Aktive Strategien stellen Anleger vor Herausforderungen

Smart-Beta-ETF wachsen in Europa überdurchschnittlich - Gemischte Bilanz - Positive Nachrichten sorgen für Mittelzufluss

Aktive Strategien stellen Anleger vor Herausforderungen

Die europäische ETF-Branche eilt von Rekord zu Rekord. Ende 2015 ist das in europäischen Exchange Traded Funds (ETF) verwaltete Vermögen nach Morningstar-Daten auf das Rekordniveau von 467,41 Mrd. Euro gestiegen nach 377,03 Mrd. Euro zum Vorjahresende. Das lag vor allem an Mittelzuflüssen, die bei Aktien- und Renten-ETF jeweils neue Rekorde markierten. Aktien-ETF gingen 2015 nach unseren Absatzschätzungen 42,71 Mrd. Euro netto zu, Bond-ETF verbuchten Nettozuflüsse von 23,39 Mrd. Euro.Befeuert wird dieses Wachstum auch von einem positiven Newsflow. ETF stehen als günstige, transparente und effiziente Anlagevehikel im Scheinwerferlicht. Derweil sind aktive Strategien in den vergangenen Jahren bei vielen Anlegern in Verruf geraten: zu teuer, oft zu nah am Vergleichsindex orientiert und (infolgedessen) schwache Renditen sind einige Schlagworte der aktuellen Debatte über aktives Management. Die ETF-Industrie genießt gerade, und das ist keinesfalls eine gewagte These, den Lauf ihres Lebens.Kein Wunder, dass die Entscheider der ETF-Industrie in dieser Situation bestrebt sind, das Momentum beizubehalten. ETF-Anbieter bringen vermehrt semiaktive Strategien auf den Markt und wildern damit noch stärker in der Domäne aktiver Manager. Das Zauberwort lautet Strategic Beta, das in der Marketingsprache der Anbieter auch als “Smart Beta” bezeichnet wird. Dahinter stehen Produkte, die den Anspruch haben, ein besseres Rendite-Risiko-Profil zu erzielen als vergleichbare, nach Markt- bzw. Schuldenkapitalisierung gewichtete Indizes. Anleger werden immer mehr mit Indexprodukten konfrontiert, die im Namen Begriffe wie “Value”, “Growth”, “Minimum Variance”, “Quality” oder “Maximum Dividend” tragen.Doch ist das, was für Anbieter gut ist, auch für Anleger sinnvoll? Morningstar nimmt bereits seit einigen Jahren die neue Generation der Indextracker unter die Lupe, um Transparenz für den Anleger zu schaffen. Dafür haben wir eine Taxonomie entwickelt, die Anlegern ein besseres Verständnis der Eigenschaften dieser Produkte, ihres Anspruchs und der Realität zu ermöglichen. Nach unserem Verständnis weisen Strategic-Beta-Produkte typischerweise folgende Gemeinsamkeiten auf:- Sie basieren auf Indizes.- Sie bilden Indizes insofern auf unkonventionelle Weise ab, als sie einen aktiven Part in ihrer Methodik aufweisen, der normalerweise darauf ausgelegt ist, die Rendite zu verbessern oder das Risikoprofil relativ zum Standardindex zu modifizieren.- Die zugrunde liegenden Benchmarks haben eine kurze Performance-Historie und wurden mit dem einzigen Ziel aufgesetzt, als Grundlage für ein Investmentprodukt zu dienen.- Die Produkte sind tendenziell günstiger als aktiv gemanagte Fonds.