IM BLICKFELD

Abschied von der Lieblings-Police

Von Antje Kullrich, Düsseldorf Börsen-Zeitung, 17.9.2015 Als die Ergo in der vergangenen Woche per Zeitungsinterview den Abschied von der klassischen Lebensversicherung verkündete, war das nur ein kurzes Aufmerken, aber schon längst keinen Aufreger...

Abschied von der Lieblings-Police

Von Antje Kullrich, DüsseldorfAls die Ergo in der vergangenen Woche per Zeitungsinterview den Abschied von der klassischen Lebensversicherung verkündete, war das nur ein kurzes Aufmerken, aber schon längst keinen Aufreger mehr wert. Denn der drittgrößte deutsche Erstversicherer reiht sich ein in die immer länger werdende Schlange deutscher Lebensversicherer, die ihr jahrzehntelanges Brot-und-Butter-Geschäft beerdigen. Unter den Großen machte die Zurich den Anfang, die Generali unter ihrem neuen Chef Giovanni Liverani folgte mit der Ankündigung im Frühjahr, danach kam Talanx, und jetzt steigt eben auch die Ergo weitgehend aus konventionellen Produkten aus.Ein fest garantierter Zins ein Leben lang – zig Millionen Deutsche sind an das klassische Modell der Lebensversicherung gewöhnt und haben nicht nur eine, sondern häufig sogar mehrere Verträge abgeschlossen. Doch im anhaltenden Zinstief lässt sich damit langfristig kein Geld mehr verdienen, die Altbestände mit ihren besonders hohen Zusagen geraten sogar langsam zur manchmal existenziellen Gefahr. Für die Lebensversicherer, ihre Vertriebe und Kunden hat eine Phase der Neuorientierung begonnen. Wie groß der Kulturwandel sein wird, zeigt eine Zahl: Von gut 70 Mill. Lebensversicherungsverträgen sind laut Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft rund drei Viertel klassische Policen.Stephan Kalb von der Ratingagentur Fitch geht davon aus, dass auf mittlere Sicht praktisch der gesamte Markt dem konventionellen Modell der deutschen Lebensversicherung ade sagen wird. Ein Beschleuniger ist das neue europäische Eigenkapitalregime, das Anfang 2016 in Kraft tritt: Wer nach Solvency II die Kapitalerfordernisse für eine Rentenversicherung mit klassischem Garantiezins für einen 30-Jährigen rechne – die dann locker über 50 Jahre laufen könnte – merke, dass dieses Produkt wegen der hohen Anforderungen nicht mehr rentabel sei. “Die überwiegende Zahl der Lebensversicherer wird spätestens 2016 neue Produkte lancieren und forcieren”, glaubt Kalb.Selbst hartgesottene Verfechter des klassischen deutschen Lebensversicherungsmodells sind ins Grübeln gekommen. Die Debeka, die lange ausschließlich an unverrückbaren Garantiezinsen klassischer Art festgehalten hat, sagt mittlerweile auch: “Wir sind in einem Umstiegsprozess.” Seit wenigen Monaten verkaufen die Koblenzer Indexfonds-Produkte mit abgespeckten Garantieversprechen. Im Neugeschäft liefen die neuen Policen den vergleichbaren konventionellen Angeboten bereits den Rang ab, heißt es bei der Debeka. Im kommenden Jahr will der Versicherer auch ein hybrides Angebot für die Riester-Rente sowie die betriebliche Altersvorsorge auf den Markt bringen.Allianz und Ergo waren Mitte 2013 die ersten Gesellschaften, die mit neuen Konzepten und abgespeckten Garantien auf den Markt kamen. Wie rasant der Abschied von der klassischen Welt derzeit verläuft, zeigen die Zahlen der Marktführerin. Die Allianz hat seit dem Start ihrer neuen Konzepte 130 000 Policen davon verkauft. Im ersten Halbjahr 2015 kamen Produkte mit neuen Garantiemodellen bereits auf einen Neugeschäftsanteil von 63 % in der privaten Altersvorsorge.Führt der allmähliche Ausstieg aus der alten Welt zu einer stärkeren Konzentration in der deutschen Lebensversicherungslandschaft? Kleinere Gesellschaften hätten kaum die Kapazitäten, hybride kapitalmarktnahe Produkte mit eingebauten Garantien zu entwickeln, lauten manche Prognosen. In der Tat sinkt die Zahl der Lebensversicherer bereits seit Jahren. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Anbieter um mehr als ein Viertel auf 87 Gesellschaften geschrumpft.Dass die neuen Produktwelten den Trend verstärken, glauben aber nicht alle. “Wir werden unterschiedliche Innovationsgrade sehen”, hält Fitch-Analyst Kalb dagegen. Eine einfache Lösung wie eine Rentenversicherung mit Garantiezins nur in der Ansparphase und variablem Zins in der Rentenphase könnten auch kleinere Gesellschaften mit vergleichsweise wenig aktuariellen Kapazitäten konzipieren. Weicher AusstiegDoch wie kommen die deutschen Lebensversicherer am elegantesten aus dem Klassikgeschäft heraus? Einem harten Run-off haftet ein negatives Image an – aus Kundensicht durchaus zu Recht. Denn mit der Kompletteinstellung der konventionellen Geschäfts haben die Gesellschaften keinen Anreiz mehr, mehr als nur noch den Garantiezins zu zahlen. Andererseits wird so ihre Kapitalausstattung geschont.Die meisten Lebensversicherer in Deutschland dürften jedoch auf einen weichen Abschied, also ein rasches Abschmelzen des klassischen Geschäfts setzen. Das schont den Ruf und lässt im Falle einer nachhaltigen Zinswende sogar die Möglichkeit einer Rolle rückwärts zu – nämlich das erneute Hochfahren des Klassikgeschäfts. Die Marktführerin formuliert die Strategie ganz geschmeidig: “Für die Allianz geht es nicht darum, in der Altersvorsorge Türen zu schließen, sondern für unsere Kunden die richtigen Türen zu öffnen.”