Als kundenorientierter Dienstleister Werte schaffen

Strategische Ressourcen aktiv nutzen und sich neu positionieren, um der Marginalisierung im Firmenkundengeschäft zu entkommen

Als kundenorientierter Dienstleister Werte schaffen

Über Jahrzehnte hinweg hat sich das Geschäftsmodell im Firmenkundenbereich der Banken nur wenig weiterentwickelt. Die gängige Praxis ist: Banken vergeben Kredite an Firmenkunden zu geringen Margen als Investition in die Kundenbeziehung und in der Hoffnung auf lukrative Zusatzgeschäfte. Dieses Geschäftsmodell hat den Kreditinstituten über lange Zeit stabile Erträge gesichert.Jetzt aber verändern sich die Rahmenbedingungen tiefgreifend. Stichworte hier sind Regulierung, rasante Digitalisierung, das andauernde Niedrigzinsumfeld und die sich wandelnden Kundenbedürfnisse. Diese neuen Rahmenbedingungen drohen, das veränderungsträge Geschäftsmodell der Banken grundlegend umzuwälzen. So müssen die Geldhäuser jetzt deutlich mehr Ressourcen, vor allem Eigenkapital, vorhalten, und veränderte regulatorische Anforderungen wirken sich mindernd auf die Profitabilität von Cross-Selling-Produkten aus. Zudem unterminieren verschiedene Initiativen, die eine größere Unabhängigkeit der Wirtschaft von Kreditinstituten sichern sollen, die Relevanz der Banken bei ihren Kunden. Dazu gehören die von der EU-Kommission vorangetriebene Kapitalmarktunion und die zunehmende Praxis von Industrieunternehmen, eigene Finanzdienstleister im Konzern aufzubauen.Dies führt dazu, dass viele einst geschätzte Bankeigenschaften bei den Kunden entweder an Bedeutung verloren haben, wie zum Beispiel die Finanzierung in Zeiten von Liquiditätsüberfluss, oder von anderen Anbietern übernommen werden können. Kurz: Banken laufen Gefahr, im Firmenkundengeschäft marginalisiert zu werden. Bedeutet dies nun für die Banken, dass sie sich mit einer immer kleiner werdenden Rolle im Firmenkundengeschäft zufriedengeben oder gar um ihre Existenz fürchten müssen? Die Antwort lautet: Nicht unbedingt, wenn es ihnen gelingt, ihre strategischen Ressourcen aktiv zu nutzen und sich neu zu positionieren!Banken verfügen aufgrund meist langjähriger vertrauensvoller Beziehungen zu ihren Kunden, guter Branchenkenntnisse und eigener Handels- und Zahlungsverkehrsinfrastruktur über eine Reihe auch zukünftig relevanter Schlüsselressourcen: Die sichere und fehlerfreie Abwicklung von Transaktionen, der Zugang zu Kapitalmärkten oder die Finanzierung eines Unternehmens werden weiterhin notwendige Dienstleistungen bleiben.Jedoch müssen Banken darüber nachdenken, wie sie diese Ressourcen in Zukunft nutzen können, um weitere Wertschöpfungspotenziale für ihre Kunden zu erschließen. Dies ist insbesondere jenseits der klassischen Aufgabenbereiche der Finanzierung und Transaktionsabwicklung wichtig. Ein Beispiel hierfür könnte die innovative Bereitstellung und Nutzung von Daten sein. Durch die zunehmende Digitalisierung der realwirtschaftlichen Abläufe entstehen für Unternehmen mannigfaltige Möglichkeiten, ihre Effizienz signifikant zu erhöhen und Prozesse sowie Vorgänge endkundenfreundlicher zu gestalten. Dabei können Banken den Unternehmen helfen, indem sie mit ihrer eigenen Infrastruktur das Management von Datenströmen ermöglichen.Um sich in diese Richtung zu entwickeln, müssen Banken jedoch eine neue Perspektive einnehmen. Sie müssen verstehen, welchen Herausforderungen ihre Kunden gegenüber-stehen. Dies umfasst nicht nur die Ebene des einzelnen Unternehmens mit seinen Zulieferern und Kunden, sondern auch die Ebene des gesamten “Ökosystems” einer Branche inklusive aller Teilnehmer und Stakeholder. Wenn Banken beginnen, auf Basis der ihnen zur Verfügung stehenden strategischen Ressourcen und Daten Lösungen zu identifizieren, die die Abläufe innerhalb eines ganzen