Altlasten machen Großbanken zu schaffen

Schweizer Finanzkonzerne basteln an ihren Geschäftsmodellen - Selbstverständnis wird bisher kaum in Frage gestellt

Altlasten machen Großbanken zu schaffen

Die Folgen der Finanzkrise beschäftigen Großbanken in Deutschland wie in der Schweiz gleichermaßen. Noch immer müssen sie sich mit Altlasten auseinandersetzen, und darüber hinaus dürften weitere Rechtsstreitigkeiten folgen.Von Daniel Zulauf, Zürich”Großbanken sind eine Fehlentwicklung”, sagt der Mann, der heute lieber seinen Garten bestellt, als sich in der Öffentlichkeit über den Zustand des Finanzsektors auszulassen. Als der Hobby-Gärtner noch im aktiven Berufsleben stand, hätte er mit dieser Aussage eine Lawine losgetreten. Doch damals war seine Meinung über den Nutzen der Finanzkonzerne noch weniger kategorisch. Ein paar Jahre Abstand haben gereicht, um dies zu ändern.Wir stehen im zehnten Jahr seit Ausbruch der großen Finanzkrise, und noch immer sind die Großbanken mit der Bewältigung von Altlasten beschäftigt. Aus diesem Grund musste die Deutsche Bank Ende Januar einen Jahresverlust von nahezu 7 Mrd. Euro ausweisen. Und aus dem gleichen Grund schreibt auch die Credit Suisse für 2015 ein Minus von fast 3 Mrd. sfr (2,7 Mrd. Euro).Es sind noch keine drei Monate vergangen, seit die Staatschefs der G 20-Länder im türkischen Antalya den erfolgreichen Abschluss eines neuen, verschärften Baseler Regulierungsstandards für Großbanken feierten. Die von der Schweizer Regierung im Oktober beschlossene Verschärfung der Too-big-to-fail-Bestimmungen hat die Anhörungsphase noch nicht einmal verlassen. Sie endet am 15. Februar. Und trotzdem stellen sich selbst eingeweihte Beobachter ernsthaft die Frage, ob das alles genügt. Die regulatorischen Anforderungen an die Großbanken werden weiter zunehmen, vermutet Daniel Zuberbühler, der frühere oberste Bankenaufseher der Schweiz (siehe Interview). Negative Schlagzeilen, wie sie die Finanzbranche in diesen Tagen der Jahresbilanzen wieder gehäuft produziert, sind in der Tat geeignet, die Politik zu weiteren Maßnahmen zu motivieren. Druck von der StraßeDerweil wächst der Druck von der Straße. In der Schweiz kommt es wahrscheinlich im Lauf der nächsten zwei Jahre zu einer Volksabstimmung über die sogenannte Vollgeldinitiative. Die Initiative verfolgt einen radikalen Ansatz. Sie will das bestehende System der Geld- und Kreditschöpfung ganz in die Hände der Notenbank legen und den Geschäftsbanken damit ein zentrales Instrument entziehen. Die Initiative mag für schweizerische Verhältnisse gar revolutionär anmuten, aber sie hat in erstaunlich kurzer Zeit viele Befürworter gefunden, und sie verfügt über das Potenzial, den politischen Prozess in der Bankenregulierung zu beeinflussen.Den international tätigen Großbanken bläst ein kühler Wind ins Gesicht. In China platzt eine Finanzmarktblase, die den westlichen Finanzkonzernen nicht nur kurzfristig das Geschäft vermasselt, sondern auch langfristig Fragen zum wahren Wachstumspotenzial des Riesenreiches aufwirft. Die Krise der Erdölindustrie und der Rohstoffbranche im Generellen fördert in den Bilanzen der Investmentbanken Risiken zu tage, die sofort ins Verhältnis zu den bestehenden Eigenkapitalpositionen gesetzt werden. Wer Extremszenarien mag, darf bei solchen Vergleichen durchaus einen Adrenalinschub erwarten. Auch die Rechtsstreitigkeiten dürften das Kapital der Großbanken in den nächsten Jahren weiter strapazieren. Die US-Bank Morgan Stanley schätzt, dass die 20 größten europäischen Banken bis 2017 nochmals 50 Mrd. Dollar auf den Tisch legen müssen, um offene Rechnungen zum Beispiel im Zusammenhang mit dem amerikanischen Immobilienmarkt-Kollaps beizulegen. Diese Altlast könnte allein die beiden Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse noch 5 Mrd. Dollar kosten, schätzt Morgan Stanley. Niedriger BörsenwertEine entscheidende und vor allem dauerhafte Verbesserung der Rentabilität der Global Player in der Kreditwirtschaft ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Das zeigt nicht zuletzt der Verlauf der Aktienkurse, der fast überall im Kontrast zu den rosigen Langfristprojektionen der Bankmanager steht. Der Börsenwert vieler Großbanken bewegt sich derzeit deutlich unter dem Eigenkapital. Das impliziert einerseits, dass die Investoren mit weiteren Verlusten rechnen, anderseits ist es aber auch ein Indiz, dass diese Banken aufgespalten in ihre Einzelteile mehr wert sein könnten als in der bestehenden Form als Konglomerate. Das britische Magazin “The Economist” hat dazu eine interessante These aufgestellt. Der Autor meint, dass die Politik und alle anderen an den Banken interessierten Kreise die Risiken und Kosten einer Aufspaltung scheuen und die betriebswirtschaftlich sinnvolle Redimensionierung des Geschäftsmodells “Großbank” verhindern.Es ist kaum Zufall, dass solche Ideen just in Europa beziehungsweise in Großbritannien diskutiert werden. Im vergangenen Jahr haben Finanzkonzerne wie Standard Chartered, HSBC, Société Générale, Unicredit, Credit Suisse und andere den Abbau von weit über 100 000 Stellen angekündigt. Dennoch wird deren Selbstverständnis als Großbanken bisher kaum in Frage gestellt. Allenthalben wird gefeilscht um Notfallpläne und Änderungen der Organisationsstrukturen, um die Chancen zu erhöhen, dass die Großbanken in einem nächsten Krisenfall ohne staatliche Hilfe abgewickelt werden können. Doch niemand scheint sich zu trauen, wirklich Hand anzulegen – nicht einmal die Briten, die 2019 ein Trennbankensystem einführen und damit eine formale Trennung zwischen dem nationalen Privat- und Firmenkundengeschäft und den übrigen Aktivitäten verlangen werden.Die Großbanken eine Fehlentwicklung? “Auf Dauer wird sich der gegenwärtige Zustand nicht halten können”, sagt der Mann zwischen den Rosensträuchern. Niemand würde ihm dabei widersprechen. Tidjane Thiam, John Cryan, Sergio Ermotti – die Großbankenchefs sind den Beweis schuldig, dass ihre Geschäftsmodelle langfristig eine Zukunft haben.