Im Gespräch:Jan Sell, Coinbase Deutschland

„Am Ende gewinnt die Schildkröte das Rennen“

Wer die Kryptomärkte in Europa bespielt, der braucht eine Micar-Lizenz. „Wir wollen natürlich eine eigene Lizenz als Crypto Asset Service Provider (CASP)“, so Jan Sell, Deutschland-Chef von Coinbase, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Es sei ein großer Aufwand, aber alle würden von klaren Compliance-Vorgaben profitieren.

„Am Ende gewinnt die Schildkröte das Rennen“

IM GESPRÄCH: JAN SELL

„Am Ende gewinnt die Schildkröte das Rennen“

Der Coinbase-Deutschlandchef rückt die langfristige Perspektive regulierter Märkte in den Fokus – EU-Derivate-Lizenz in Arbeit

Von Björn Godenrath, Frankfurt
Von Björn Godenrath, Frankfurt

Der Weg von Jan Sell in die Kryptobranche war irgendwie typisch: Viele Jahre war er in London tätig, unter anderem für Morgan Stanley. Dann zog er ein wenig durch den Financial District, war an der Auflage von Hedgefonds und anderen Fondsstrukturen beteiligt, um dann 2007 Pech zu haben mit der Gründung eines eigenen Trading-Shops: Die Finanzkrise blies die Gründung um.

Einstieg über Berliner Ethereum-Community

2016 hatte er dann erstmals Berührung mit der Kryptosphäre, als es darum ging, wie Ethereum sich in ein Projekt integrieren ließe. Der Deutsche hatte Blut geleckt und landete 2018 in Berlin, wo sich ein großer Teil der Ethereum-Community formierte. Es folgte eine erste Station im Kryptohandel bei Binance, aber dort hielt er es nur sechs Monate aus und heuerte schließlich bei Coinbase an.

Auf Base haben wir inzwischen 1,4 Mrd. Dollar an Vermögenswerten (TVL, Total Value Locked). Dort soll eine neue Art von Infrastruktur entstehen für die Abwicklung von Finanzinstrumenten.

Jan Sell

Dort hat er seine Bestimmung gefunden und agiert seit dreieinhalb Jahren in einem Team aus Berlin, London und Dublin heraus. In der Blockchain-Branche geht es durchaus um Werte – und bei Coinbase präferiert man offene Infrastrukturen, die primär bei Ethereum andocken. So wie man das zum Beispiel mit Base als Layer-2-Blockchain aufzieht. „Dort haben wir inzwischen 1,4 Mrd. Dollar an Vermögenswerten (TVL, Total Value Locked) auf der Blockchain. Auf Base soll eine neue Art von Infrastruktur entstehen für die Abwicklung von Finanzinstrumenten, so dass Transaktionen zu geringen Kosten und verlässlich schnell abgewickelt werden können“, so Sell im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Benutzeroberfläche für Laien

Das Ziel: Die Benutzeroberfläche (UX) wird einfach gehalten, so dass auch Laien damit zurechtkommen. Die von Software-Ingenieuren geprägte Kryptowelt hat einen Hang zur Frickeligkeit. Häufig brauchen Nutzer ein gewisses Computing-Know-how, um eigenständig durch die Blockchain-Welt navigieren zu können. Außerdem ist die Infrastruktur mitunter noch lahm und mit phasenweise absurd hohen Transaktionsgebühren verbunden. Da will Coinbase besser sein: „Transaktionen sollen auf Base bald innerhalb von einer Sekunde zu weniger als 1 Cent abgewickelt werden. Das soll am Ende so sein, dass die Leute gar nicht wissen, dass das über eine Blockchain läuft – so wie sich niemand darum schert, dass seine Einkäufe im Internet oder im Supermarkt über das Sepa abgewickelt werden.“

Wer die Kryptomärkte in Europa bespielt, der braucht eine Micar-Lizenz. Einige Player streben an, das über Akquisitionen zu lösen, aber wir als Coinbase wollen natürlich eine eigene Lizenz als Crypto Asset Service Provider (CASP).

