Finanzrepression

Anlagenot treibt Versicherer in gefährliche Flirts

Die Niedrigzinsphase lässt die Assekuranz kreativ werden - Finanzaufseher warnen bereits vor wachsenden Gefahren durch Übernahme von Bankrisiken

Anlagenot treibt Versicherer in gefährliche Flirts

Von Antje Kullrich, DüsseldorfMit Verspätung, dafür aber mit Wucht hat die anhaltende Finanz- und Schuldenkrise die deutschen Versicherer erreicht. Das dämmert auch der Branche selbst – auch wenn die Branchengrößen Allianz und Münchener Rück, mit ihrer Erstversicherungstochter Ergo, 2012 satte Milliardengewinne einfahren werden. Im Frühjahr artikulierte die Branche erstmals in aller Deutlichkeit ihren Unmut über die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Bis dahin hatten sich die Versicherer vor allem selbst auf die Schulter geklopft, dass sie die Lehman-Pleite und die folgende Wirtschaftskrise 2009 so robust überstanden hatten. Billiges Geld ist GiftIm Laufe des zurückliegenden Jahres ist die Stimmung gekippt. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und seine Spitzenvertreter wetterten im April auf dem traditionellen Pressekolloquium gegen die Politik des billigen Geldes. “Die Kosten dieser Strategie tragen die Altersvorsorgesparer”, klagte GDV-Präsident Rolf-Peter Hoenen. Die Assekuranz sieht sich als Verlierer der nicht aufhörenden Rettung von Banken und Staaten.Die Geldschwemme und das niedrige Zinsniveau bringen das traditionelle Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherer auf zweierlei Weise in Gefahr. Zum einen reagieren die Kunden schwer enttäuscht: Wer die Kalkulationen einer Ende der neunziger Jahre abgeschlossenen klassischen Lebensversicherungspolice mit den heutigen Prognoserechnungen vergleicht, wird feststellen, dass sich die vom Versicherer geschätzte Ablaufleistung in etwa halbiert hat. Zu lange haben sich die deutschen Versicherer über prognostizierte Renditen vermarktet – jetzt fällt ihnen diese Werbestrategie auf die Füße.Zum anderen befindet sich das Konzept langfristiger, unverrückbarer Garantien selbst in akuter Gefahr. Zwei Zahlen verdeutlichen die Entwicklung: Während die laufende Verzinsung der Lebensversicherer kontinuierlich sinkt und sich die Talfahrt 2013 mit einem Abrieb um voraussichtlich mehr als 30 Basispunkte auf etwa 3,6 % im Branchendurchschnitt beschleunigt, vermindert sich die durchschnittliche Garantieverzinsung im Bestand der deutschen Lebensversicherer nur ganz langsam und liegt aktuell bei 3,2 %. Es ist eine Rechenaufgabe, herauszufinden, wann sich beide Linien kreuzen. Kosten sollen sinkenWer eine drohende Gefahr so klar kalkulieren kann, bleibt nicht untätig. Die Rettungsmaßnahmen der Lebensversicherer in eigener Sache sind angelaufen. Die Branche hat eine reduzierte Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven durchgesetzt, sie versucht sich durch das Heben von Kosten- und Risikogewinnen Luft zu verschaffen oder beschäftigt sich damit, die bislang unverrückbar geltenden langfristigen Garantien zu verändern. Abschnittsgarantien lautet das Zauberwort für manchen Produktentwickler, das aber in Marketing und Vertrieb auf deutlich weniger Gegenliebe trifft. Alle diese Maßnahmen sind unter Risikoaspekten als unkritisch zu bewerten oder zu begrüßen. Ausputzer und NeueinsteigerIn der Kapitalanlage jedoch machen die Versicherer ein neues Fass auf. Die traditionell konservativ anlegende Branche ist gezwungen, sich auf der Suche nach Rendite anders aufzustellen. Ein heißes Thema sind Finanzierungen. Versicherer springen als Kreditgeber dort ein, wo sich Banken zurückziehen, um ihre Bilanzen zu verschlanken und ihr Eigenkapital zu schonen. So verschwanden 2012 mit der Commerzbank-Tochter Eurohypo und der WestImmo zwei wesentliche Spieler auf dem Markt für gewerbliche Immobilienfinanzierungen. Derweil kann sich Assekuranz-Branchenprimus