Anlagekultur als Grundfeste der Gesellschaft

Bundesbürger haben in Bezug auf eine entwickelte Anlagekultur noch klare Defizite - Sie legen ihr Geld viel zu einseitig an - Höchste Zeit für einen Wandel

Anlagekultur als Grundfeste der Gesellschaft

Goethe, Schiller, Beethoven oder Kant – wenn es darum geht, Deutschlands Rang als Kulturnation zu untermauern, werden vor allem Persönlichkeiten aus dem Bereich der schönen Künste oder der Geisteswissenschaften ins Feld geführt. Auf die Idee, die Werke eines Ökonomen als Kulturgut zu bezeichnen, kommt hierzulande dagegen kaum jemand. Obwohl zum Beispiel Karl Marx mit seinem “Kapital” einen weltweiten Klassiker der Volkswirtschaftslehre abgeliefert hat – der allerdings auch eine entsprechende “kulturpessimistische” Sichtweise mitgeprägt haben dürfte. So betrachten viele Deutsche das Zusammenspiel der Geld- und Gütermärkte oder das Gewinnstreben des Einzelnen immer noch mit Argwohn und können nichts Kulturstiftendes darin sehen.Andere Nationen hingegen sind stolz darauf, geniale Ökonomen wie Adam Smith, John Maynard Keynes oder Milton Friedman hervorgebracht zu haben. In Deutschland wird der Themenbereich Wirtschaft – obwohl unser Wohlstand darauf aufgebaut ist – dagegen wenig thematisiert. Diese Ausgangslage führt zu mangelndem Wissen über wirtschaftliche und finanzielle Zusammenhänge und folglich zu einer unterentwickelten Anlagekultur. Kultur – ein wichtiges GutDer Begriff Anlagekultur wird oft bemüht. Doch was ist unter der Bezeichnung Kultur eigentlich zu verstehen und wofür ist sie gut? Die Unesco definiert den Begriff als die “Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen”. Wir sprechen von einer Diskussionskultur, einer Ess- und Trinkkultur, einer Unternehmenskultur oder eben auch einer Anlagekultur. Ungeachtet der Vielfalt der Begrifflichkeiten besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Kulturen immer von Menschen gemacht beziehungsweise gestaltend hervorgebracht werden. Im positiven Sinne trägt eine ausgeprägte Kultur zur Vertrauensbildung zwischen den Menschen bei. Sie gibt einen Handlungsrahmen vor und erleichtert so das Zusammenwirken.Aber was die Anlagekultur betrifft, gibt es in Deutschland ein klares Defizit. Die Geldanlage der Bundesbürger ist viel zu einseitig auf “renditearmes Sparen” ausgerichtet – siehe die regelmäßigen Vermögensbilanzen der Deutschen Bundesbank. Demnach belief sich das gesamte Geldvermögen (ohne Immobilienbesitz) der Haushalte Ende 2017 auf rund 6 Bill. Euro. Davon werden 2,3 Bill. Euro als Bargeld gehortet oder bei Banken in Form von Sicht-, Termin- oder Spareinlagen gebunkert. Bedenklich in diesem Zusammenhang: Der Anteil von Bargeld und Sichtvermögen ist in den vergangenen Jahren trotz extrem niedriger Zinsen sogar noch gestiegen. Weitere 1,9 Bill. Euro stecken in Lebens- oder Rentenversicherungsprodukten. Lediglich magere 5,6 % des privaten Geldvermögens sind in börsengehandelten Aktien investiert. Zählt man Aktienfonds und Aktienzertifikate hinzu, erhöht sich die Quote auf rund 15 %.Jahrelang lag die Quote derjenigen, die Aktien oder Aktienfonds im Depot liegen haben, zum Teil bei deutlich unter 10 %. Im angelsächsischen Kulturraum, der traditionell eine höhere Affinität zu den Kapitalmärkten aufweist, ist der Anteil deutlich höher. In Großbritannien zum Beispiel beläuft sich die Aktionärsquote auf 23 %, in den USA ist sogar mehr als jeder zweite US-Bürger direkter oder indirekter Besitzer von Aktien. Auch die Niederländer (30 %) sind uns bei der Anlagekultur voraus.Dass sich die Anleger trotz der langen Börsenhausse der letzten Jahre so schwer für Aktien begeistern lassen, hat soziokulturelle Hintergründe. Generationen von Deutschen sind quasi mit dem “Sparbuch” aufgewachsen. Außerdem wird hierzulande – anders als etwa in den USA – über Geldangelegenheiten kaum oder gar nicht gesprochen. Diese Mentalitäten lassen sich nicht so einfach ändern, sie sind tief in unserer Kultur verwurzelt. Phänomene wie der “Neue Markt” oder die Finanzkrise vor zehn Jahren bestärken diese Ansichten weiterhin. Und gerade dieser Umgang einer Gesellschaft mit solchen Ereignissen sagt besonders viel über deren Kultur aus.So ist das Vertrauen, das durch solche Schocks verloren ging, gerade in der hiesigen Kultur nur sehr schwer wiederherzustellen. