-Geschäfte der früheren und in ABN Amro aufgegangenen Fortis Bank und um den Vorwurf eines rund 50 Mill. Euro schweren Steuerbetrugs. Weiße Weste per Ende AprilVielmehr spricht der Manager über die von ABN Amro bevorzugt finanzierten Sektoren Nahrungsmittel und Handel, Technologie, Medien und Telekommunikation, Industriegüter, Versorger und erneuerbare Energien sowie Finanzinstitutionen. Er berichtet, dass die Bank mit ihrem Schwerpunkt auf nicht zyklische Branchen und ihrer Entscheidung, etwa den Autosektor zu meiden, gut gefahren sei. Während der Konzern infolge von Pauschalwertberichtigungen angesichts der Pandemie im ersten Quartal rote Zahlen geschrieben hat, findet sich im bundesdeutschen Firmenkunden-Portfolio der Bank per Ende April kein einziges Engagement, das seit Jahresbeginn Risikovorsorge erfordert hat, wie Meine berichtet. “Wir haben vielleicht auch einfach Glück gehabt”, räumt er angesichts der Sektorenauswahl mit erfreulicher Bescheidenheit noch ein.Zwei Tage später lässt in Aschheim Wirecard die Bombe platzen, dass der Prüfer EY das Testat verweigert hat, und versinkt in den darauf folgenden Tagen in einem Bilanzskandal, der den Zahlungsabwickler schnurstracks in die Insolvenz führt. Unter den größten Gläubigern laut Bloomberg und wie die Commerzbank, ING und LBBW mit je 200 Mill. Euro engagiert: ABN Amro. Wieder will sich Meine auf Anfrage zum Engagement nicht äußern. Der Konzern bestätigt nicht einmal, dass er überhaupt in Aschheim engagiert gewesen ist. ReputationsschadenDer Reputationsschaden für die von Meine geleiteten Aktivitäten ist nicht von der Hand zu weisen, auch wenn sich die Bank mit ihrer Finanzierung des Noch-Dax-Werts in großer Gesellschaft befindet – selbst die KfW Ipex-Bank hat 100 Mill. Euro in Aschheim im Feuer, wie inzwischen bekannt geworden ist. Die Pleite von Wirecard stellt indes auch finanziell und operativ einen Rückschlag dar. Ein Engagement von 200 Mill. Euro könnte, wie es bei Beobachtern heißt, locker dem gut zweifachen Jahresertrag der deutschen Firmenkundenaktivitäten der niederländischen Bank entsprechen.Wie die übrigen Gläubiger Wirecards muss sich die Bank fragen, ob sie ihre Due Diligence angemessen erledigt hat. Schließlich haben Banken im Gegensatz zu Anlegern nicht nur Zugang zum Geschäftsbericht eines potenziellen Schuldners, sondern auch zum Prüfungsbericht, der ansonsten nur den gesetzlichen Vertretern beziehungsweise dem Aufsichtsrat zugänglich ist.Dies bedeutet allerdings nicht, dass die von ABN Amro im deutschen Markt verfolgte Strategie grundfalsch ist. Bis zum Wirecard-Desaster hatte sich das deutsche Corporate Banking für ABN Amro als Lichtblick in der Coronakrise entpuppt. Mitte Juni referierte Meine im Gespräch mit der Börsen-Zeitung blendende Eckdaten: 2019 und in den ersten Monaten des laufenden Jahres lag das Geschäft demnach über Plan, die Eigenkapitalrendite der Aktivitäten, zentrale Steuerungsgröße für den Konzern, lag in den beiden vergangenen Jahren jeweils über der Konzernvorgabe von 10 bis 13 %, mit steigender Tendenz 2019, und die Kostenquote entwickelte sich seinen Angaben zufolge besser als die interne Zielmarke, die denn auch bald ehrgeiziger gestaltet wurde. In einem seit Jahren als hoffnungslos überbesetzt geltenden deutschen Firmenkundenmarkt sticht die Bank damit hervor als Spieler, der sich