Als Lebensbegleiter zu den Wurzeln zurückkehren

Emotionale Bindung zum Kunden und lokale Präsenz als Zuhörer, Versteher und Problemlöser zählen

Als Lebensbegleiter zu den Wurzeln zurückkehren

Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen und einige Privatbanken verfügen weiterhin über ein breites Filialnetz. Doch angesichts von Fintechs wie N26, Atom Bank oder Revolut arbeiten auch sie am Bau reiner App-Banken, um vor allem junge Kunden anzusprechen. Doch dabei stellt sich ihnen die Frage, welches die richtige Positionierung ist und ob am Ende nicht lediglich die eigenen Kunden kannibalisiert werden.Eine ausweglose Situation für die Filialen der Genossenschaftsbanken? Nein, wohl eher eine Chance, wieder zu den Wurzeln, unter anderem den Ideen Friedrich Wilhelm Raiffeisens, zurückzukehren: als Lebensbegleiter des Kunden. Denn eine virtuelle App-Bank ist interessant für die täglichen Bankgeschäfte, aber sie kommt aktuell bei der Beratung komplexer Produkte schnell an ihre Grenzen. Mit Wissen punktenZiel der Bank ist, bei den im Leben einmaligen Entscheidungen für den Kunden relevant zu sein. Dies gilt insbesondere für Wohnbaufinanzierung, Vermögensaufbau und Altersvorsorge. Themen, die ein dauerhafter Anker jeder Kundenbeziehung sind. Wo es darum geht, den Kunden zu verstehen und ihn spüren zu lassen, dass er gerade genau das Richtige tut. Ein Bankberater kann hier mit Wissen und Emotion punkten. Und das unterscheidet ihn aktuell von allen Online-Beratungstools.Innovation wurde in den Filialen bisher vernachlässigt. Soll der Berater aber ein Lebensbegleiter des Kunden werden, dann muss er in erster Linie Zeit haben. Eine Maßnahme ist die Befreiung von allen monotonen Tätigkeiten. Einen Teil übernimmt der Kunde selbst. Durch die perfekte digitale Nutzerführung ist es einfacher und schneller, die Dinge selber zu machen, als jemanden zu beauftragen. Dabei werden dem Kunden Online-Helfer zur Seite gestellt mit denen er in einem Moment Produkte eröffnet oder Services erledigt. Hier unterstützen Chatbots oder Sprachassistenten. Wird es kompliziert, übernimmt der Berater. Mensch und MaschineDie Vorbereitung des Gesprächs sollten Berater und Maschine daher gemeinsam übernehmen. Teams aus Mensch und Maschine können deutlich mehr erreichen als jeder für sich. Ein Beispiel aus der Medizin zeigt, dass bei der Untersuchung von Tumoren die Kombination von Mensch und Maschine exaktere Ergebnisse erzielt. Künstliche Intelligenz (KI) allein erreicht eine Erfolgsquote von 92 %. Der Mensch allein schafft 96 %. Kombiniert schaffen sie 99 %.Ähnliches ist auch in der Bankenberatung denkbar. In der Gesprächsvorbereitung sucht die Maschine alle relevanten Dokumente heraus, analysiert die notwendigen Daten aus internen Systemen und recherchiert im Internet. Diese Informationen, kombiniert mit ersten Schlussfolgerungen, werden dann vom Berater um die emotionale Komponente und das Wissen über den Kunden ergänzt. Diese Zusammenarbeit verkürzt die Vorbereitungszeit der Gespräche und erhöht zugleich die Qualität.Kommt es nun zum Termin, dann schwenkt der Fokus vollständig auf den Kunden. Das Multitasking hat mit dem Einzug der Technik stärker zugenommen als die Multitasking-Fähigkeit der Nutzer: Die störenden Einflüsse durch neue Nachrichten, Anrufe oder direkte Dokumentation in die Systeme verhindern den natürlichen Fluss der Kundengespräche. Die feinen Antennen der Berater sollten jedoch vollständig auf den Kunden gerichtet sein, damit sie den Kern der Wünsche und Bedenken verstehen. Verstehen kann nur, wer wirklich zuhört. Nur so entstehen die Gespräche, in denen der Kunde die relevanten Informationen mitteilt und die Vertrauensbasis für wichtige Entscheidungen wächst. Denkbares IdealbildDas Idealbild wäre folgendes: Zwischen den Gesprächspartnern steht kein Bildschirm als Barriere auf dem Schreibtisch und es wird in der Gesprächsphase auch nicht permanent zur Dokumentation geschrieben, sondern nur zugehört. Der Kunde sollte im Gegenzug das Handy stumm oder ausgeschaltet haben, so dass sich beide voll auf das Gespräch konzentrieren können. Die Dokumentation übernehmen Sprachassistenten. Siri oder Alexa verstehen schließlich täglich besser, was wir sagen. Die Inhalte werden automatisch in die Systeme übertragen und schaffen dem Berater den Freiraum, damit er sich die Zwischentöne und Emotionen transparent notieren kann, die die Technik nicht erkennt.Die Technik ist zwar da, bleibt aber dezent im Hintergrund, bis der Berater Vorschläge präsentiert. Ein Bilderrahmen an der Wand wird dann zum Fernsehen und der Berater steuert ihn über sein Tablet. Das Gespräch wird damit zu einem Offline-Erlebnis, in dem die Technik nur dann auftaucht, wenn sie gebraucht wird. Diese Entschleunigung schafft die Basis für eine lebenslange Begleitung und bringt dem Berater das entscheidende Wissen für die wirklich wichtigen Themen.Für einen Lebensbegleiter zählen keine schnellen Produktabschlüsse. Was zählt, ist die emotionale Bindung zum Kunden und seine lokale Präsenz als Zuhörer, Versteher und Problemlöser. Und diese Bindung sollte auch die entscheidende Kennzahl sein, wenn es um die Bewertung der Erfolge des Beraters geht. Bei einem konkreten Bedarf wird sich der Kunde ganz selbstverständlich bei seinem Berater melden.