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Abschiedsfeier für "ne joode Jung"

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 4.12.2018 Elf Jahre nach Beginn der Finanzkrise und eingedenk der Auswüchse, die die Weltwirtschaft damals an den Rand des Abgrunds getrieben haben, gibt es auch hierzulande nicht mehr allzu viele...

Abschiedsfeier für "ne joode Jung"

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtElf Jahre nach Beginn der Finanzkrise und eingedenk der Auswüchse, die die Weltwirtschaft damals an den Rand des Abgrunds getrieben haben, gibt es auch hierzulande nicht mehr allzu viele aktive Banker und Bankiers, die auf breiter Front als moralische Instanz wahr- und ernstgenommen werden. Alfred Herrhausen, der 1989 von der “Roten Armee Fraktion” ermordete Vorstandssprecher der Deutschen Bank, darf in dieser Hinsicht als das wohl prominenteste Vorbild in der jüngeren Geschichte gelten. Zu ihm schaute einst auch jemand auf, der von 1975 bis 1977 seine Banklehre bei den Blauen absolvierte und nach dem anschließenden BWL-Studium in der Ära Herrhausen verschiedene Positionen in der Corporate-Banking-Division des Hauses innehatte. Staatshilfe ausgeschlagenWolfgang Kirsch hieß der junge Mann. Heute, nicht mehr ganz so jung und seit gut zwölf Jahren Vorstandsvorsitzender der DZ Bank, gehört er zur Minderheit derjenigen, die nicht nur aus tiefster Überzeugung den Anspruch verfolgen, moralische Instanz zu sein, sondern damit vor allem auch vor den Augen einer nicht von ungefähr bankenkritischen Öffentlichkeit und der nicht minder bankenverdrossenen Politik absolut glaubwürdig bestehen können.Die genossenschaftliche Finanzgruppe, die in der Krise “das süße Gift der Staatshilfe” (Kirsch) für die DZ Bank ausschlug und sich und ihrem Spitzeninstitut stattdessen selbst half, ist auch in Sachen Reputation ein Krisengewinner, ebenso ihre Repräsentanten. Kirsch ist sich dessen sehr bewusst und kultiviert das Moralthema umso mehr, je länger Fehlentwicklungen, ob im Kontext mit der Krise oder unabhängig davon, ans Licht kommen. Dabei scheut er nicht davor zurück, seinem früheren langjährigen Arbeitgeber ein paar passende Worte ins Stammbuch zu schreiben. So prangerte er im April dieses Jahres die “Bonus-Unkultur” an, die vielerorts entstanden sei, eine Unkultur, die jedes Verständnis von unternehmerischer Verantwortung pervertiere.”Wie passt ein Bonus, der ,gute’, ja überdurchschnittliche Leistung honorieren soll, zu unterdurchschnittlicher Performance? Zu ausfallenden Dividenden? Zu Kapitalerhöhungen? Zum Einspringen des Steuerzahlers?” So lauteten Kirschs rhetorische Fragen in einer für ihn charakteristischen Rede beim Industrie- und Handelsclub Ostwestfalen-Lippe. Er regte an, wenn man schon herausragende Leistung weiterhin besonders honorieren wolle, im Falle ausbleibenden Erfolgs dann auch mal über Gehaltsverzicht nachzudenken. Ohne dass der Name “Deutsche Bank” fiel, wusste jeder im Auditorium, an wen sich der Appell jedenfalls auch richtete.Dass der am Jahresende ausscheidende 63-jährige DZ Bank-Chef als einer der Gutbanker im Lande weit über den Finanzplatz hinaus nicht nur gelitten, sondern vielmehr in höchstem Maße geschätzt wird, zeigt schon das Programm der Abschiedsfeier. Bei weitem nicht jedem aus dieser Zunft würde Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Ehre zukommen lassen, die Ansprache anlässlich des Wechsels in einen neuen Lebensabschnitt zu halten. Doch in diesem Fall ließ sich der frühere Bundesfinanzminister, der in Zeiten der Finanz- und Staatsschuldenkrise mit Kirsch so manche Schlacht geschlagen hat, nicht lange bitten. Kirsch wiederum ist anzumerken, wie sehr es ihn mit Stolz erfüllt, dass ihm am Donnerstag in Berlin ein ganz besonderer Redner die Reverenz erweisen wird. Obwohl ja die Banken gerade unter der Ägide Schäubles das eine oder andere Mal zu Kreuze kriechen mussten und darüber nicht gerade amüsiert waren, man denke nicht nur an die Regulierung, sondern vor allem auch an den Schuldenschnitt Griechenlands mit dem Segen der Bundesregierung. Andererseits weiß Kirsch, dass es in der Politik auch heute noch enormen Mutes bedarf, sich für Interessen der Kreditwirtschaft starkzumachen.Der Aufsichtsrat des genossenschaftlichen Zentralinstituts hat die Verabschiedung Kirschs auf der Einladung unter das Motto “ne joode Jung” gestellt. Das ruft nicht nur in Erinnerung, dass der gefeierte Bankchef aus Bensberg bei Köln stammt und dem rheinischen Frohsinn auch außerhalb des Karnevals keineswegs abhold ist. Dass Kirsch “ein guter Junge” ist oder, wie sein Fusionspartner von der WGZ Bank und späterer Vize im DZ Bank-Vorstand, Hans-Bernd Wolberg, einmal sagte, “ein prima Kerl”, damit lassen sich auch seine berufliche Lebensleistung, sein Wertesystem und seine persönliche Integrität gut auf den Punkt bringen. Ein Schreibtisch in der BankUnter der Führung Kirschs, der 2002 zum Kreditgenossen konvertierte und 2006 den Vorstandsvorsitz übernahm, hat sich die DZ Bank mit ihren Töchtern als eine der stabilsten, ertragsstärksten und von Ratingagenturen am besten bewerteten Bankengruppen Europas etabliert. So beschreibt er selbst die Verfassung des genossenschaftlichen Oberhauses, und dass es bei der Bank als Muttergesellschaft des Allfinanzkonzerns ohne Beteiligungserträge nicht ganz so rosig aussieht, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern liegt zumindest teilweise in der Natur der Sache: der Verbundstruktur. Das als notwendig erachtete, mit weiterem Stellenabbau verbundene “Ertüchtigungsprogramm” hat Kirsch noch auf seine Kappe genommen. Gerade rechtzeitig zum Ende seiner Amtszeit scheint nun auch die Sanierung der Transportfinanzierungstochter DVB Bank endlich Fortschritte zu zeitigen.Kirsch behält einen Schreibtisch (und etwas mehr) in seiner Bank, die er ohne irgendeinen speziellen Titel auch nach dem “Abschied” auf jede erdenkliche Weise unterstützen wird. In den Aufsichtsrat geht er nicht, dazu braucht es bei den Genossen ein Hauptamt. In die Politik zieht es den CDU-nahen Banker (ohne Parteibuch) mit sicherem Gespür für Maß und Mitte auch nicht. An Mandaten fehlt es aber nicht: Würth, Stiftung Marktwirtschaft, Frankfurt School, Städel Museum und etliches mehr – langweilig wird’s Wolfgang Kirsch nicht werden.