Advent, Advent, die Hütte brennt
Besinnlichkeit? Ach, Quatsch. Beschaulichkeit? Unfug. Zeit der Ruhe und der inneren Einkehr? Schön wär’s. Nein – diese Adventszeit wird – wie schon einmal vor zwei Jahren – alles andere als gemütlich und behaglich, zumindest in Brüssel. Dort herrschen gerade Betriebsamkeit und Hektik vor, denn es gibt noch unendlich viele Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub dulden. Oder besser gesagt: Dinge, deren Abschluss die Regierungschefs bis Ende des Jahres versprochen haben. Und wer ein guter Fachbeamter sein möchte, der hält die Zusagen ein, die sein Premierminister, sein Präsident oder seine Kanzlerin gemacht haben. Stille Nacht, eilige Nacht – in diesen Wochen sind die Verhandlungssäle im Justus-Lipsius, im Charlemagne und im Altiero Spinelli nachts länger beleuchtet als die belgischen Autobahnen – und das will etwas heißen. Mit dem Effekt, dass mancher Diplomat, mancher EU-Beamter und mancher Europaabgeordneter derzeit seinen Schlaf aufs Wochenende verlegt. *Freilich soll jetzt nicht der Eindruck entstehen, man müsse Mitleid mit überarbeiteten Bürokraten bekommen. Die haben immerhin auch dieses Jahr – zumindest gefühlt – nicht nur alle evangelischen und katholischen Feiertage begangen, sondern gleich auch noch alle jüdischen, muslimischen und buddhistischen. Ganz zu schweigen vom 9. Mai, dem Europatag, der einzig und allein dadurch auffällt, dass alle EU-Behörden blaumachen dürfen. Und: Zur Belohnung dafür, dass jetzt im Advent die Hütte brennt, gibt es ab Frühjahr in der Tat einige Monate der Ruhepause und Entspannung. Denn weil im Laufe des nächsten Jahres das europäische Spitzenpersonal fast komplett ausgetauscht wird, dürfte der Gesetzgebungsapparat erst einmal zum Erliegen kommen. Insofern muss niemand die Weltgesundheitsorganisation alarmieren, selbst wenn die nächsten Wochen recht anstrengend werden dürften.Natürlich gilt das längst nicht für alle Spieler auf der politischen Bühne in Brüssel. Nehmen Sie zum Beispiel diejenigen, die aktuell auf Abendveranstaltungen oder in Interviews versichern, dass das von ihnen betreute Dossier ganz gewiss noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Vergessen Sie’s! Bei allen, die sogar noch Zeit haben, an Diskussionsrunden teilzunehmen, können Sie ziemlich sicher davon ausgehen, dass es nichts wird mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens – sonst säßen sie ja irgendwo im Sitzungssaal, statt öffentlich über ihre Arbeit zu bramarbasieren. Verdächtig sind zudem alle, die Ihnen signalisieren: “Ganz unter uns, wir stehen kurz vor der Einigung.” Solche vertraulichen Ansagen sind eher als Kontraindikator einzuschätzen. Falls Sie hingegen auf dem Flur einem sichtlich erzürnten Unterhändler begegnen, der etwas zischt wie “diese sturen Franzosen” oder “diese bockigen Deutschen”, ist höchste Aufmerksamkeit angesagt – dann kann es mit der Einigung tatsächlich schnell gehen. Denn in Trilogen gilt das dialektische Prinzip einer guten Ehe: Um sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, muss es zuvor erst mal richtig krachen. Konfliktfreie Verständigung gibt es nicht einmal im Kinderladen oder im Faschingsverein, geschweige denn in den EU-Schlussverhandlungen über Mifid oder Prips. *Und was heißt das nun alles? Wenn Sie derzeit mit einem Diplomaten reden, so lautet die Botschaft: Regeln über Bankkonten, Kartengebühren, Produktinformationszettel oder Trennbanken werden kaum mehr das Amtsblatt erreichen. Alle Kräfte konzentrieren sich auf Abwicklungsrichtlinie, Abwicklungsmechanismus, Einlagensicherungsrichtlinie – und mit etwas Glück auf die Kapitalrichtlinie (Mifid II). Allein damit werden Staatssekretäre und Minister schon ihre liebe Last haben. In der Woche vor dem 20. Dezember sollten Sie, falls Sie mit europäischen Regulierungsthemen zu tun haben, sich übrigens nicht zu viel vornehmen. Es wäre alles andere als überraschend, wenn es ein Ecofin-Sondertreffen gäbe. Damit die letzten Gesetzespakete eben doch noch vor Weihnachten fertiggeschnürt werden. Schließlich freuen sich doch alle auf eine schöne Bescherung.