Alternativer Handel stellt IR vor große Herausforderung
Unter den kritischen Augen der Aufsichtsbehörden vollzieht sich seit ein paar Jahren eine dramatische Wende an den Handelsplätzen dieser Welt. Neben einer weiteren Zunahme beim Handel mit synthetischen Finanzprodukten verändert sich vor allem der Handel in Unternehmensaktien. Der Trend geht weg von den klassischen Börsen, hin zu außerbörslichen Plattformen. Der Over-the-Counter-(OTC-)Handel schickt sich an, etablierten Börsenplätzen wie Xetra (Exchange Electronic Trading), der Handelsplattform der Deutschen Börse, in Deutschland den Rang abzulaufen.Im klassischen Börsenhandel führt ein Makler Angebot und Nachfrage zusammen und gleicht sie durch die Festsetzung eines Marktpreises aus. Dies wird im Gegensatz zum außerbörslichen Handel in Deutschland durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht. Am OTC-Markt werden Kontrakte direkt zwischen zwei Parteien vereinbart, ohne dass dabei Börsen oder organisierte Handelsplattformen eingesetzt werden. Bei einem Ausfall des Kontrahenten, beispielsweise bei einer Insolvenz, hat die Gegenpartei keinen Anspruch mehr auf die Durchführung des Geschäfts. Die Tatsache, dass Geschäfte dieser Art ungeprüft und ohne Kontrolle der Aufsichtsbehörden ausgeführt werden, muss kritisch reflektiert werden. Steigende BeliebtheitAbseits der Börse, im OTC-Handel auf Systemen der Banken, werden mittlerweile riesige Volumina gehandelt. Laut Angaben des Datenanbieters Fidessa finden rund 50 % des Handels in Unternehmensaktien im Dax mittlerweile im undurchsichtigen und nicht regulierten Handel statt. Institutionelle Anleger schätzen diese Handelsform für die Schnelligkeit, die teilweise besseren Marktpreise, da direkt über den Preis verhandelt werden kann, sowie die günstigeren Gebühren im Gegensatz zum Börsenhandel. Auch können große Pakete in einer Aktie aufgrund der geringen Markttransparenz ohne signifikante Kursausschläge gehandelt werden, was Portfoliomanagern zugute kommt, die schnell große Positionen umschichten wollen.Marktakteure, die schnell handeln müssen, ohne erkannt zu werden, ziehen diese anonyme Form dem Handel über Börsen vor. Banken selbst profitieren beim außerbörslichen Handel davon, dass sie sich die Gebühren für die Börsen sparen und somit selbst einen größeren Anteil der Marge behalten. Die Leidtragenden sind in diesem Fall vor allem Unternehmen, weil die Investoren anonym bleiben können und sie mit ihren Transaktionen keinen Einfluss auf den Aktienkurs nehmen.Die Finanzrichtlinie “Markets in Financial Instruments Directive” (Mifid) hat viele dieser Geschäfte erst möglich gemacht. Mifid sollte moderne und einheitliche Regeln für Europas Finanzmärkte schaffen. Neben der Definition, was eine Börse ist und was sie zu leisten hat, schuf die EU-Richtlinie die Grundlage für multilaterale Handelsplattformen (MTF), eine Sonderart des außerbörslichen Handels, um den Wettbewerb mit klassischen Handelsplattformen zu intensivieren und die Transaktionskosten für alle Marktteilnehmer zu senken. Günstiger und schnellerMTFs sind börsenähnliche Handelssysteme, betrieben von Großbanken, die im Gegensatz zum geregelten Handel Preise für Aktien marktübergreifend feststellen und deshalb in der Lage sind, für Handelspartner stets den besten Kurs zu ermitteln. Zudem sind bei MTFs die Gebühren günstiger und die Ausführung von Orders meist schneller. Die größten MTF-Plattformen heißen Turquoise, Chi-X und Bats und haben seit ihrer Einführung einen gewaltigen Einfluss auf den Börsenhandel: Laut Fidessa wurden Mitte 2011 bereits 29 % des gesamten Handelsvolumens über die drei führenden MTFs abgewickelt. Das Wirtschaftsblatt berichtete kürzlich, dass laut Schätzungen mittlerweile fast 40 % des Volumens außerhalb des Xetra über diese Netzwerke gehandelt werden.Die BASF liegt mit einem Anteil von rund 40 % an außerbörslich gehandelten Aktien voll im Trend. Für uns und die vielen anderen betroffenen Unternehmen bringt das eine Vielzahl an Nachteilen mit sich:- – Fragmentierte Liquidität aufgrund steigender Anzahl an Handelsplätzen: Die zunehmende Fragmentierung der Handelsplätze und in der Folge des verfügbaren Kapitals, sorgen insgesamt für eine zersplitterte Liquidität an allen Handelsplätzen, weil sich das Kapital entsprechend verteilt. Zwischen den einzelnen Anbietern findet ein Wettbewerb um Liquidität statt, weil jeder versucht, so viel wie möglich auf die eigene Plattform zu ziehen. Hierunter leiden alle gelisteten Unternehmen und vor allem Gesellschaften mit geringer Marktkapitalisierung, weil für sie nicht ausreichend Liquidität zur Verfügung steht.