Adyen und Wirecard: Wurzeln gleich, Schicksale verschieden
Von Stefan Kroneck, MünchenAdyen und Wirecard: zwei europäische Online-Zahlungsdienstleister mit den gleichen Wurzeln aus der Start-up-Szene, aber unterschiedlichen Entwicklungen binnen weniger Jahre. Während das im September 2018 in den Dax aufgestiegene Unternehmen Wirecard nach einem aufgedeckten Bilanzskandal unter der Last hoher Bankschulden zusammenbrach und nun ein Insolvenzfall ist, gedeiht der Wettbewerber aus den Niederlanden so prächtig, als würde ihn der Niedergang des deutschen Rivalen nichts angehen.Und in der Tat ist das erst vor zwei Jahren an die Börse gegangene Fintech mit Sitz in Amsterdam gar nicht an Teilen von Wirecard interessiert, um dem eigenen dynamischen Wachstum mitten in der Coronakrise noch mehr Schub zu geben. Wie dieser Tage Adyen-Kommunikationschef Hemmo Bosscher im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erklärte, wird man kein Angebot für Einheiten der Firma aus Aschheim bei München abgeben (vgl. BZ vom 3. Juli). Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG, der Münchner Rechtsanwalt Michael Jaffé, muss also nicht mit einem Schreiben aus der niederländischen Hauptstadt rechnen.Mit Blick in den Geschäftsbericht 2019 setzt Adyen auf eine weltweite Expansionsstrategie aus eigener Kraft. Für die Niederländer zählt mehr das organische Wachstum als Zukäufe in fernen Regionen, wie es der frühere Gründer und langjährige Vorstandschef von Wirecard, der Österreicher Markus Braun (51), betrieben hatte. Der fast gleichaltrige Adyen-CEO Pieter van der Does setzt vielmehr auf den Ausbau des Geschäfts mit Gründung neuer Standorte in Übersee, um das Wachstum voranzutreiben. Mehr Dynamik in AmsterdamMit diesem Konzept ist der Holländer offensichtlich viel erfolgreicher unterwegs als Wirecard. Während Adyen im vergangenen Jahr den Bruttoumsatz auf 2,7 Mrd. Euro mehr als verdoppelte und dadurch fast auf das Niveau der Bayern herankam, schaffte Wirecard “nur” ein Erlösplus von 40 % auf 2,8 Mrd. Euro.Ob aber die vor dem aufgedeckten Bilanzloch in Milliardenhöhe veröffentlichte vorläufige Umsatzzahl richtig ist, lässt sich aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr herausfinden, stellte doch die Konzernführung zuletzt sämtliche Zahlen der jüngsten Vergangenheit selbst in Frage infolge der mutmaßlichen Bilanzfälschungen.Denn das vermutlich nur auf dem Papier existierende Drittlizenzgeschäft vor allem in Asien machte geschätzte rund 40 % der Konzernerlöse aus. Wenn sich das in den Ermittlungen der Strafverfolger bewahrheiten sollte, hätte Adyen Wirecard bereits längst überholt gehabt. Während der Abschlussprüfer Ernst & Young (EY) aufgrund der strafrechtlich relevanten Verdachtsmomente sein Testat verweigerte, verpasste der EY-Konkurrent PricewaterhouseCoopers Adyen für 2019 eine uneingeschränkte Bestätigung. Augenfällig hohe MargeIm Zahlenvergleich ist besonders augenfällig, dass Wirecard bei ähnlicher strategischer Ausrichtung mit einer operativen Marge von 28 % viel profitabler unterwegs gewesen sein soll als Adyen (10,5 %). Das deckt sich mit früheren Angaben des mittlerweile von der Münchner Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführten Braun. Der Ex-CEO erklärte die auffällig hohe Umsatzrendite von Wirecard vor allem mit Effizienzsteigerungen und Skaleneffekten auf einer vereinheitlichten IT-Plattform bei den in der Gesamtheit vielen Transaktionen für die Einzelhändler. Komisch nur, dass Adyen beim gesamten Transaktionsvolumen ebenfalls durch die Decke ging, ohne jemals das Renditeniveau des Wettbewerbers erreicht zu haben. Für Beobachter war diese Divergenz immer ein Rätsel gewesen. Mancher Analyst schaute darüber hinweg und gab sich mit den Erklärungen des Vorstands zufrieden. Manche Außenstehende munkelten, dass möglicherweise die Zahlungsdienste von Wirecard für die Schmuddelbranchen Rotlichtmilieu und Glücksspiel ursächlich gewesen sein könnten. Doch niemand konnte sich dieses Phänomen erklären. Die aufgedeckten Machenschaften bei Wirecard geben nun Anlass zu der Vermutung, dass auch die angegebenen operativen Margen ein Schwindel waren. In dem zuletzt von Wirecard veröffentlichten Zwischenbericht zum 30. September 2019 war das Asien-Geschäft einen Tick profitabler als die Aktivitäten in Europa und in Amerika. Einen Großteil der bilanzierten Asien-Aktivitäten hat es aber womöglich gar nicht gegeben.Die “Financial Times” will auf Basis von Erkenntnissen des früheren Sonderprüfers KPMG derweil entdeckt haben, dass Wirecard mit den mutmaßlichen Luftbuchungen wohl auch Verluste im eigenen Kerngeschäft kaschieren wollte. In Europa und Amerika hätten die unter Wirecard-Kontrolle stehenden Gesellschaften rote Zahlen geschrieben.Schlussendlich heißt das, dass trotz ähnlicher Start-up-Wurzeln Corporate Governance und Compliance bei Adyen mit dem Wachstum Schritt hielten, während bei Wirecard Defizite auf diesen Feldern den Nährboden bereiteten für das Fiasko.