Adel, Arroganz und Abstieg
Es war ja eine gut funktionierende Privatbank.” Dieser Satz ist in Variationen schon mehrfach gefallen im eichengetäfelten Saal 210 des Kölner Landgerichts. Er spiegelt die noch immer herrschende Fassungslosigkeit wider angesichts der jüngsten Vergangenheit des einst so stolzen Traditionshauses Sal. Oppenheim. Seit Juni stehen in einem der größten Wirtschaftsprozesse der vergangenen Jahre die ehemalige Bankspitze sowie der Immobilienunternehmer Josef Esch wegen Untreue und Beihilfe dazu vor Gericht. Richterin Sabine Grobecker hat für das Mammutverfahren 86 Verhandlungstage angesetzt und schon der erste Teil offenbarte tiefe Einsichten in eine Struktur, die in der Krise spektakulär versagte. Die angeblich so gut funktionierende Privatbank fuhr gegen die Wand und musste 2010 von der Deutschen Bank aufgefangen werden. Die Sommerpause des Gerichts gibt Anlass zu einer ersten Zwischenbilanz.Der Prozess, der angesichts der festen, wenn auch für die Ex-Bankiers ungewohnten Rollenverteilung und der streng formalen Regie der Justiz an ein Kammerspiel erinnert, ist ein Lehrstück in Sachen mangelnde Kontrolle und Abwälzen von Verantwortung. Eingelullt von hohen Wachstumsraten, lange Jahre steigenden Gewinnen und dem Mythos der über 200-jährigen Firmengeschichte, die Unangreifbarkeit vorgaukelte, ging der Blick auf die Realität und die angehäuften Risiken, vor allem im Zusammenhang mit Arcandor, verloren. Die Geschichte fasziniert, weil sie von altem Adel und Gier erzählt und weil der Fall der einst so vornehmen Bankiers, die in ihren Hallen nur Kunden mit mindestens 3 Mill. Euro Liquidität empfingen, so tief ist. Und sie ist hochspannend, weil selten der Niedergang einer Unternehmung so detailliert öffentlich analysiert wurde wie in dem laufenden Strafprozess.Bei Sal. Oppenheim traten die potenziellen Risiken familiengeführter Unternehmungen in besonders krasser Form zutage. Die “Bankfamilie” – 40 Kommanditaktionäre im Wesentlichen aus den vier Oppenheim-Stämmen -, verstand sich als eingeschworene Gemeinschaft. Der Aktionärsausschuss mit Vertretern der Anteilseigner, der als Schatten-Aufsichtsrat – der tatsächliche war weitgehend entmachtet worden – die persönlich haftenden Gesellschafter kontrollieren sollte, vertraute den Partnern blind. Doch wenn Vertrauen in Sorglosigkeit umschlägt, wird es brenzlig. Die Bankfamilie verpasste ein ums andere Mal die Gelegenheit, gründlicher nachzuhaken. Anlässe, Anhaltspunkte und Mahner hätte es genug gegeben. Im ach so familiären Bankhaus existierte bereits seit den 90er Jahren eine Art Black Box: In die Geschäfte der Oppenheim-Esch-Gruppe hatten nur wenige Einblick. Nachfragen waren unerwünscht, wie der Fall des früheren Partners Johannes Maret zeigt. Der musste 2002 gehen, weil er Geschäfte von Oppenheim-Esch in Frage gestellt hatte. Der Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter, Matthias Graf von Krockow, ließ seinen Freund aus Kindertagen fallen.Warnungen aus den Fachabteilungen der Bank, so steht es in der Anklageschrift, wurden von der Bankspitze ignoriert. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise lief es oberflächlich rund bei dem Institut, dessen Bilanzsumme zwischen 1997 und 2007 von 7 auf 41 Mrd. Euro förmlich explodiert war. Der Aktionärsausschuss vertraute, die KPMG testierte und die vermögenden Privatkunden finanzierten auf Pump ihre Beteiligungen an den Oppenheim-Esch-Fonds. Jeder verließ sich darauf, dass ein anderer schon über die Geschäfte der Bank wachen würde.Das Abwälzen von Verantwortung ist auch im Prozess zu beobachten und hat zu einer Lagerbildung unter den Angeklagten geführt. Die angeklagten familienfremden Ex-Partner Friedrich Carl Janssen und Dieter Pfundt haben in bemerkenswerten Einlassungen auf Ahnungslosigkeit und Informationsdefizite gepocht und sich als Bankiers zweiter Klasse dargestellt. Selten war jemand rufschädigender in eigener Sache unterwegs. Wie weit die Versäumnisse strafrechtlich relevant sind, bleibt jedoch abzuwarten. Und wie weit das Gericht im Falle einer Verurteilung zwischen den Angeklagten abstuft, ist auch noch völlig offen.Die juristische Aufarbeitung des Falls Sal. Oppenheim wird Jahre dauern. Neben dem großen Strafverfahren sind zahlreiche Zivilprozesse bei verschiedenen Gerichten anhängig. Ein Fest für Anwälte, von denen im Strafprozess jeder Angeklagte mindestens zwei an seiner Seite weiß. Sie sind die, die mit Sicherheit als Gewinner aus dem Justizsaal gehen werden.——–Von Antje Kullrich ——- Der Oppenheim-Prozess gewährt seltene tiefe Einblicke in riskante und anfällige Unternehmensstrukturen und wird damit zum Lehrstück.