Antworten für Herausforderungen in Stadt und Land
Nordrhein-Westfalen (NRW) ist ein starkes Land. Es ist weitaus mehr als nur das einwohnerreichste Bundesland. Es ist das Land mit der höchsten Wirtschaftsleistung und der größten Energieproduktion. Zwischen Rhein und Weser werden die meisten Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen getätigt. Mehr als jeder vierte aus dem Ausland in Deutschland investierte Euro fließt nach Nordrhein-Westfalen. Und es ist ein Land des Wandels und des Fortschritts, der Vielfalt und des Zusammenhalts, der Metropolen und der kleinen Orte.Der wirtschaftliche Wandel ist in Nordrhein-Westfalen erlebbarer als anderswo in Deutschland. Knapp zwei Generationen ist es erst her, dass hier mehr als 600 000 Menschen in Kohle- und Stahlwerken gearbeitet haben. Heute positioniert sich die Metropole Ruhr neu: als moderne und dynamische Wissens- und Dienstleistungsregion und damit weiterhin als eine der stärksten Wirtschaftsregionen Europas. Nie waren in NRW mehr Menschen in Lohn und Brot als heute: Im Sommer waren es fast 7 Millionen. Ein kontinuierlicher Anstieg seit Jahren. Umbrüche noch nicht vorbeiDoch die Zeit der Umbrüche und des Strukturwandels ist noch nicht überstanden. Der demografische und wirtschaftliche Wandel fordert die Regionen heraus. Wachstum und Schrumpfung, Alterung und Zuzug junger Menschen, Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit treten mitunter in enger Nachbarschaft auf. Von der rasant wachsenden und jungen Universitätsstadt Münster bis zu den bereits deutlich gealterten Ruhrgebietsstädten und weiter in die hippen Metropolen Düsseldorf und Köln ist es nicht weit. Und während die Großstädte an Emscher und Ruhr mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, gehen vielen Betrieben und Unternehmen auf dem Land zunehmend die Arbeitskräfte aus.Dabei erfüllen vor allem ländlich geprägte Regionen viele Funktionen: Auf den Äckern, Wiesen und Hofstellen erzeugen Landwirte Nahrungsmittel und Biomasse, im Wald wächst der Rohstoff Holz, naturnahe Flächen sind Rückzugsorte für Pflanzen und Tiere. Menschen fahren raus aufs Land, um durchzuatmen und sich zu erholen. “Leben auf dem Land”Rund 80 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen haben sich dort angesiedelt, darunter zahlreiche Familienbetriebe, die in ihrem Segment häufig auf dem Weltmarkt führend sind. Diese sogenannten “Hidden Champions” sorgen für Wertschöpfung und sind attraktive Arbeitgeber und sorgen mit für das gute “Leben auf dem Land”.Doch der ländliche Raum hat auch Probleme: Wie kann er langfristig eine wohnortnahe Versorgung mit guter Verkehrsanbindung, mit Ärzten, Einkaufsläden, Kindergärten, Schulen und vielem mehr sichern? Wie kann er die Landflucht von jungen Menschen stoppen? Eine lange GeschichteLösungen bietet hier das genossenschaftliche Modell. Die Grundidee, dass sich durch Kooperation mehr erreichen lässt als durch Alleingänge, hat eine lange Geschichte. Heute sind Genossenschaften ein starker Pfeiler der deutschen Wirtschaft. 22 Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Genossenschaft. So ist praktisch jeder Landwirt Mitglied einer oder mehrerer Genossenschaften. 60 % aller Handwerker, 75 % aller Einzelhandelskaufleute, 90 % aller Bäcker und Metzger sowie mehr als 65 % aller selbständigen Steuerberater sind Genossenschaftsmitglieder.Den größten Anteil an Mitgliedern haben – mit 17 Millionen – immer noch die rund 900 krisensicheren Kreditgenossenschaften, gefolgt von den Wohnungsgenossenschaften mit knapp 3 Millionen Mitgliedern. Die Wohnungsbaugenossenschaften bewirtschaften etwa 10 % der Mietwohnungen in Deutschland.Genossenschaften sind weltweit eine einzigartige Unternehmensform. Kunden sind zugleich Mitglieder und legen Kapital im eigenen Unternehmen an. Jedes Mitglied hat das gleiche demokratische Stimmrecht. Nicht die Rendite, sondern die Förderung des Mitglieds steht satzungsgemäß im Mittelpunkt, deshalb wirtschaften Genossenschaften nachhaltig. Sie sind Erfolgsmodelle, die Lösungen für dringende gesellschaftliche Probleme bieten.Zum Beispiel im Bereich der Daseinsvorsorge: vom Wohnen im Alter über die