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Aktieninstituts (DAI) aus dem Jahr 2015. Demnach erachten fast drei Viertel der Umfrageteilnehmer Aktieninvestments für unsicher und riskant. Mehr als die Hälfte glaubt nicht, dass eine Geldanlage in Aktien langfristig mehr bringt als andere Anlageformen. Und rund ein Drittel sieht in Aktien lediglich ein Objekt zur kurzfristigen Spekulation. Diese verzerrte Sicht verhindert einen langfristigen Vermögensaufbau und künftigen Wohlstand, obwohl die eigenständige Sicherung des Lebensstandards immer wichtiger wird.Die Deutsche Bundesbank hat die Renditenachteile, die sich aus der risikoscheuen Anlagekultur ergeben, beziffert. Wie aus dem Monatsbericht von August 2018 hervorgeht, driftete die reale Gesamtrendite, welche die deutschen Haushalte mit ihrem Geldvermögen erzielen, gegen Anfang des Jahres mit minus 0,8 % erstmals seit Jahren wieder in den negativen Bereich ab. Verantwortlich dafür waren vornehmlich die Bankeinlagen. Zeit für KulturwechselEs ist also höchste Zeit, etwas gegen die von der “German Angst” und einem veritablen Pessimismus geprägte Anlagekultur zu unternehmen. Dies kann in Form unterschiedlicher Maßnahmen geschehen. Zum Beispiel durch die Einführung eines verpflichtenden Unterrichtsfachs “Wirtschaft & Finanzen”, Steuererleichterungen auf Kapitalerträge oder eine staatliche Förderung des Vermögensaufbaus mit aktiennahen Investments. Im Sinne des definierten Kulturbegriffs ist allerdings mehr erforderlich, als eine politische Initiative. Denn Kultur definiert sich als gesamtgesellschaftliches Denken und Wirken. Und damit steht auch die Gesellschaft als Ganzes und insbesondere die Finanzindustrie als Know-how-Träger und Anbieter von Investmentlösungen in der Pflicht. Etwa indem Aufklärung und Wissensbildung bei einer breiten Anlegerschicht durch Initiativen mit vorangetrieben werden.In dieser Verantwortung sieht sich die Branche auch, was sich an zahlreichen Aktivitäten und Initiativen zeigt, die man durchaus als “Kulturförderung” bezeichnen könnte. So hat zum Beispiel die Citigroup als ein Pionier für moderne Anlagelösungen in Deutschland mit der Einführung von Optionsscheinen – und kurz darauf Zertifikaten – bereits vor knapp 30 Jahren das “Werkzeug” für aufgeschlossene Anlegerschichten bereitgestellt. Darüber hinaus wurde zugleich aber auch die damit verbundene Verantwortung für den Aufklärungsaspekt übernommen. In diesem Zuge wurde die in Deutschland wohl erste Broschüre über die Funktionsweise dieser Papiere sowie deren Chancen und Risiken veröffentlicht. Das Schriftstück galt lange Zeit als Standardwerk für dieses, damals erst im Entstehen befindliche, Anlagesegment.Auch in den folgenden drei Dekaden ging der Ausbau der Palette an innovativen “Werkzeugen”, also Investmentlösungen, mit dem Ausbau der Bemühungen um Information und Wissensvermittlung Hand in Hand. Neue Möglichkeiten, den Deutschen die aktienbasierte Geldanlage näher zu bringen, ergeben sich nicht erst seit gestern aus der digitalen Revolution, die auch in diesem Bereich einen Kulturwandel einläutet: Sie bringt den Anleger und Anbieter näher zusammen und ermöglicht neue Wege des Transfers (zum Beispiel interaktives Coaching), verkürzt die Zugriffszeit auf Informationen (zum Beispiel Real-Time-Kurse) und trägt zum besseren Verständnis des Marktgeschehens bei (zum Beispiel Webinare).In der Citi-Webinar-Reihe “Märkte am Morgen” zum Beispiel nehmen Experten jeden Montag vor Börseneröffnung die wichtigsten Indizes und Aktien unter die Lupe. Die Teilnehmer haben dabei die Möglichkeit das Webinar aktiv mitzugestalten. Bestimmte Aktien werden, auf im Chat geäußerten Wunsch, in Echtzeit mit in die Analyse aufgenommen. Digitales SchulungsformatMit dem “Traders Camp”, welches dieses Jahr zum ersten Mal stattfand, wurde ein digitales und interaktives Schulungsformat kreiert, über das ausgewählte Privatanleger ein umfängliches mehrwöchiges Proficoaching erhalten und rund um strukturierte Geldanlage ausgebildet werden. Dank der modernen digitalen Medien kann eine breite Schicht an Interessierten auch “passiv” an den vermittelten Inhalten partizipieren, sich über die genutzten Social-Media-Kanäle allerdings auch selbst einbringen. Sozusagen das “Big Brother”-Format für Anleger.Der Boden für Wissensvermittlung, Dialog und Interaktion als Basis einer gelebten und modernen Anlagekultur ist auch in Deutschland vorhanden. Um allerdings eine breitere Kultur der Geldanlage zu etablieren, muss ein noch größerer Teil der Gesellschaft erreicht werden. Dies ist zugegebenermaßen auch das Zentrum der Bemühungen der sich in diesem Feld engagierenden Finanzdienstleister.—-Dirk Heß, Co-Head EMEA Public Listed Products Sales & Distribution bei der Citigroup Global Markets Europe AG