Auf das Wesentliche konzentrieren

Weniger Anlegerschutz durch zu viel Regulierung - Wirksame Branchenstandards als Alternative

Auf das Wesentliche konzentrieren

Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern und die anderen Windmühlen, so eine chinesische Weisheit. Sie lässt sich auch auf die Finanzmarktregulierung und den Anlegerschutz übertragen: Viele politische Entscheider und Verbraucherschützer glauben, dass noch mehr Regeln zu noch mehr Schutz der Anleger führen. Hieran bestehen berechtigte Zweifel, wie auch das Beispiel des Bürokratiemonsters “Beratungsprotokoll” zeigt.Inzwischen wächst die Einsicht, dass sich die Papierstapel, die ein Beratungskunde beim Kauf eines Finanzprodukts zwangsläufig erhält, wohl kaum für dessen Schutz eignen. Zum einen wird für diesen Anlegertypus nun dokumentiert, dass er Funktionsweise und Risiken des jeweiligen Finanzprodukts hinlänglich verstanden hat. Doch wer bislang wenig bis gar kein Interesse an finanziellen Zusammenhängen zeigte, der wird vermutlich auch den Papierberg eines Beratungsprotokolls nebst weiteren Unterlagen nicht lesen. So schützt das Beratungsprotokoll in seiner jetzigen Form weder vor falschen Renditeerwartungen noch vor Kapitalverlust, und im Zweifel befindet sich der Anleger sogar in einer schlechteren Rechtsposition.Zum Zweiten geben immer mehr Anlageberater mit Blick auf die ausufernden Dokumentationsauflagen und die gestiegenen Haftungsrisiken lieber nahezu risikolosen, jedoch auch renditearmen Produkten den Vorzug. Doch gerade im derzeitigen Niedrigzinsumfeld brauchen auch die Beratungskunden für ihren langfristigen Vermögensaufbau und für die Altersvorsorge Finanzprodukte, deren Renditen zumindest oberhalb der Inflationsrate liegen.Und um bei einem weiteren Punkt im Bild des chinesischen Sprichworts zu bleiben: Die Politik zwingt mit der zunehmenden Regulierungsdichte nicht nur die Beratungskunden, sondern ungewollt auch die Selbstentscheider hinter die staatlichen Schutzwälle. Gut gemeinter Anlegerschutz darf nicht umschlagen in Bevormundung oder gar Entmündigung, gegen die sachkundige Anleger zu Recht protestieren. Sie fühlen sich vielfach wie kleine Kinder behandelt, werden mit überflüssigem Arbeits- und Zeitaufwand belastet und bei schnellen Anlageentscheidungen ausgebremst. Eigeninitiative fördernIn einer Zeit, in der unstrittig ein Wind des Wandels weht, sollten daher Banken, Regulierer und Aufseher im Sinne des Anlegers gemeinsam den Bau von Windmühlen statt von Schutzmauern vorantreiben. Richtig ist: Anleger müssen vor Risiken geschützt werden, die sie nicht erkennen können. Deshalb ist und bleibt die Verständlichkeit und Transparenz von Finanzprodukten oberstes Gebot.Doch auch das beste Anlegerschutzgesetz der Welt kann Fehlentscheidungen eines Anlegers nicht verhindern, wenn er uninformiert ist oder sich vielleicht auch gar nicht informieren will. Hier stellt sich die bildungspolitische Herausforderung, schon in der Schule jeden Schüler zu motivieren, sich mit wirtschaftlichen Grundfragen zu beschäftigen und sich später dann auch eigenverantwortlich um die eigenen Finanzen zu kümmern. Hohes Maß an TransparenzDer Deutsche Derivate Verband (DDV) sieht eine Kernaufgabe darin, Branchenstandards für strukturierte Wertpapiere zu setzen und mit Selbstverpflichtungen dazu beizutragen, wenig sachgerechte Gesetze und Verordnungen überflüssig zu machen. Dabei hat er auch immer den privaten Anleger im Blick, um ihm Orientierung zu geben und ihn dabei zu unterstützen, fundierte Anlageentscheidungen zu treffen.Die Zertifikatebranche hat in einem bemerkenswert vielseitigen Produktuniversum Standards geschaffen, die sich durch ein hohes Maß an Transparenz, Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit auszeichnen: von der Produktklassifizierung durch die Derivate-Liga über die einheitlichen Fachbegriffe bis hin