LEITARTIKEL

Alles Fintech oder was?

Unterhalb der Revolution läuft heute nichts. Wenn nicht "Fintech" draufsteht, können Sie eigentlich auch gleich einpacken. Und wer nicht, wie gerade eben die Gruppe der Volks- und Raiffeisenbanken unter der Regie von DZ Bank, Akademie Deutscher...

Alles Fintech oder was?

Unterhalb der Revolution läuft heute nichts. Wenn nicht “Fintech” draufsteht, können Sie eigentlich auch gleich einpacken. Und wer nicht, wie gerade eben die Gruppe der Volks- und Raiffeisenbanken unter der Regie von DZ Bank, Akademie Deutscher Genossenschaften und Fiducia & GAD IT, schon mal einen Hackathon veranstaltet hat, sieht sowieso komplett alt aus.Erst in dieser Woche durften wir in einer Pressemitteilung lesen, “dass die digitale Revolution endgültig in der Versicherungsbranche angekommen ist”. Tags darauf ließ der Luxemburger Fondsverband wissen, mit dem Fintech-Boom beginne die weltweite Neugestaltung des Finanzsektors. Wenn ein gescheiterter früherer Co-Chef einer Großbank als Berater bei einer Kreditplattform anheuert – Hauptsache, sie sitzt im Silicon Valley – oder ein arbeitslos gewordener Staatssekretär bei einem hippen Start-up in den Aufsichtsrat berufen wird, ist das unbedingt eine Breaking News. “Mit dieser Nachricht stärkt die digitale Plattform weltweit ihre marktführende Rolle in der Online-Kreditvergabe”, tat Funding Circle kund, nachdem man Jörg Asmussen für das Kontrollgremium gewonnen hatte. Geht’s nicht eine Nummer kleiner?Banken? Sparkassen? Relikte aus der Welt der digitalen Immigranten! Waren diese antiquierten Einrichtungen aus dem Tal der Fintech-Ahnungslosen nicht längst durch Negativzinsen, Regulierung und vor allem eben durch die Mutter aller Megatrends, die Digitalisierung, dahingerafft worden? Ohne Zweifel: Es regiert der Finanztechnologie-Hype. Im vorigen Jahr hat jemand durchgezählt: 12 000 Fintechs, die irgendwas mit dem zu tun haben wollen, was in grauer Vorzeit Bankgeschäft hieß, waren es rund um den Globus. Wenn das so weitergeht, wird bald jedem ehemaligen Bank- oder Sparkassenkunden sein persönliches Fintech oder – begrifflich noch etwas gewöhnungsbedürftiger – “Insurtech” zur Seite gestellt werden. In Deutschland errechnete die Beratungsgesellschaft EY in einer Studie für 2015 die Zahl von immerhin 250 Fintechs.Nun ist es aus Kundensicht ganz praktisch, sich bei einem Finanzdienstleister rechtssicher online legitimieren zu können, statt eine halbe Stunde im “Postamt” für das Postident-Verfahren Schlange zu stehen. Auch das Bezahlen von Rechnungen durch Abfotografieren mit dem Smartphone anstelle des mühsamen Ausfüllens eines Überweisungsformulars inklusive des fehlerträchtigen Eintippens der 22-stelligen IBAN, der Schrecklichen, oder das anschließende Einreichen der Rechnung etwa beim Krankenversicherer wiederum per Foto-App sind keine Spielereien, sondern nützliche, weil zeit- und geldsparende Innovationen. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.Auch die wirtschaftliche Bedeutung der Fintechs soll hier mitnichten kleingeredet werden. Nach der erwähnten Studie wurden im vorigen Jahr hierzulande 1,2 Mrd. Euro in diese Unternehmen investiert, die 13 000 Menschen beschäftigen. Das sind keine Petitessen. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch sinnvoll, wenn sich Politik, Wirtschaft und unterschiedlichste Institutionen um die Ansiedlung der Start-ups bemühen, gerade am Finanzplatz Frankfurt.Doch bei aller Euphorie über die vermeintlich stattfindende Revolution und über Herausforderer, “die gerade die Bankenwelt auf den Kopf stellen” (so ein Rundfunkbeitrag), sollte man doch selbst trotz zuweilen dreistelliger Wachstumsraten auf dem Teppich bleiben. Auxmoney zum Beispiel, nach eigenen Angaben der größte Kreditmarktplatz in der Eurozone und – 2007 gegründet – ja schon eine der etablierteren Adressen, hat 2015 das Volumen der über eine Partnerbank ausgezahlten Kredite um 202 % auf 100 Mill. Euro gesteigert. Das ist ungefähr die Summe, die die Sparkasse Hanau in sechs Monaten zusagt.Werden die Banken also von den Fintechs an den Rand gedrängt? Gemach, gemach! “Banken zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie ein rein virtuelles Produkt haben. Wir erstellen Buchungssätze”, sagte die Deutschlandchefin des herkömmlich eher als Bank bekannten “Fintech” HSBC, Carola von Schmettow, kürzlich im Interview der Börsen-Zeitung. Banking finde seit langem zu wesentlichen Teilen im Computer statt, und Digitalisierung sei für die Branche überhaupt nichts Neues.Genau so ist es. Den Neulingen seien noch viele tolle Erfindungen, spendable Investoren, kluge Berater, beeindruckende Wachstumsgeschichten, am Ende vielleicht gar die eine oder andere überzeugende Equity Story von Herzen gegönnt. Aber etwas weniger Brimborium um Revolution und Ähnliches, auch seitens erregter Medien, könnte durchaus der Wahrheitsfindung dienen.——–Von Bernd WittkowskiBanken? Sparkassen? Relikte aus der Welt der digitalen Immigranten! Aber bitte auf dem Teppich bleiben: Auxmoney ist viel kleiner als die Sparkasse Hanau.——-