Angewandte Biotechnologie zum Wohle der Gesellschaft

Bayern ist führende Region für Life Sciences - Digitalisierung hat tiefgreifende Auswirkungen gerade auch im Gesundheitsbereich

Angewandte Biotechnologie zum Wohle der Gesellschaft

Die nationale Exzellenz-Initiative und der nationale Spitzenclusterwettbewerb haben es bewiesen: Bayern ist die führende Region in der Biotechnologie und den Life Sciences allgemein – sowohl in der hervorragenden Grundlagenforschung als auch in angewandter Forschung und Entwicklung.Dank kluger politischer Weichenstellungen in den siebziger und achtziger Jahren konnte sich die bayerische Wissenschaft in den Life Sciences an Universitäten, den Max-Planck-Instituten und den weiteren außeruniversitären Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft sowie der Fraunhofer Gesellschaft eine nationale und europäische Spitzenstellung und in einzelnen Bereichen eine auch weltweit führende Rolle erarbeiten.Das Netzwerk Bayerischer Biotech Cluster schafft dabei seit nun 10 Jahren einen regen Austausch zwischen und einen zentralen Zugang zu den Biotech- bzw. Life-Science-Standorten Bayreuth, Erlangen-Nürnberg, München, Regensburg, Straubing und Würzburg. Insbesondere die pharmazeutische Biotechnologie steht hier im Fokus. Die möglichst rasche Umsetzung neuer Erkenntnisse etwa aus der Genomforschung in die klinische Anwendung, ja in die alltägliche klinische Praxis zum Wohle der Patienten ist der Hauptantrieb und das Hauptinteresse aller Akteure im Bayerischen Biotechnologie Cluster. Internationales NetzwerkIm Münchner Spitzencluster “m4 – Personalisierte Medizin” wurden zahlreiche neue Kooperationen zwischen Academia und Industrie geschmiedet. Mit dem gemeinsamen Ziel der Biomarker-gestützten Medikamentenentwicklung konnten dabei die Sicherheit und Wirksamkeit von neuen Therapien erhöht und die Ausfallraten reduziert werden. Darüber hinaus haben die rund 100 Partner dieses Förderprogramms Hunderte weitere internationale Kooperationen in den letzten Jahren aufgebaut und damit das bayerische Netzwerk noch stärker internationalisiert.Einige Therapeutika und eine große Zahl Diagnostika aus München sind bereits auf dem Markt. Die Pipeline der Unternehmen ist gut gefüllt, und gerade in der Kooperation mit Big Pharma oder großen internationalen Biotechunternehmen werden aus wissenschaftlichen Ideen echte Innovationen. “Made in Munich” sollte auch ein Ende 2014 durch die FDA zugelassenes Produkt der Firma Amgen zieren: Blincyto/Blinatumomab wurde in der Münchner Firma Micromet erforscht und entwickelt und mit dieser gemeinsam durch Amgen 2012 im größten Finanzdeal der deutschen Biotechszene aufgekauft. Eine bayerisch-amerikanische Erfolgsgeschichte, als Ausdruck für die Rohdiamanten, die man in Bayern finden kann! Aber es gibt darüber hinaus noch mehr Geschichten zu erzählen, aus denen deutlich wird, dass sich der ursprünglich rein bayerische Innovationsstandort in einen internationalen Schmelztiegel aller wesentlichen Global Player verwandelt hat. Auch die internationalen Venture-Capital-Gesellschaften sind wieder aktiver in der bayerischen Szene, wie TVM Capital, Forbion, Wellington Partners, Life Science Partners, OrbiMed und viele andere.Ebenfalls erfolgreich im “Spitzencluster-Wettbewerb” war die Region Nürnberg-Erlangen (Medical Valley EMN e. V.), welche als Exzellenzzentrum für Medizintechnik eine enge Vernetzung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie die Innovationskraft der mittelständischen Unternehmen zu nutzen weiß. Die konstruktive und kooperative Zusammenarbeit dieser beiden Spitzencluster bietet vielfältige Chancen. Gerade in der Schnittmenge der digitalen Medizin bietet beispielsweise die Verwendung großer Datenmengen zur Charakterisierung des individuellen Patienten konkrete Anknüpfungspunkte gemeinsamer Aktivitäten.In der Medizintechnik hervorzuheben ist ebenso die Region Regensburg, die insbesondere durch interdisziplinäre Zusammenarbeit der Medizintechnik mit den Biotechnologieunternehmen im Regensburger BioPark glänzt. Zukünftig wird dieser Bereich dort noch enger verzahnt unter dem Motto “Gesundheitswirtschaft” und mit einem eigenen Masterplan vorangebracht werden.Auch in der Pflanzen- und Umweltbiotechnologie ist eine hervorragende Wissenschaftslandschaft entstanden, die nicht nur unter anderem Schwerpunkte in Richtung nachwachsende Rohstoffe setzt – ein Thema, das selbst bei Dauertiefpreisen für Rohöl langfristig von strategischer Bedeutung bleibt. Die industrielle Biotechnologie, koordiniert durch