IM BLICKFELD

Auch im Zeitalter des Homeoffice bleibt Büro vorerst gefragt

Von Thomas List, Frankfurt Börsen-Zeitung, 23.9.2020 Die Covid-19-Pandemie hat viele Bürobeschäftigte ins Homeoffice gezwungen - und es hat so gut funktioniert, dass viele sich eine dauerhafte Nutzung der eigenen Wohnung zum Arbeiten gut vorstellen...

Auch im Zeitalter des Homeoffice bleibt Büro vorerst gefragt

Von Thomas List, FrankfurtDie Covid-19-Pandemie hat viele Bürobeschäftigte ins Homeoffice gezwungen – und es hat so gut funktioniert, dass viele sich eine dauerhafte Nutzung der eigenen Wohnung zum Arbeiten gut vorstellen können. Dieser Meinung sind nicht nur zahlreiche Beschäftigte, sondern auch Arbeitgeber.Wie sich die neue Praxis auf den Bedarf nach Büroflächen auswirken wird, ist umstritten. Auf den ersten Blick erscheint bei weniger anwesenden Mitarbeitern eine Reduktion folgerichtig. Ein Blick in die Vergangenheit verschiedener europäischer Länder legt nahe, dass ein Anstieg der Heimarbeitsplätze um 10 % zu einer Verringerung der Arbeitsfläche pro Mitarbeiter um 5 % führt. Die Autorin dieser Untersuchung, Amy Wood von Capital Economics (“Impact of Working from Home on European Office Demand”, 11.5.2020) weist aber darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Heimarbeit und Büroarbeitsfläche “bestenfalls schwach” sei. Hingegen werde die wirtschaftliche Entwicklung nach Überwindung der Pandemie und die sich daraus ergebende Beschäftigungsquote sehr viel wichtiger für die Büroflächennachfrage sein.Jones Lang LaSalle (JLL) hat im Juni für die Zeit nach Corona drei “Szenarien für die künftige Bedeutung der Büronutzung”, so der Titel des Analyseberichts, entwickelt – zwischen den eigenen vier Wänden als “Place to Work” (30 % weniger Beschäftigte im Büro) bis zum Büro als “Place to Be” (5 % weniger Bürobeschäftigte). Als wahrscheinlichstes Szenario wird aber die mittlere Variante mit 15 % weniger Bürobeschäftigten angesehen. Dies würde nach Schätzung der JLL-Analysten die benötigte Bürofläche um 10 % reduzieren. Nach dem ersten Szenario käme es zu einer Büroflächenreduktion um 23 %, im dritten Szenario würde sich der Flächenbedarf sogar um 14 % erhöhen. Dabei spielen die dauerhaft für die Zukunft angenommenen Abstands- und Hygieneregeln eine zentrale Rolle. Sie lassen die notwendige Fläche pro Mitarbeiter in dem Modell um 20 % steigen. Weniger braucht mehrMarcus Lütgering, bei JLL Head of Office Investment Germany, glaubt nicht an Flächenreduzierungen, sondern geht, wie andere Unternehmen auch, für die Zukunft von einem höheren Flächenbedarf aus. Unternehmen, die wie JLL in ihrem neuen Frankfurter Sitz für 1,3 Mitarbeiter einen Arbeitsplatz vorhalten, würden keine Flächen einsparen. Die geringeren Arbeitsflächen durch den Übergang von Einzelbüros zum Großraum würden durch zusätzliche Ruhe-, Einzelarbeits-, Besprechungs- und Gemeinschaftsräume überkompensiert.Viel wichtiger ist aber die Frage, wie effizient das Arbeiten von zu Hause ist. So hat Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan, vor einigen Tagen den Rückruf der Wertpapierhändler ins Büro mit Effizienzverlusten begründet (vgl. BZ vom 12. September). Befürchtet wird ein abnehmender Kameradschaftsgeist unter den Händlern und ein mangelhaftes Training der Nachwuchskräfte.Ein zentraler Nachteil des Homeoffice ist die erschwerte Kommunikation zwischen den Mitarbeitern drinnen und draußen. Statt des kurzen Austauschs mit dem Kollegen im Büro nebenan muss man zum Telefonhörer greifen oder eine Mail schreiben. Auch der wichtige informelle Austausch in der Kaffeeküche oder beim gemeinsamen Mittagessen fehlt. Kreativität und Motivation drohen auf der Strecke zu bleiben. Die Mitarbeiter zu Hause laufen Gefahr, vom Unternehmensgeschehen abgehängt zu werden und die Unternehmenskultur zu verlieren, während jüngere Mitarbeiter die Firmenkultur gar nicht erst verinnerlichen.Diese Defizite müssen, wenn die Heimarbeiter doch einmal im Büro sind, ausgeglichen werden, in ausreichend vorhandenen Besprechungsräumen und ungezwungenen Gemeinschaftsflächen. Dabei sollte der Arbeitsplatz so attraktiv gestaltet sein, dass die Beschäftigten gerne wieder ins Büro kommen und den häufig nicht unerheblichen Arbeitsweg auf sich nehmen. Nur ein Faktor von vielen Wie stark sich das Homeoffice nach Corona verbreiten wird, ist im Moment nicht absehbar. Dazu kommt: Homeoffice ist nur ein Faktor von mehreren, der die Büronachfrage beeinflusst. Offen ist auch, was von Corona bleibt – gibt es durch eine Impfung eine Rückkehr zu Vor-Corona-Zeiten ohne Abstandsregeln oder werden wir auf Dauer zu unseren Kolleginnen am Arbeitsplatz räumliche Distanz wahren müssen?Diese Effekte könnten überlagert werden durch konjunkturelle Einflüsse wie eine anhaltende coronabedingte Rezession, die zu einem Belegschaftsabbau führen würde. Die Digitalisierung kann die Automatisierung vieler Prozesse beschleunigen, was ebenfalls viele Büroarbeitsplätze überflüssig machen könnte. Die demografische Entwicklung sorgt für weniger junge Beschäftigte, die auf die geburtenstarken Jahrgänge folgen könnten.Insgesamt dürften Investoren in den Büromarkt in naher Zukunft zurückhaltend agieren – in Immobilienmärkten der Peripherie eher als in den Zentren der Großstädte. Die Märkte reagieren langsam, denn die Preise dürften wegen länger laufender Mietverträge mit Verzögerung reagieren.