- Fehlende Transparenz durch Schattenmärkte: Der Blick auf die Aktionärsstruktur verrät heute nicht mehr vollständig, wer wirklich in welchen Unternehmensaktien investiert ist. Die Dunkelziffer der Aktien, die noch bei Banken liegen, aber bereits weiter verkauft sind, ist unüberschaubar. Das bedeutet für Investor Relations, dass keine Klarheit mehr darüber besteht, wie viel gerade in der einzelnen Unternehmensaktie gehandelt wird und wer handelt.- Ineffiziente Preisbildung: Der Rückgang der Liquidität auf den einzelnen Handelsplattformen und eine höhere Volatilität wirken sich ungünstig auf den Preisbildungsmechanismus aus, da sich der Preis der Aktien nur noch an den klassisch verfügbaren Wertpapieren bemessen lässt. Die im Dunkeln gehandelten Wertpapiere nehmen schließlich keinen Einfluss mehr auf den Kurs. Die effiziente Preisbildung ist gestört, was nicht im Sinne eines funktionierenden Marktes sein kann. Zudem gefährdet der Anstieg unregulierter Börsengeschäfte das Vertrauen von Investoren in stabile Marktpreise.Eine vom CFA-Institut 2010 durchgeführte Studie zeigte schon damals klar, dass sich Anleger und Händler eine weitere Harmonisierung der Aktienmärkte wünschen. Die Analyse bestätigte auch, dass die Quellenlage für den undokumentierten Handel nach wie vor schlecht ist. Viele Unternehmen können es nur schwer einschätzen oder sind sich nicht bewusst, dass sie von der beschriebenen Entwicklung betroffen sind. Um Transparenz bemühtSeit der Finanzkrise legen Regierungen und Regulatoren größten Wert darauf, dass der außerbörsliche Handel transparenter wird, um systemische Risiken besser erkennen zu können. Neue Regulierungsvorschriften sind in der Planung, aber noch nicht umgesetzt. Mifid II steht in den Startlöchern. Die aktualisierte EU-Richtlinie soll den außerbörslichen Handel transparenter machen und stärker reglementieren. Die aktuell angewandte Version von Mifid betrifft ausschließlich Börsen und die oben beschriebenen MTFs. Künftig soll Mifid II auch auf eine neue Kategorie angewandt werden, nämlich sogenannte organisierte Handelssysteme (OTF), die bislang außen vor blieben und unter anderem standardisierte Derivatkontrakte und den Hochfrequenzhandel regulieren sollen.Investor Relations kommen in jedem Fall eine wichtige Rolle zu bei der Aufklärung und dem Umgang mit Problemen, die sich aus dem alternativen Handel ergeben. Zunächst ist es die Aufgabe des IR-Managers, Klarheit und Verständnis im Unternehmen zu schaffen bezüglich des Einflusses des außerbörslichen Handels auf Unternehmensaktien. Dabei ist es wichtig, das eigene Aktienregister besser verstehen zu lernen – die Wahrnehmung zu schärfen, dass einige Positionen erst verspätet bzw. nur verschlüsselt auftauchen und ein Gefühl für die Dunkelziffer zu entwickeln. Laut § 67 Absatz 4 Aktiengesetz gibt es zwar eine Auskunftspflicht für Kreditinstitute als Verwahrer, die Eigentümer der Aktie zu benennen, jedoch kann dieser Prozess sehr zeitaufwendig sein und möglicherweise sind Informationen zum Zeitpunkt des Eintreffens im Unternehmen bereits veraltet.Im Gegensatz zum angelsächsischen Raum gibt das Aktienregister in Deutschland nur begrenzt Aufschluss darüber, wer genau welche Position hält. Im Auftrag institutioneller Anleger halten Banken große Positionen in ihren Büchern und verhindern damit, dass deutsche Unternehmen ihre Aktionäre vollständig mit Namen kennen.Das Problem der Intransparenz gänzlich aus der Welt zu schaffen, ist als Einzelunternehmen nicht möglich. Umso wichtiger ist, dass sich alle Beteiligten zusammenschließen und durch Verbandsarbeit die Sensibilität der Aufsichtsbehörden erhöhen. Der Deutsche Investor Relations Verband (DIRK), in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) und in länderübergreifender Kooperation mit Interessenvertretungen auf europäischer Ebene, muss hier eine gemeinsame Position für deutsche Emittenten vertreten. Ziel ist es, durch Kooperation auf Verbandsebene die Transparenz bei der Aktionärsstruktur zu erhöhen, die effiziente Preisbildung sicherzustellen und den uneingeschränkten Zugang zu Liquidität für alle Marktteilnehmer zu gewährleisten.