GASTBEITRAG

Auch dezentrale Netzwerke brauchen zentrale Akteure

Börsen-Zeitung, 9.1.2021 Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) bleibt auch 2021 eines der wichtigsten Innovationsthemen für den Finanzmarkt. Das Interesse an der Technologie und ihren Möglichkeiten reicht weit über die Transaktionen von...

Auch dezentrale Netzwerke brauchen zentrale Akteure

Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) bleibt auch 2021 eines der wichtigsten Innovationsthemen für den Finanzmarkt. Das Interesse an der Technologie und ihren Möglichkeiten reicht weit über die Transaktionen von Kryptowährungen wie Bitcoin hinaus. Denn die Aussicht auf eine Effizienzsteigerung ist attraktiv. Ein DLT-Netzwerk benötigt theoretisch keine zentrale Instanz mehr, die eine Datenbank oder ein Kontenbuch verwaltet. Denn das Prinzip dezentral verteilter Kontenbücher sieht vor, Transaktionsdaten mithilfe eines Konsens-Algorithmus verschlüsselt und unveränderlich auf verschiedenen Knotenpunkten im – öffentlichen oder privaten – Netzwerk zu speichern. Das Entscheidungsrecht der Datenfortschreibung liegt in einer verteilten Architektur und damit bei allen Teilnehmern.Die Folgen für die Finanzbranche können weitreichend sein: Denn in der heutigen Marktstruktur und der darauf basierenden Systemlandschaft für Finanztransaktionen sind Intermediäre unerlässliche Akteure. Sie verbinden die Marktteilnehmer und betreiben letztlich das gesamte Finanzsystem. Im Wertpapierhandel ist die Zahl der Beteiligten groß: Börsen, multilaterale OTC-Handelsplätze, Händler, Clearinghäuser, Custodians, Zentralverwahrer und so weiter. Sie alle legitimieren und sichern die weisungsgemäße Ausführung jeder einzelnen Transaktion. Eine Frage des VertrauensDie DLT hat das Potenzial, viele dieser Intermediäre aus der bisherigen Gleichung herauszunehmen. Emittenten und Investoren könnten davon profitieren. Doch über die zentrale Frage wird wenig gesprochen: Ist die Masse der Finanzmarktteilnehmer perspektivisch gewillt, Transaktionen über ein anonymes und “unbegleitetes” Netzwerk abzuwickeln? Wird den DLT-Nutzern im sensiblen Wertpapiermarkt ein Modell genügen, das auf Instanzen verzichtet, die sichtbar sind, Vertrauen genießen und Verantwortung für reibungslose Prozesse übernehmen?Neben aller Effizienzverbesserung werden zwei wesentliche Aspekte über die Zukunft von Distributed Ledgern mitentscheiden: einerseits das Vertrauen der Nutzer in die Technologie, andererseits die Stabilität und Reliabilität des Netzwerks selbst. Mehr noch als bisher muss der Blick darauf gerichtet werden, wie das Vertrauen in die Technologie gestärkt werden kann. Und wie die grundlegende Funktionalität auch bei möglichen technischen Zwischenfällen gewährleistet bleibt. Die deutsche Gesetzgebung hat mit dem Regierungsentwurf zur Einführung elektronischer Wertpapiere erste Ideen und Vorstellungen vorgelegt. Die Pläne lassen erkennen, dass die Bundesministerien für Justiz und Verbraucherschutz sowie der Finanzen bisher keinen Bedarf sehen, die bisherigen Intermediäre perspektivisch aus der Pflicht zu nehmen oder die etablierten Wertschöpfungsketten vollständig aufzubrechen. Die Entwicklungen auf europäischer Ebene deuten in dieselbe Richtung, hat doch die EU-Kommission mit den Papieren zu ihrer Digital-Finance-Strategie bereits eigene Positionsbestimmungen vorgenommen, die ebenfalls den Erhalt der Intermediärsfunktion erkennen lassen.Der Schritt der Bundesministerien war wohlüberlegt. Noch gibt es kein grundlegendes Vertrauen in anonyme Netzwerke, zumal bei einer neuen Technologie. Und es ist fraglich, ob das jemals der Fall sein wird. Denn bei aller Fokussierung auf die zugrundeliegende Technologie müssen wir beachten, dass es Menschen sind, die sie nutzen. Gerade bei Finanzthemen haben diese Menschen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Diese soziale Komponente dürfen wir nicht außer Acht lassen. Erste ErfahrungenAuch wir als DWP Bank erproben die Technologie zusammen mit unseren Partnern der DZ Bank, der DekaBank, der Helaba und der NRW.Bank. Das Pilotprojekt Finledger zeigt das Potenzial von DLT: Über Finledger werden mithilfe der Blockchain emittierte Schuldscheindarlehen vollständig digital abgewickelt. Und die bisherigen Erfahrungen sind positiv. Die Einzelschritte der mehrstufigen, zuvor manuellen Abwicklung konnten wir um mehr als 50 % reduzieren. Dokumente müssen nicht mehr physisch verwahrt und Wertsendungen nicht mehr verschickt werden. Verglichen mit dem bisherigen Prozess werden Risiken signifikant reduziert, beispielsweise durch automatische Echtheitsprüfungen der Transaktionen.Auf dem weiteren Weg nach vorn werden wir als Finanzbranche noch viele Erfahrungen sammeln, auch auf technologischer Seite. Wir wissen zwar, dass es in einer dezentralen Struktur keinen einzelnen, für das Funktionieren des Netzes unverzichtbaren Knoten mehr gibt. Aber die Risiken, die damit einhergehen, sind noch zu wenig erforscht. Denn viele gleichberechtigte Knoten bilden umso zahlreichere Einfallstore für mögliche Angriffe, wie die Bundesbank schon 2017 in einem ihrer Monatsberichte festgehalten hat. Angreifer könnten sich auf Knoten mit den niedrigsten Sicherheitsvorkehrungen konzentrieren, so die Befürchtung – wodurch die Datensicherheit unter Umständen deutlich schwieriger zu gewährleisten wäre als bei einem zentralisierten System, so die Bundesbank.In der DWP Bank bündeln wir täglich tausende von Transaktionen, korrigieren Fehler und stehen unseren direkten Kunden bei Rückfragen rund um die Transaktionen zur Verfügung. Auch die Verwaltung und Aktualisierung von Finledger wird von uns koordiniert. Zentrale Akteure, die dafür sorgen, dass alle Netzwerk-Teilnehmer auf demselben technologischen Stand bleiben, sind auch in dezentralen Umgebungen noch unabdingbar.Regulatoren weisen zu Recht darauf hin, dass die Blockchain den Finanzmärkten erkennbare Vorteile bringen kann. Die Systeme müssen aber nicht nur innovativ sein, sondern auch Vertrauen genießen und einen Begleiter haben, der für ihre Nutzer im Not- und Zweifelsfall zur Stelle ist. Deshalb werden etablierte und regulierte Akteure im deutschen Finanzmarkt wichtig bleiben, um als zentrale Anlaufstelle bei allen denkbaren und vermeintlich undenkbaren Ereignissen zu fungieren – in absehbarer Zeit, aber vielleicht auch in ferner Zukunft. Markus Neukirch, Vorstand IT und Operations, DWP Bank