Allianz vor Anfragen kaum noch retten und hat in jüngster Zeit mit spektakulären Transaktionen wie der Finanzierung des Erwerbs der Zwillingstürme der Deutschen Bank in Frankfurt, der Gropius Passagen in Berlin und der Refinanzierung der Shoppingmall Centro in Oberhausen von sich Reden gemacht. Mittelfristig will die Allianz 3 Mrd. bis 5 Mrd. Euro in Großfinanzierungen von Bürotürmen oder Einkaufszentren stecken.Die Volumina der Branche sind noch gering. In der Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) machen gewerbliche Hypothekendarlehen nur 0,5 % der Kapitalanlagen der gesamten Versicherungsbranche aus. Bei der Mittelstandsfinanzierung – ein Thema, das immer mehr Kapitalanleger in der Assekuranz interessiert – steckt die Branche in einer noch früheren Phase. Überraschend ist, wie deutlich die Finanzaufsicht zu diesem Bereich Stellung genommen hat. Die Bundesbank warnt in ihrem Stabilitätsbericht 2012 erst noch recht allgemein vor “unerwünschten Nebenwirkungen” anhaltend niedriger Zinsen in diesem “Spannungsfeld aus selektiveren Anlagestrategien und reichlich vorhandener Liquidität”. Die Währungshüter warnen vor Positionen, die sich später als besonders risikoreich erweisen könnten. Ein wenig später werden die Bundesbank-Analysten konkreter: Das Niedrigzinsumfeld veranlasse die Versicherer, in stärkeren Wettbewerb mit Banken zu treten. Zu den neuen avisierten Geschäftsfeldern zählten die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, die direkte Kreditvergabe an Unternehmen und Privatkunden und die gewerbliche Immobilienfinanzierung. Der Warnhinweis folgt auf dem Fuß: “Ein bedeutendes Risiko bei der direkten und indirekten Vergabe von Krediten durch Versicherungsunternehmen liegt in einem nicht adäquaten Risikomanagement. Hier muss der Aufbau entsprechender Kapazitäten mit der Ausweitung von Geschäftsaktivitäten Schritt halten.”Wo man dieser Tage in der Branche auch hinhört: Die Mittelstandsfinanzierung ist ein Thema. Axa Deutschland plant nach Angaben von Vorstandsmitglied Heinz-Jürgen Schwering 2013 die erste Transaktion. Auch die Generali spricht mit Banken und will im Asset Management ein entsprechendes Team aufbauen. Die Statements der Kapitalanleger der Versicherer lauten unisono: Ohne Banken geht es nicht, schon allein, weil die Assekuranz ohne Banklizenz keine direkten Kredite vergeben darf. Um jedoch sicherzugehen, vom Partner nicht über den Tisch gezogen zu werden, wollen die Versicherer substanzielle Eigenbehalte der Kreditinstitute sehen. Trotzdem gehen nicht nur bei der Bundesbank, sondern auch bei der europäischen Versichereraufsicht EIOPA erste Warnblinklichter an. Deren Chef Gabriel Bernardino forderte im November: “Wir müssen Anreize begrenzen, Bankrisiken in den Versicherungssektor zu verlagern, weil die Regulierung systemischer Risiken im Bankensektor strenger ist.”Wie so ein potenzieller Ansteckungskanal noch aussehen könnte, beschreibt die Bundesbank: Sie sieht bei Liquidity Swaps die Gefahr, dass sie die Verflechtung von Banken und Versicherern erhöhen und damit die Ausbreitung von Schocks im Finanzsystem beschleunigen. Bei diesen Geschäften tauschen Banken eher illiquide Wertpapiere gegen hochliquide Titel von Versicherern zeitlich befristet und mit einem Abschlag ein. Die Versicherer erhöhen damit die Verzinsung ihrer Kapitalanlagen, die Banken können regulatorische Liquiditätsanforderungen besser erfüllen und die kurzfristige Refinanzierung besichern. Marktkontakte der Bundesbank legten eine Zunahme solcher Transaktionen nahe, schreiben die Währungshüter. Einzelne Deals variierten zwischen 50 Mill. und 2 Mrd. Euro. Die EIOPA richtet ihr wachsames Auge auch dahin – selbst wenn die Zahl der Versicherer mit derlei Aktivitäten in Deutschland noch sehr klein ist, wie die BaFin in einer Erhebung in diesem Jahr ermittelt hat.