bislang nicht über niedrige Margen beklagt hat. Kein Problem mit ZentralitätEin Grund dafür dürfte in der Nischenstrategie des Hauses liegen. Denn dessen 2016 erarbeitete Marschrichtung, bis 2020 in Westeuropa wieder ein bedeutender Spieler im Corporate und Commercial Banking zu werden, hat bislang offenbar nicht dazu geführt, dass die Bank Volumen auf breiter Front vor Ertragskraft stellt.Die Beschränkung auf die Nische sieht Meine als Versicherung gegen einen Renditeverfall. Wer zu den Marktführern zählen wolle und daher in der Hoffnung auf künftige Mandate über geraume Zeit in Geschäftsbeziehungen investiere, etwa durch Bereitstellung von Kreditlinien, erzielt im deutschen Markt bestenfalls eine Verzinsung von 6 bis 7 %, wie er im Juni erklärte. Neben der Auswahl der Sektoren sieht er in einer schlanken Kostenbasis einen weiteren Erfolgsfaktor. So greift die Bank vielfach auf Ressourcen der Zentrale zurück, etwa auf die Expertise der dortigen Green-Bond-Experten. Meine: “Wir haben kein Problem mit Zentralität.” Wette auf KreislaufwirtschaftNachdem das Haus auf den Trend zu mehr Nachhaltigkeit schon seit dem Neustart des deutschen Geschäfts 2017 gesetzt und etwa als erste europäische Bank einen Green Bond emittiert hat, macht Meine die Kreislaufwirtschaft als nächsten Mega-Trend aus: Als Kreislaufwirtschaft wird ein regeneratives System bezeichnet, in dem Ressourceneinsatz und Abfallproduktion, Emissionen und Energieverbrauch unter anderem durch langlebige Konstruktion, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung und Recycling minimiert werden. Meine: “Darauf stellen wir uns jetzt ein.” Deutschland sei zwar Recycling-Weltmeister, der Gedanke, Produkte etwa nach Gebrauch in ihre Einzelteile zu zerlegen und anderweitig zu verwenden, stecke in Deutschland aber noch in den Kinderschuhen. Dem Manager ist klar, dass dies eine Wette ist, die zunächst Investitionen erfordert, etwa in Gespräche mit Aufsehern über die Frage, welche Risikoaktiva solchen Engagements zuzuordnen sind. Der Druck komme aber zunehmend von den Kunden her, sagte er im Gespräch. Dabei hat er auf Sicht entsprechende Mandate für Beratungen, Kapitalmarkttransaktionen, aber auch für Kredite im Auge. Dieser Ansatz helfe der Bank zudem im Personalwesen, da er sie für jüngere Arbeitskräfte attraktiv mache, wird bei ABN Amro argumentiert. Green Bonds im MainstreamIm klassischen Kreditgeschäft zähle immer der Blick auf die Kredithistorie und damit in die Vergangenheit, meint Meine. Das Reizvolle an Finanzierungen einer Kreislaufwirtschaft sei, dass sich der Blick nach vorne richte. Bis Jahresende will der Konzern 100 entsprechende Projekte über 1 Mrd. Euro finanzieren. Ein Hemmnis dabei ist laut Meine gleichwohl, dass Unternehmen eigenen Angaben zufolge, um kreislauffähig zu werden, zunächst 80 % bis 90 % ihrer Prozesse umstellen müssten. Vorerst seien damit eher Start-ups Kandidaten für entsprechende Finanzierungen.Dass die Bank sich ungeachtet solcher Hemmnisse diesem Bereich zuwendet, hat nicht nur mit einem grünen Selbstverständnis und Offenheit für Neuerungen zu tun, sondern auch mit einer handfesten Meinung zur Entwicklung der Ertragskraft: Im Geschäft mit Green Bonds Überrenditen zu erzielen, wird Meines Einschätzung zufolge zunehmend schwerer fallen, je stärker auch die großen US-Banken diesem Trend folgen.