Betreuung von Senioren und Kindern bis hin zur Nahversorgung in Dörfern durch Ärzte und Einkaufsläden. Die Energiegenossenschaften leisten einen großen Beitrag zur Versorgung und zum Vorhalten von neuen Technologien.Wichtig ist es, die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen zu setzen: Um erneuerbare Energien weiter auszubauen sollte wieder mehr Bürgerwindenergie möglich sein. Für Fotovoltaik sollten künftig auch Agrarflächen genutzt werden dürfen.Auch im Bereich der Mobilität bieten Kooperationen in Genossenschaften gute Lösungen, zum Beispiel bei der Nutzung der Elektromobilität im gewerblichen Bereich, der Integration der Elektromobilität in Neubauprojekten oder der Entwicklung neuer E-Car-Sharing-Konzepte. Hier gibt es inzwischen smart gedachte Netzwerke und auch Cluster-Lösungen. Die Ideen reichen von Gehaltsumwandlungen für neue E-Autos bis hin zu ökologischen Energieeinspeisungen. Nutzen haben davon alle: Kunden, Mitarbeiter, Banken, Energie-Genossenschaften, Unternehmen, Kommunen. So sind zusammen mit den Volksbanken und Raiffeisenbanken Schnellladestationen entstanden.Teilen ist trendy – nicht nur in Bibliotheken, auch beim Autofahren. Dank Internet wird es einfacher. Sogar auf dem Land und am Stadtrand. Bewegung bringt dort die Bürger-Energie Rhein-Sieg eG den Menschen durch mehr Elektromobilität und Carsharing. Bester Beweis: Ende 2018 startete die Genossenschaft mit dem Projekt “Clever Mobil im Quartier”. Bornheim-Sechtem hat nun die erste Carsharing-Station im Ort. Eine echte Alternative für Menschen in ländlichen Regionen, die ihr zweites Auto gern abschaffen wollen. Weitere Stationen sollen folgen – möglichst im gesamten Rhein-Sieg-Kreis und auch in der Region zwischen Aachen und Köln.Ein Ort, zwei Genossenschaften – und jede Menge Mehrwert für alle: Hülsenbusch in Gummersbach zählt gerade mal 850 Einwohner. Ganz groß sind indes das Engagement und das Wir-Gefühl. Das wiederum bringt viel Bewegung in das Dorf: Rund 180 Mitglieder betreiben die Ärztehaus eG und die Gaststätte Jäger eG “schmeißt” die Dorfkneipe mit etwa 200 Mitgliedern. Das Ärztehaus-Genossenschaftsprojekt will ärztliche sowie pflegerische und therapeutische Angebote im Dorf dauerhaft sicherstellen. Seit 2018 wird kräftig gebaut. Im Januar 2020 soll das Ärztehaus fertig sein. Die künftigen Mieter für die 725 qm Nutzfläche stehen bereits fest: ein Internist sowie ein Kinderarzt, eine Tagespflegeeinrichtung und eine Praxis für Sprachtherapie.Nichts Geringeres als eine neue Form des Arbeitens hat sich die Soennecken eG in Overath bei Köln mit dem WorkLab vorgenommen. Im Sommer 2018 wurde die neue Kreativstätte eröffnet; Gestaltung und Nutzungsformate haben über 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam erarbeitet. Die Genossenschaft, im deutschsprachigen Raum führend bei der Vermarktung, Finanzierung und Logistik von Produkten und Dienstleistungen rund um die Büroorganisation, will damit neue Denkmuster und mehr Projektkultur fördern. Mitarbeiter und Mitglieder diskutieren hier mit Lieferanten und Endkunden Ideen und setzen sie um. Digitaler HofladenOb frisches Brot vom Bäcker im Dorf, Obst vom Bauern nebenan oder der Festtagsbraten vom Landwirt aus der Region: Die Auswahl ist so vielfältig wie auf dem Wochenmarkt. Aber als Internethandel und regional gedacht. Die Genossenschaft “Wochenmarkt 24” hat mit ihrer Online-Plattform www.Wochenmarkt24.de einen digitalen Marktplatz für regionale Lebensmittel geschaffen. Geliefert wird über Nacht – am nächsten Morgen stehen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Milch, Fleisch und Erdbeeren vor der Haustür des Bestellers. Was als Blaupause in Ostwestfalen erprobt wird, kann mittelfristig auf ganz Deutschland übertragen werden – denkbar als gute Alternative zu E-Commerce-Riesen.Genossenschaften bieten in vielen Lebensbereichen – ob in Stadt oder Land – gute Lösungen, um Versorgungsengpässe gemeinsam zu beseitigen. Unterstützend wirken hier regionale Volks- und Raiffeisenbanken: mit Finanzierungs- und Umsetzungsideen. Ralf W. Barkey, Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsverbandes Verband der Regionen