zu den standardisierten Produktinformationsblättern und zur Einteilung der Zertifikate in fünf Risikoklassen.Mit dem Fairness Kodex haben die 17 Mitgliedsbanken des DDV kürzlich einen weiteren wichtigen Meilenstein gesetzt. Sie haben ihre Standards für Emission, Strukturierung, Vertrieb und Marketing strukturierter Wertpapiere im vergangenen Jahr nach intensiver Diskussion in wesentlichen Punkten überarbeitet und schließlich einstimmig verabschiedet. Der Fairness Kodex enthält jetzt alle wichtigen Leitlinien für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Kapital und Vertrauen der Anleger.Die Zertifikate-Emittenten nennen ihre erweiterte Selbstverpflichtung ganz bewusst Fairness Kodex. Damit unterstreichen sie ihr Hauptanliegen, nämlich den fairen Umgang mit den Kunden. So verpflichten sich die DDV-Mitglieder ausdrücklich zu einer fairen Gestaltung ihrer strukturierten Wertpapiere und machen das an konkreten Punkten fest. Sie achten beispielsweise darauf, dass mit Blick auf das jeweilige Auszahlungsprofil des strukturierten Wertpapiers und die damit verbundene Markterwartung kein unausgewogenes Verhältnis zwischen Renditechance und Risiko besteht.Außerdem gilt: Der höchstmögliche Ertrag jedes strukturierten Wertpapiers muss zum Zeitpunkt der Festlegung der Produktkonditionen die Rendite einer Bundesanleihe mit vergleichbarer Laufzeit übersteigen. Alle Finanzprodukte, die diese Richtgröße nicht einhalten, verschwinden damit vom Markt, denn sie bringen den Anlegern keinen Nutzen und sind deshalb überflüssig. Zudem stellen die Zertifikate-Emittenten keine positiven Produktmerkmale in den Vordergrund, die nur unter unwahrscheinlichen Umständen eintreten, und verwenden bei der Bezeichnung der strukturierten Wertpapiere klare und unmissverständliche Begriffe.Bei jedem Finanzprodukt ist die erwartete Rendite ohne Zweifel ein zentrales Kaufkriterium. Der Ausweis der Kosten bietet den Anlegern aber noch eine zusätzliche Orientierungshilfe. Deshalb haben sich die DDV-Mitglieder im Zuge der Selbstverpflichtung durch den Fairness Kodex darauf geeinigt, den vom Emittenten geschätzten Wert (Issuer Estimated Value, IEV) in den Produktinformationsblättern der Anlageprodukte als Prozentsatz oder in Euro auszuweisen. Der Anleger, der sich für die Höhe der erwarteten Emittentenmarge eines Zertifikats interessiert, kann diese leicht ermitteln. Er muss vom Zertifikatepreis nur den IEV und ggf. die ebenso ausgewiesene Vertriebsprovision abziehen.Die DDV-Mitglieder haben sich im neuen Fairness Kodex zudem darauf verständigt, künftig bei Anlageprodukten mit vollständigem Kapitalschutz, die eine Mindest- und eine Höchstverzinsung aufweisen, die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten zum Zeitpunkt der Festlegung der Produktkonditionen im Produktinformationsblatt anzugeben. Sie wollen Anlegern damit helfen, die Renditechancen des jeweiligen Anlageprodukts besser einschätzen zu können. Kein anderer Anbieter von kapitalgeschützten Finanzprodukten stellt diese Information bisher zur Verfügung. Sie wäre jedoch ein wichtiger Anhaltspunkt für die sicherheitsorientierten Privatanleger, um die verschiedenen Finanzprodukte auf einer fairen Basis miteinander vergleichen zu können.Die Standards der Zertifikatebranche setzen auf Information und Transparenz. So kann sich jeder Anleger eingehend mit Chancen und Risiken seines strukturierten Wertpapiers auseinandersetzen und fundierte Anlageentscheidungen treffen. Es muss daher gelten: Anlegerschutz ist sinnvoll und notwendig, aber es darf dabei keine Bevormundung der Anleger geben, die bereit sind, für höhere Renditechancen auch größere Risiken einzugehen. Am Leitbild des mündigen Verbrauchers, der auch in finanziellen Dingen selbst entscheidet, sollte sich auch der Gesetzgeber künftig wieder orientieren.—Von Hartmut Knüppel Geschäftsführender Vorstand des DDV