Jan Sell

Coinbase hatte von Anfang an einen Fokus auf Compliance gelegt und, wie Bitpanda, kräftig in Regulatorik und Lizenzen investiert. Das verursacht hohe Anlaufkosten. Und es kann eine Weile dauern, bis Umsätze generiert werden können. Sell hat da eine ganz einfache Philosophie: „Am Ende gewinnt die Schildkröte das Rennen. Und wer die Kryptomärkte in Europa bespielt, der braucht eine Micar-Lizenz. Einige Player streben an, das über Akquisitionen zu lösen, aber wir als Coinbase wollen natürlich eine eigene Lizenz als Crypto Asset Service Provider (CASP).“

Da es noch Unklarheiten bei der Auslegung einiger Micar-Vorgaben gebe, stellten manche Anbieter Anträge in drei Ländern, um mit Geltung ab dem 1. Januar 2025 auf Nummer sicher zu gehen, sagt Sell. „Es ist schon ein großer Aufwand derzeit, aber es werden alle davon profitieren, dass es dann klare Compliance-Vorgaben gibt.“

Für Derivate-Lizenz-Akquisition läuft das Inhaberkontrollverfahren

Groß geworden ist Coinbase über das klassische Spot-Trading. Um sich auch bei den Handelseinnahmen zu stärken, plant der Konzern, in Europa den Derivatehandel für institutionelle Investoren aufzunehmen. Dafür wurde Anfang 2024 die Übernahme einer zypriotischen Gesellschaft gestartet, über die eine Mifid-II-Lizenz für den Derivatehandel erworben werden soll. „Derzeit läuft das Inhaberkontrollverfahren. Sobald das erfolgreich abgeschlossen ist, können wir auch die beliebten Perpetual Futures anbieten.“

Mit der ehemaligen Bitpanda-Tochter One Trading hatte kürzlich ein erster krypto-nativer Anbieter eine Mifid-II-Derivatelizenz erhalten. Krypto-Assets können dort als Sicherheit für Finanzinstrumente hinterlegt werden.

Den letzten Bärenmarkt hat Coinbase dank schneller Kostenreduzierungen gut überstanden. Seitdem habe man auf Konzernebene ein recht stabiles Kostenniveau und baue die Diversifizierung auf der Umsatzseite Stück für Stück aus, sagt Sell. Im zweiten Quartal erzielte Coinbase bei Erlösen von 1,4 Mrd. Dollar ein bereinigtes Ebitda von 596 Mill. Dollar. Kennzahlen zum deutschen Geschäft teilt Coinbase nicht mit. Es habe aber im ersten Halbjahr im Fahrwasser der Bitcoin-ETF-Zulassungen einen guten Schub im Handel gegeben, so der Deutschland-Chef.

Behörden sollten Bitcoin halten

Auch beim Verkauf des sogenannten „Sachsenschatzes“ war Coinbase im Rahmen des vom Bankhaus Scheich gesteuerten Prozesses involviert. Man habe ein paar Bitcoin transferiert, sagt Sell, der es zwar grundsätzlich nachvollziehbar findet, dass die sächsischen Behörden ihre Bitcoin versilbert haben. „Es ist aber schon schade, dass sie nicht einen kleinen Bestand behalten haben, um damit eine erste Säule einer Bitcoin-Reserve aufzubauen.“

Das Argument, ein solches Kryptoguthaben sei schwer zu bilanzieren, will Sell so nicht gelten lassen. „Wir sprechen häufig mit deutschen Konzernen, und da wird es immer schwierig, wenn es darum geht, Ether- oder Bitcoin-Bestände auf die Bilanz zu nehmen. Aber das ist über die Zeitwert-Erfassung gut zu lösen.“

In den USA gibt es mittlerweile 52 Millionen Menschen, die Kryptovermögen besitzen. Die wollen ihre Interessen natürlich repräsentiert sehen.

Jan Sell

Dass mit dem Bitcoin Bundesverband e.V. eine neue Lobbyorganisation gegründet wird, findet Sell gut, auch wenn er über sich selbst sagt: „Ich bin kein Bitcoin-Maxi.“ Coinbase Deutschland ist Mitglied beim Bitkom. Konzernchef Brian Armstrong betreibt in den USA ein transparentes Lobbying, das sachlich wirkt.

Im US-Präsidentenwahlkampf ist die Kryptobranche immer prominenter in Erscheinung getreten, da Protagonisten wie Ex-Messari-Chef Ryan Selkis erfolgreich Donald Trump umgarnten. Aber auch das Kamala-Harris-Lager öffnet sich für Krypto-Interessen. Sell will die politischen Lager nicht bewerten, aber eins ist für ihn klar: „In den USA gibt es mittlerweile 52 Millionen Menschen, die Kryptovermögen besitzen. Die wollen ihre Interessen natürlich repräsentiert sehen.“

Wer die Kryptomärkte in Europa bespielt, der braucht eine Micar-Lizenz. „Wir wollen natürlich eine eigene Lizenz“, so Jan Sell, Deutschland-Chef von Coinbase. Es sei ein großer Aufwand, aber alle würden von klaren Compliance-Vorgaben profitieren.