- Gleichzeitig sind sie aber oft wesentlich teurer als reine Betaprodukte, wie z. B. der Euro Stoxx 50 Index.Kommen wir nun zu den Anlagezielen dieser Produkte. Wir teilen die alternativen Indextracker in drei Gruppen auf: renditeorientierte Strategien, risikoorientierte Strategien und “Sonstige”. Renditeorientierte Strategien versuchen, die Performance relativ zum Standardindex zu verbessern. Value- und Growth-Benchmarks sind hierfür ein gutes Beispiel. Andere renditeorientierte Strategien versuchen, bestimmte Renditequellen abzuschöpfen, wie z. B. Dividenden- oder Quality-Produkte. Indes versuchen risikoorientierte Strategien das Risiko relativ zum Standardindex zu verringern. Low-Volatility- und Minimum-Variance-Strategien sind wohl die bekanntesten Varianten in dieser Kategorie. Zuletzt erfasst die Gruppe “Sonstige” eine Vielfalt von Strategien, angefangen bei unkonventionellen Rohstoff-Benchmarks bis hin zu gemischten Multi-Asset-Indizes. Knapp 7 Prozent MarktanteilInzwischen gibt es 332 Strategic-Beta-Produkte auf dem europäischen ETF-Markt, die per Ende 2015 gut 31,56 Mrd. Euro auf die Waage brachten. Per Ende 2014 hatte das Vermögen noch bei 23,71 Mrd. Euro gelegen. Inzwischen beläuft sich der Marktanteil von Strategic-Beta-ETF am gesamten europäischen ETF-Markt auf 6,8 %. Ende Juni 2014, zum Zeitpunkt der Einführung der Morningstar-Taxonomie zu diesem Marktsegment, lag der Anteil noch bei 5,6 %. Dabei wachsen Strategic-Beta-Produkte überdurchschnittlich im Vergleich zu herkömmlichen ETF. Die Mittelflüsse beliefen sich 2015 auf 6,97 Mrd. Euro.Der europäische Markt für Strategic-Beta-ETF wird von Dividendenprodukten geprägt, die wir den renditeorientierten Strategien zuordnen. Diese ETF, welche die Indexbestandteile zumeist anhand ihrer Dividendenrendite filtern und gewichten, brachten per Ende vergangenen Jahres 15,69 Mrd. Euro auf die Waage, knapp die Hälfte des in Strategic-Beta-ETF investierten Vermögens. Der Erfolg von Dividendenstrategien sollte vor dem Hintergrund des heutigen Niedrigzinsumfelds nicht überraschen. Die zweite wichtige Produktgruppe, die stärker wächst als Dividendenstrategien, sind risikoorientierte Strategic-Beta-ETF. Sie bringen zwar nur 4,3 Mrd. Euro auf die Waage, verzeichnen aber überproportional hohe Mittelzuflüsse im Vergleich zu Dividendenprodukten. Erst kurze HistorieDoch wie fällt die Bilanz dieser Produkte aus Anlegersicht aus? Aufgrund der recht geringen Historie dieser Produkte kann der Versuch, eine Erfolgsbilanz zu ziehen, bestenfalls eine Momentaufnahme sein. Dennoch wollen wir uns die beiden größten Produktgruppen vornehmen und sie auf ihren Erfolg mit Blick auf ihre Ansprüche abklopfen. Wie sieht die Bilanz von Dividendenprodukten aus? Wie haben die risikoorientierten ETF das Anlegergeld geschützt? Weil der Strategic-Beta-ETF-Markt in Europa recht kopflastig ist und das Vermögen auf relativ wenige Produkte verteilt ist, blicken wir auf die jeweils zehn größten Produkte.Kommen wir nun zu den größten Dividenden-ETF in Europa, die in der Tabelle nach Vermögen sortiert sind. Bei den meisten Produkten sind die Dividendenrenditen das Konstruktionsprinzip. Die Aktien werden anhand der höchsten Ausschüttungsquoten gewichtet. So der Fall bei der Select-Dividend-Indexserie von Stoxx. Bei anderen Produkten fungieren die Dividendenrenditen dagegen nur als erster Filter, und das Portfolio wird dann nach der Marktkapitalisierung gewichtet. So etwa beim DivDax. Zu unterscheiden ist auch zwischen Dividendenstrategien, bei denen die tatsächlich gezahlten Dividenden im Fokus stehen (wiederum ETF auf die Select-Dividend-Indizes von Stoxx) und solchen, bei denen die prognostizierten Ausschüttungen als Gewichtungskriterium festgelegt sind, so bei Dividendenindizes des Anbieters FTSE.Wie die Übersicht zeigt, hat der iShares UK Dividend, ein Dividenden-ETF für britische Standardwerte, in den vergangenen drei