"Alle Banken rekapitalisieren"
Die Krise könnte von der Realwirtschaft auf den ohnehin geschwächten Bankensektor der Eurozone überspringen, fürchtet der Finanzwissenschaftler Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Management. Abhilfe verschaffen könnte ein Rezept der US-Regierung aus dem Jahr 2008.Von Anna Sleegers, FrankfurtDamit aus der von der Pandemie ausgelösten Krise der Realwirtschaft keine Bankenkrise wird, sollten die Banken der Eurozone so schnell wie möglich rekapitalisiert werden, findet Sascha Steffen, Finanzprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management. “Wir sollten es machen wie die USA nach der Lehman-Pleite”, sagte er am Donnerstag in einer virtuellen Journalistenrunde. Mit dem Troubled Assets Relief Program (TARP) hatte die US-Regierung innerhalb kurzer Zeit die Zweifel an der Stabilität des Bankensektors ausgeräumt.Der durch die Ausgangsbeschränkungen eingetretene weitgehende Stillstand der wirtschaftlichen Aktivitäten lässt die Liquidität der Unternehmen derzeit in rasanten Tempo wegtrocknen. Steffen wies auf den selbstverstärkenden Effekt derartiger externer Schocks hin. Unternehmen, denen plötzlich die Einnahmen wegbrechen, ohne dass sie die Möglichkeit haben, ihre laufenden Kosten zu reduzieren, brauchen dringend Liquidität. Um sich diese zu sichern, ziehen sie von den Banken gewährte Kreditlinien, die daraufhin die Vergabe neuer Kredite zurückfahren.Dieser Prozess ist bereits im Gange. Schon vor 14 Tagen, als das Ausmaß der Krise in breiten Teilen der Bevölkerung noch gar nicht angekommen war, schockte der US-Flugzeugbauer Boeing die Märkte mit der Nachricht, dass er langfristige Kreditlinien in Höhe von 13,8 Mrd. Dollar in Anspruch nimmt. Die Hotelketten Hilton International und Wynn Resorts sollen Bloomberg zufolge Kreditfazilitäten von insgesamt 2,5 Mrd. Dollar in Anspruch genommen haben. Das Phänomen ist nicht auf die USA begrenzt: Auch KLM Air-France soll bereits Kreditlinien gezogen haben, und Lufthansa verwies in einer Mitteilung jüngst auf bestehende Kreditzusagen in Höhe von 800 Mill. Euro.Wenn Kreditlinien gezogen werden, schwellen die Kreditbücher selbst dann an, wenn sie gar keine neuen Kredite mehr vergeben. Diesen Effekt haben Victoria Ivashina und David Scharfstein von der Harvard Business School in einer von Steffen zitierten Studie über die Kreditvergabe der US-Banken während der Finanzkrise 2008 eindrucksvoll nachgewiesen (siehe Grafik). Steigender KapitalbedarfEin Grund dafür ist der steigende Kapitalbedarf: Wenn aus Kreditlinien Kredite werden, müssen sie mit deutlich mehr Eigenkapital unterlegt werden. Auf die US-Banken, die laut einer Statistik der US-Einlagensicherung Ende 2019 Kreditzusagen in Höhe von 2,5 Bill. Dollar ausstehen hatten, rollt damit ein gewaltiger Kapitalbedarf zu. Fast zwei Drittel der Kreditlinien entfallen auf die vier Großbanken J.P. Morgan Chase, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo. “Dank ihrer hohen Profitabilität sind diese Institute zum Glück besser mit Kapital ausgestattet als die meisten europäischen Banken”, sagte Steffen.Zugleich gebe es hierzulande weniger Transparenz über Zusagen und Inanspruchnahme von Kreditlinien: “Ich vermute jedoch, dass die Situation von der Tendenz her ähnlich ist wie in den USA.” Dank der verschärften Anforderungen seien auch die europäischen Banken besser kapitalisiert als 2008.Die vom Bundestag im Schnelldurchgang beschlossenen Maßnahmen zur Abmilderung des Schocks für die Realwirtschaft lobte Steffen ausdrücklich. Zugleich gab er zu bedenken: “Nicht alle Länder in Europa werden so entschieden auf den Corona-Schock reagieren können wie Deutschland.”Er erinnerte an die europäische Staatsschuldenkrise, die sich schnell für fast alle Banken der Eurozone als Problem entpuppt habe” und warnte davor, Länder wie Italien mit dem Problem allein zu lassen. Besser sei es, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu nutzen, um alle Banken der Eurozone zu rekapitalisieren. Refinanziert werden könnte dies durch gemeinsame Anleihen, die er angesichts der außerordentlichen Krisensituation wie viele Ökonomen befürwortet.Der Wettbewerbsfähigkeit der Finanzbranche könnte der Vorschlag langfristig helfen. Die Tatsache, dass sich die deutschen und europäischen Banken in der Finanzkrise erfolgreich gegen die amerikanische Art der “Zwangsbeglückung” wehrten, gilt als wichtige Ursache für ihre bis heute im Vergleich zu den US-Wettbewerbern prekäre wirtschaftliche Lage. Während die US-Banken den Staat längst wieder ausbezahlen konnten, hängen viele europäischen Banken, die es wie etwa die Commerzbank oder ABN Amro nicht ohne Steuergeld schafften, noch immer am Staatstropf.