GASTBEITRAG

Alle verpflichten statt Vorreiter ausbremsen

Börsen-Zeitung, 27.9.2019 Die EU-Taxonomie zu "sustainable finance" ist, das muss man anerkennen, ein großer Wurf. Es ist der Technical Expert Group (TEG) gelungen, einen sinnvollen Ansatz zur Definition von Klimaausrichtung am Finanzmarkt...

Alle verpflichten statt Vorreiter ausbremsen

Die EU-Taxonomie zu “sustainable finance” ist, das muss man anerkennen, ein großer Wurf. Es ist der Technical Expert Group (TEG) gelungen, einen sinnvollen Ansatz zur Definition von Klimaausrichtung am Finanzmarkt vorzuschlagen. Ausgehend von der in der europäischen Statistik verwendeten Klassifikation von Industriezweigen im sogenannten NACE-Kodex werden in der Taxonomie in einem ersten Schritt jene Industriezweige, die höchste Relevanz für den Klimaschutz haben, ausgewählt. In einem zweiten Schritt werden Bedingungen im Sinne von Schwellenwerten formuliert, die diese Aktivitäten erfüllen müssen, um als nachhaltig zu gelten. Außerdem müssen weitere ökologische und soziale Mindestkriterien erfüllt werden. Inhalte noch prüfenInhaltlich wird man sich mit den getroffenen Entscheidungen noch auseinandersetzen müssen, etwa mit den festgelegten Grenzwerten und der Frage, welche Aktivitäten als nachhaltig eingestuft werden und welche nicht. So kann Massentierhaltung unter bestimmten Bedingungen nachhaltig sein, während der Schienentransport von fossilen Energien prinzipiell ausgeschlossen ist. Anlass zur Kritik gibt jedoch zunächst vor allem die geplante Anwendung der Taxonomie.Erstens geht es um die Zusammensetzung der Technical Expert Group (TEG). Die Aufgabe der TEG bestand darin, eine Taxonomie zu entwickeln, mit der definiert wird, welche Investitionen “nachhaltig”, im ersten Schritt gleichbedeutend mit “klimafreundlich” sind. Keines der TEG-Mitglieder legt allerdings einen nennenswerten Anteil seines Vermögens nachhaltig an. So schrieben Allianz Global Investors, Zürich Versicherungen und BNP Paribas eine Anleitung für klimafreundliches Investieren. Alternative Banken, Fondsgesellschaften, Lebensversicherer und Pensionskassen entwickelten über Jahrzehnte Systeme für nachhaltiges Investieren und mussten damit auf dem Markt bestehen. Sie sind in der TEG aber nicht vertreten. Ebenso ist keine Nachhaltigkeitsratingagentur Mitglied, obwohl diese seit Jahrzehnten Nachhaltigkeit auf den Anlagemärkten definieren und umsetzen. Da die TEG über Jahre hinaus weiterbestehen soll, muss sich deren Zusammensetzung dringend ändern.Zweitens existiert keine Informationsgrundlage für die Taxonomie. Die Definition von “sustainable finance” der TEG orientiert sich einerseits an dem NACE-Kodex, andererseits an dem Klimabericht der UN, dem UNFCCC-Bericht. Es werden anhand der wissenschaftlichen Erkenntnisse des UNFCCC jene wirtschaftlichen Aktivitäten im NACE Code identifiziert, die eine Emission von Klimagasen vermeiden helfen und die eine Anpassung an den Klimawandel unterstützen. Investitionen in diese Bereiche gelten damit als nachhaltig. Dieses Vorgehen ist schlüssig. Allerdings entspricht es nicht den gegenwärtigen Veröffentlichungsvorschriften für Unternehmen. Um eine solche Taxonomie zur Grundlage für nachhaltiges Investment zu machen, müssten alle Unternehmen ihren Umsatz in den definierten Bereichen veröffentlichen. Nur wenn parallel zur Taxonomie eine derartige Verpflichtung der Unternehmen umgesetzt wird, ist sie sinnvoll. Es wäre falsch, eine Regulierung herauszugeben, die den Begriff “nachhaltiges Investieren” definiert, ohne gleichzeitig eine harte Regulierung umzusetzen, die Unternehmen dazu verpflichtet, die Informationen zur Verfügung zu stellen, die zur Erfüllung des Anspruchs notwendig sind.Die Autoren der Taxonomie lösen diese Problem, indem sie davon ausgehen, dass die Macht der Investoren dazu führen wird, dass Unternehmen die notwendigen Informationen freiwillig herausgeben werden. Diese Erwartungshaltung ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch, wie auch die Erfahrungen mit freiwilligen Informationen im Nachhaltigkeitsbereich zeigen: Zum einen besteht die sehr reale Gefahr, dass Unternehmen die notwendigen Informationen nur an mächtige Marktakteure herausgeben. Damit wäre es für kleinere Akteure nicht mehr möglich, nachhaltige Investmentprodukte auf den Markt zu bringen, weil sie die notwendigen Informationen nicht bekommen. Unbedingt öffentlich machenZum anderen haben Unternehmen und Investoren ein Interesse an möglichst positiven Informationen zur Nachhaltigkeit. Unternehmen möchten nachhaltige Investoren anlocken, und diese möchten wiederum ein möglichst großes Universum für ihre nachhaltigen Anlageprodukte haben. Wenn nun die Informationen zur Nachhaltigkeit eines Unternehmens im Sinne der Taxonomie nicht öffentlich und nicht standardisiert sind, also nicht von außen überprüft werden können, besteht die große Gefahr von Greenwashing und einer verzerrten Darstellung. Die für die Erfüllung des Anspruchs, nachhaltig zu investieren, nötigen Unternehmensinformationen müssen deshalb unbedingt mit Inkrafttreten der Taxonomie öffentlich zugänglich sein.Drittens entfaltet die Taxonomie ohne Verpflichtung der Banken eine zu geringe Wirkung. Die Taxonomie soll nur für Finanzangebote gelten, die damit werben, dass sie nachhaltig sind. Das klingt zunächst logisch, denn es geht ja nur um die Definition des “nachhaltigen” Teils der Finanzaktivitäten im Sinne einer Abgrenzung von dem “nicht nachhaltigen” Teil. Doch die Wirkung dieses Ansatzes kann nicht überzeugen: Die Mitglieder der TEG sind damit kaum von der von ihr entwickelten Taxonomie selbst betroffen, da sie lediglich einige nachhaltige Publikumsfonds anbieten, die sie entsprechend umstellen müssten. Kleinere Akteure, die ihr gesamtes Angebot nachhaltig gestalten, sind deutlich stärker betroffen. Im Extremfall haben Alternativ- und Kirchenbanken, die seit Jahren ein überzeugendes Konzept des nachhaltigen Investments umsetzen, deutlich höhere Kosten, wenn sie ihre Produkte weiter “nachhaltig” nennen möchten. Und dies, um einer Taxonomie gerecht zu werden, die von Großbanken und Versicherern entwickelt wurde, die weiterhin in fossile Energie, Rüstung und Verbrennungsmotoren investieren.Dies schadet den konsequent nachhaltig arbeitenden Banken und führt nicht zu dem Ziel, die Kapitalströme umzulenken. Damit verfehlt letztlich die Taxonomie ihre gewünschte Wirkung. Denn eine Umlenkung der Kapitalströme kann nur erreicht werden, wenn alle Kapitalsammelstellen gezwungen werden, ihr Handeln im Sinne der Taxonomie neu auszurichten. Gerhard Schick, Vorstand Bürgerbewegung Finanzwende und Antje Schneeweiß, Finanzexpertin bei Südwind