Jahren die höchste Überrendite gegenüber dem FTSE All Share erwirtschaftet. Dieser ETF dürfte sich vorwiegend in den Portfolios britischer Anleger finden. Deutlich bescheidener war die Überschussrendite des iShares Euro Dividend, die seit Ende 2012 kumuliert nur bei 4,61 % lag. Der iShares Developed Markets Property Yield, ein Immobilien-Dividenden-ETF, lag nur 2,19 Punkte vor dem Kategorieindex FTSE EPRA/NAREIT Global. Hiernach wird die Performance-Bilanz der ETF in der Liste negativ. Kein anderer ETF konnte gegenüber einem adäquaten marktkapitalisierungsgewichteten Index einen Mehrwert erzielen. Ergebnis überrascht nichtDass Dividenden-ETF in den vergangenen Jahren schwach abschnitten, dürfte nicht überraschen: Häufig finden sich in solchen Produkten Aktien, deren Dividendenrenditen aufgrund schwacher Kursentwicklung überdurchschnittlich hoch sind, etwa Versorger, Energietitel und auch Banken. Renditeorientierte ETF sollten nach unserem Verständnis ein besseres Renditeprofil aufweisen als vergleichbare herkömmliche Indizes. Nach diesem Maßstab fällt das Ergebnis durchwachsen aus.Kommen wir nun zu den ETF, deren Ziel es ist, das Risikoprofil zu optimieren. Bei diesen Produkten haben wir uns nicht auf die Überrendite konzentriert, sondern auf den maximalen Verlust. Wie gut haben diese Produkte die Verluste in den vergangenen drei Jahren begrenzt?Im Gegensatz zu Dividenden-ETF fällt die Zwischenbilanz der Gruppe der Risikobegrenzer recht ermutigend aus. Die Drawdowns wurden im Vergleich zu den jeweiligen Kategorieindizes überwiegend begrenzt. Eine prominente Ausnahme ist hier der Ossiam US Minimum Variance ETF, der stärker nachgab als der Kategorieindex Russell 1 000.Anleger müssen sich darüber im Klaren sein, dass nicht nur Strategic-Beta-ETF, sondern auch die Indizes, die diese abbilden, nur eine geringe Historie aufweisen. Da das Handeln von Investoren zukunftsgerichtet ist, müssen sie sich Gedanken darüber machen, wie stabil die Eigenschaften dieser Strategien künftig sein werden. Es ist beispielsweise nicht ausgemachte Sache, dass Aktien mit einer niedrigen Volatilität immer günstigere Eigenschaften aufweisen werden als der breite Markt. Handelt es sich hier um eine Anomalie, die über die Zeit wegarbitriert wird, oder um einen stabilen Faktor, der Portfolios langfristig stabilisieren helfen kann? Investment verlangt mehrDie Antworten auf diese Fragen müssen natürlich offen bleiben. Wichtig ist indes, dass sich Anleger die Relevanz solcher Fragen bewusst machen. Zudem muss ihnen auch klar sein, dass ihnen Strategic-Beta-ETF einiges abverlangen. In klassische ETF zu investieren, ist im Prinzip einfach; man entscheidet sich für einen bestimmten Markt und investiert, um langfristig Beta abzugreifen. Anders bei Strategic-Beta-ETF. Sie verlangen nicht nur eine eingehende Analyse der (sehr heterogenen) Strategien am Markt, sondern machen aus Anlegern im Zweifel Market-Timer. Denn auch wer überzeugt ist, dass ein bestimmter Faktor über die Zeit günstige Eigenschaften mit sich bringt, muss einschätzen können, welcher Marktzyklus den größten Erfolg für diesen Faktor oder diese Strategie verspricht. Wer sich bei solchen Ansätzen für ein Buy and Hold Investment entscheidet, muss bereit sein, unter Umständen längere Durststrecken zu ertragen. Viele Anleger in Value-Strategien können hiervon ein Lied singen.—Ali Masarwah, Chefredakteur Morningstar Deutschland