Aktuare zweifeln an Pandemiebonds

Versicherungsmathematiker feilen an einem Modell - Beifall für öffentlich-private Versicherungslösung

Aktuare zweifeln an Pandemiebonds

Die Assekuranz diskutiert über die künftige Deckung von Pandemierisiken. Ohne den Staat wäre eine Versicherung viel zu teuer, merkt die Deutsche Aktuarvereinigung an. Bei einem möglichen Transfer von Pandemierisiken an den Kapitalmarkt sehen die Mathematiker Probleme.Von Antje Kullrich, KölnDie Mathematiker in der Versicherungswirtschaft befürworten eine öffentlich-private Kooperation für eine künftige Pandemiedeckung, sehen aber viele ungelöste Probleme. “Die Grundidee eines Public-Private Partnership für den Versicherungsschutz im Pandemiefall ist grundsätzlich richtig”, sagte Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Denn die dafür nötigen Volumina sind rein privatwirtschaftlich nicht zu stemmen.”DAV-Vorstandsmitglied Rainer Fürhaupter hat es für das Hotel- und Gaststättengewerbe durchgerechnet. Die Branche macht pro Jahr einen Umsatz von rund 90 Mrd. Euro. Bei einer vollständigen Schließung wie im März/April sei von einem Schaden von gut 1 Mrd. Euro pro Woche auszugehen. Das entspreche jedoch dem Schadenaufkommen in der gesamten Schaden- und Unfallversicherung in Deutschland pro Woche – also dem, was die Versicherungswirtschaft für alle Auto-, Hausrat- oder Wohngebäudeschäden zusammen normalerweise in einer Woche zahlt. “Ein Lockdown führt zu einem 100-Prozent-Schaden bei 100 % der Versicherungsnehmer”, sagte Fürhaupter. “Würden wir das einkalkulieren, würde das grob gerechnet zum Zehnfachen an Beitrag in der Betriebsschließungsversicherung führen. Dies würde kein Mensch mehr kaufen.” Wie auch immer eine Gesamtlösung aussehen könnte – sie müsse bezahlbar bleiben.Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) feilt in einer Arbeitsgruppe gerade an einem Konzept für eine Pandemieversicherung, die neben einer privatwirtschaftlichen und öffentlichen Beteiligung auch eine Kapitalmarktkomponente in Form von Pandemiebonds vorsieht. Die Aktuare sehen gerade hier viele offene Fragen. Ein Problem sei es, ein solches Kapitalmarktprodukt zu operationalisieren, erläuterte Bader. Welcher Auslöser komme zum Tragen, das heißt, wann komme ein Bond teilweise oder ganz zur Auszahlung, was wiederum einen Kapitalverlust der Investoren bedeute? Die Erklärung des Pandemiefalls durch die Weltgesundheitsorganisation WHO oder den von Regierungen angeordneten Lockdown halten die Aktuare für keinen guten Trigger. “Wir brauchen einen sachlichen, nicht beeinflussbaren Auslöser”, konstatiert Bader. Viele offene FragenWenn überhaupt, müssten medizinische Faktoren als parametrische Trigger dienen, wie etwa die Zahl der Infizierten pro 100 000 Einwohner kombiniert mit der Zahl der Todesfälle. Allerdings zeigt die aktuelle Pandemie gerade die Schwierigkeiten solcher Größen. Die Datenlage ist vielerorts nicht zuverlässig und stabil. “Wir haben aus dem Stand keine geeigneten Trigger. Das bedarf auch des Inputs von Virologen”, sagt Bader. Verlässlichkeit sei bei der Konstruktion von Katastrophenanleihen von enormer Bedeutung. Für Unsicherheit verlangten Investoren zusätzliche Prämien in Form höherer Renditen.Ein weiteres Problem von Pandemiebonds ist ihre “hochgradige Korrelation mit Aktien- und Rentenmärkten”, wie es Guido Bader ausdrückt. Katastrophenanleihen als Alternative zur traditionellen Rückversicherung werden von Investoren am Kapitalmarkt gerade deswegen so gerne gekauft, weil sie in der Regel eben nicht mit anderen Assetklassen korrelieren. Erdbeben oder Stürme finden unabhängig von Entwicklungen an den Märkten statt. In einer Pandemie mit einem Shutdown der Wirtschaft wären Pandemiebonds dann betroffen, wenn gleichzeitig die Kurse an anderen Märkten fallen. Diese Korrelation sei ebenfalls preistreibend. Man müsse austesten, ob am Ende eine Kapitalmarktkomponente nicht zu teuer sei, meint Bader.Nach seiner Ansicht braucht es Zeit, eine ganzheitliche Lösung für einen Pandemieschutz zu entwickeln. Dann dürften auch die Investoren am Kapitalmarkt etwas gelassener als jetzt reagieren. “Gründlichkeit und Überlegung sollten vor Geschwindigkeit gehen”, mahnt der Aktuar-Vorsitzende. Kleiner MarktTrotz seiner Skepsis will Bader die Möglichkeit einer Einbeziehung des Kapitalmarkts nicht ganz ausschließen. Eine kleine Schicht zwischen der privatwirtschaftlichen Deckung und dem staatlichen Schutz könnten Pandemiebonds eventuell abdecken. Für größere Volumina sei aber der Markt für Katastrophenanleihen generell zu klein. Im Cat-Bond-Markt, der in der Nische wächst, sind Emissionen im dreistelligen Millionenbereich bislang die Regel.