Sektors der Realwirtschaft verbessern können, entstehen belastbare, innovative und zukunftsweisende Lösungsansätze – nicht nur neue Produkte.Dieser Ansatz lässt sich gut durch ein Beispiel illustrieren: Eine Bank in Südostasien hat sich dazu entschlossen, Lösungen für den Hafentransportsektor zu entwickeln, da dieser für die lokale Wirtschaft von großer Bedeutung ist. Zunächst wurde eine umfassende Analyse zusammen mit allen wichtigen Parteien, also den Hafenbetreibern, Speditionsunternehmen, Reedereien und staatlichen Stellen (Zoll) durchgeführt. Auf Basis dieser Untersuchung konnten verschiedene Bereiche identifiziert werden, in denen der Aus-tausch zwischen den einzelnen Teilnehmern von manuellen und bargeldbasierten Prozessen geprägt war. Dies führte in der Vergangenheit zu zahlreichen Ineffizienzen und Problemen: angefangen bei langen Wartezeiten, um etwa Genehmigungen einzuholen oder offene Beträge zu begleichen, bis hin zu Schwierigkeiten beim Abgleich von verschiedenen Datensätzen, zum Beispiel bei der Überprüfung der Bezahlung von Hafengebühren.Die Bank entwickelte auf Basis dieser Analysen eine App mit dem Ziel, den Warenumschlag in den Häfen radikal zu vereinfachen. Diese App digitalisiert den stark fragmentierten und bisher weitgehend papierbasierten Prozess zur Abwicklung des Imports und Exports über den Seeweg. Sie bietet den Teilnehmern einen zentralisierten Zugang (“single window”) zur Bearbeitung der notwendigen Dokumente mit allen relevanten Stellen von der Hafenbehörde bis zum Zoll. Dies vereinfacht den Prozess so stark, dass nun die meisten Teilnehmer des Seehandels diese App sowie auch die damit zusammenhängenden Finanzierungsprodukte der Bank nutzen.Indem die App eine umfassende Lösung für einen Wirtschaftssektor zur Verfügung stellt, die sowohl Finanz- als auch Datenströme integriert, hat die Bank es geschafft, sich eine nachhaltige Nischenstellung zu erarbeiten. Das schlägt sich auch in Zahlen nieder: Die Profitabilität stieg um rund 20 %, die Kosten für Kundenakquisition sanken um ca. 30 %.So attraktiv und intuitiv dieses Konzept ist, so komplex kann die Umsetzung sein. Nicht nur die Identifikation und Realisierung von attraktiven Lösungen sowie die Vernetzung verschiedener Kundengruppen stellen eine Herausforderung dar. Insbesondere auch die Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen innerhalb der einzelnen Kreditinstitute dürfte viele Banken vor Schwierigkeiten stellen. So ist zur Herstellung der notwendigen Verbindungen über die verschiedenen kundenbetreuenden und produktverantwortlichen Bereiche hinweg eine konsequente Ausrichtung auf die von der Bank bedienten Zielsektoren notwendig. Für die meisten Institute steht eine derartige Ausrichtung aber im krassen Widerspruch zum derzeit vorherrschenden Organisationsprinzip. Dies folgt typischerweise einer Kundengruppenlogik, wie beispielsweise Firmenkunden und Retailkunden.Diese Hürden können jedoch durch Werkzeuge, wie entsprechend ausgestaltete Anreizsysteme, eine direkte Verantwortlichkeit für Sektoren und vor allem durch eine explizite Unterstützung des Topmanagements überwunden werden. Das wiederum setzt voraus, dass Banken dieses Vorhaben mit der gebotenen Überzeugung und Konsequenz angehen.Ob die dargestellte Ausrichtung allein genügt, damit die im Firmenkundengeschäft tätigen Institute ihre gegenwärtige Bedeutung nachhaltig sichern können, muss sich erst noch zeigen. Die beschriebene Entwicklung kann den betroffenen Banken allerdings helfen, sich auf ihren ursprünglichen Zweck zurückzubesinnen: nämlich als kundenorientierter Dienstleister Werte für ihre Kunden zu schaffen.—Thomas Schnarr, Partner bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman im Bereich Corporate & Institutional Banking, Frankfurt/Main