die IBB Netzwerk GmbH, verbindet diese Bereiche und liefert Lösungen für Fragen der Produktion und technischen Umsetzung für so unterschiedlich anmutende Bereiche wie Pharma und Neue Energie – sei es bei der Herstellung von Antikörpern in einer der europaweit größten Produktionsstätten bei Roche in Penzberg oder in den kleineren Anlagen für nachwachsende Roh- und Biokraftstoffe rings um Straubing oder auch von neuartigem Flugbenzin aus dem neuen “Algentechnikum” im Ludwig Bölkow Campus Ottobrunn.Der Bayerische Biotechnologie Cluster vernetzt – unter der Leitung der BioM Biotech Cluster Development GmbH – diese Bereiche nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen nahestehenden Clustern und Branchen wie Nanotechnologie, Ernährung (etwa dem Kompetenzcluster Ernährung KErn und enable in Freising) und weiteren.Auch neuen Themen widmet man sich in Bayern intensiv, wie die Etablierung eines “Center for Advanced Regenerative Engineering” (Care, München) zeigt, das ab 2017 im Bereich Stammzelltechnologie agieren wird. Das Zentrum wird dabei die vorhandene Expertise an weiteren Standorten wie Würzburg und Erlangen mit dem Schwerpunkt auf induzierten, pluripotenten Stammzellen (iPS) in der Medikamentenentwicklung in München vernetzen. Insbesondere soll die iPS-Technologie in eine angewandte (und auch anwendbare) Methode überführt werden, die bei der klinischen Entwicklung beispielsweise Tierexperimente verzichtbarer werden lässt, diese Entwicklung aber auch kostengünstiger zu machen verspricht und damit die Produktentwicklung wieder näher zu den akademischen Einrichtungen bringen hilft.Einen wichtigen Komplex darf man in der heutigen, digitalisierten Gesellschaft nicht außer Acht lassen: die Digitalisierung im Bereich der Gesundheit, die sich auch und gerade auf die gesamte Forschungs-, Entwicklungs- und Wertschöpfungskette der Medikamenten- und Diagnostikaentwickler tiefgreifend auswirken wird oder bereits auswirkt. Das Schlagwort der Big Data macht deshalb auch nicht ohne Grund seine Runde in dieser Branche, muss man doch eine unternehmerische Tätigkeit darauf einstellen, dass die “Kundschaft” (sei es Patient, Arzt, Gesundheitsversorger, Krankenkasse …) nicht nur Datenlieferant oder -empfänger sein will, sondern auch mit den Forderungen nach größtmöglicher Transparenz Eigentümer bleiben und damit die Hoheit über die eigenen (Gesundheits- oder Krankheits-)Daten zurückerlangen will. Patient als AkteurDamit werden Patienten Akteure, nicht nur Empfänger einer Diagnose mit anschließender Ausführung einer ärztlichen Therapieempfehlung. Google und andere machen es möglich und werden es immer weiter als eigene Geschäftsfelder fortentwickeln, dass der Fragende – also etwa der Patient – hinterher klüger ist und als informierter Patient ein anderer “Kunde” sein wird als heutzutage. Nicht nur der Arzt, die gesamte Industrie, Verwaltungen und die Organisationen des Gesundheitssystems werden eine echte “sprechende” Medizin implementieren müssen, wenn der Patient wirklich in das Zentrum aller Anstrengungen im Gesundheitswesen gerückt werden soll. Und der Patient wird sich diese “Machtposition” aus der Digitalisierung seiner Daten früher oder später erkämpfen. Der amerikanische Kardiologe Eric Topol beschreibt diese Zukunftsvision eines “fordernden, informierten” Patienten in seinem Buch “The Patient will see you now!” sehr eindrücklich – und diese Vision, die auch mit einer Demokratisierung der Medizin einhergeht, wird jetzt gerade Realität!Die bayerische Staatsregierung hat dazu sehr passend eine “Digitalisierungsoffensive” gestartet, die in alle Bereiche der Gesellschaft und der Industrie eindringen soll und gerade im Bereich Gesundheit einen besonderen Schwerpunkt setzen wird. Für den Forschungsstandort, aber auch für die mittelständische Industrie ist diese Initiative ein Weckruf an die eigene Kreativität, aus den Möglichkeiten der Informationstechnologie neue und sinnvolle Produkte für die Gesellschaft zu entwickeln. Da Bayern nicht nur als “Gründer-“, sondern auch als “Erfinderland” bundesweit ganz vorn steht, hat dieser Anschub das Potenzial, eine neue industrielle Revolution zu beflügeln.Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit der in den nächsten Jahren stattfindenden Digitalisierung der Medizin, des Patienten und des gesamten Gesundheitssystems einen großen Schritt in eine – was die Gesundheit des einzelnen Individuums anbelangt – eindeutig bessere Zukunft machen werden.—Von Horst Domdey, Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH