LEITARTIKEL

Auf dem Silbertablett

Die Epoche der vermeintlichen Alternativlosigkeit treibt eine neue Blüte: Hinein in die Computerwolke zieht es den Finanzsektor. Allein Google hat binnen Jahresfrist die Deutsche Börse, die Deutsche Bank sowie zuletzt Finanz Informatik Technologie...

Auf dem Silbertablett

Die Epoche der vermeintlichen Alternativlosigkeit treibt eine neue Blüte: Hinein in die Computerwolke zieht es den Finanzsektor. Allein Google hat binnen Jahresfrist die Deutsche Börse, die Deutsche Bank sowie zuletzt Finanz Informatik Technologie Service, die Tochter des Sparkassen-IT-Dienstleisters, als Kunden akquiriert. Die Commerzbank nutzt schon seit längerem die Google-Cloud, weitere Banken werden folgen. Alle eint die Aussicht auf unbegrenzte Rechnerkapazitäten nach Bedarf, teils aber auch die Hoffnung auf aufregende Neuerungen. Denn während die Sparkassen allein Rechnerplatz buchen und in Amazon, IBM und Microsoft auch die anderen Oligopolisten im Markt der Hyperscaler anbinden wollen, setzt die Deutsche Bank alles auf den Konzern aus Mountain View und will im Zuge einer mehrjährigen strategischen Partnerschaft auch eine gemeinsame Entwicklung von Produkten vereinbaren.Auf den ersten Blick ist das schlüssig: Keine Großbank wird es je mit den Kapazitäten und den Budgets eines der vier Technologieriesen aufnehmen können; da erscheinen Auslagerungen geboten. Auch dürften Google-Kunden finanziell günstige Konditionen aushandeln, denn das Unternehmen giert nach Marktanteilen in Deutschlands Finanzsektor, um gegenüber den Konkurrenten aufzuholen. Die Aufsicht wiederum hat sich längst für solches Outsourcing erwärmt, offenbar der Einsicht folgend, dass es ihr an Glaubwürdigkeit mangelt, wenn sie die Banken auf der einen Seite zusehends rüde auffordert zu sparen, ihnen andererseits aber eben diesem Zweck dienende Auslagerungen verwehrt.Tatsächlich aber birgt der Flug in die Wolke datenschutzrechtliche, operative, strategische, politische und systemische Risiken, die, Hand aufs Herz, derzeit wohl noch niemand so recht zu überblicken vermag. Effizienz first, Bedenken second, lautet das Motto. Das geht so lange gut, bis es nicht mehr gut geht.So enthalten die Outsourcing-Vereinbarungen zwar Bestimmungen zum Schutz der Daten. Wer aber könnte es einem der Technologieunternehmen, die schon bisher die neue Datenwelt im Stile von Kolonialmächten vermaßen, nachweisen, falls diese absprachenwidrig dennoch auf Daten zugriffen? Überhaupt wird es spannend sein zu verfolgen, wie deutsche Banken und deren Prüfer bei den auf Standardisierung und Größeneffekte geeichten Cloud-Anbietern aufsichtliche Kontrollpflichten oder nötigenfalls Sonderwünsche wie forensische Untersuchungen à la Wirecard im Zweifel durchsetzen wollen. Dass sie im Falle eines Falles das kurze Ende des Stocks in der Hand halten, haben die Banken ja selbst erkannt. Nur ward vom Schulterschluss europäischer Cloud-Nutzer, wie ihn vor Jahresfrist die Commerzbank anstrebte, um die Verhandlungsmacht zu bündeln, seit Monaten nichts mehr gehört.Viel schwerer noch wiegt: Strategisch glauben die Banken, die Auslagerung von Daten und deren Analyse erlaube ihnen eine stärkere Konzentration aufs Kerngeschäft. Nur: Daten und deren Analyse sind künftig das Kerngeschäft. Indem sie ihre Daten in die Wolke leiten, überantworten die Institute den Insourcern den einzigen nicht vergänglichen Rohstoff unter ihrer Kontrolle. Die Deutsche Bank bietet Google zudem auch Einblick in die Art, wie sie ihre Daten verarbeitet – einem Unternehmen, das nicht nur Suchmaschinen und Rechnerkapazitäten anbietet, sondern zunehmend in den Wettbewerb zu herkömmlichen Banken tritt. Im Kapitalmarktgeschäft ist die wachsende Marktmacht der US-Häuser von deutschen Banken schon wortreich beklagt worden; in der IT übergeben sie diese ihnen auf dem Silbertablett. Vollends gewagt wirkt die Zusammenarbeit von Google und Deutscher Bank unter der Prämisse einer Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump. Der Deutsche-Bank-Kunde im Weißen Haus hätte null Skrupel, via Google die Deutsche Bank unter Druck zu setzen, falls ihm dies opportun erscheinen sollte. Nun rächt sich bitter, dass Europa bislang nicht im Stande gewesen ist, eine europäische Cloud anzubieten. Systemisch schafft die Datenkonzentration schließlich Klumpenrisiken. Zwar gelten die Tech-Giganten dank Finanzkraft und Expertise bislang als gegen Hackerangriffe gefeit. Je mehr Daten sie aber auf sich vereinen, umso attraktiver werden sie als Ziel.——Von Bernd NeubacherIm Kapitalmarktgeschäft ist die wachsende Marktmacht der US-Häuser von deutschen Banken schon wortreich beklagt worden; im IT-Geschäft übergeben sie diese ihnen auf dem Silbertablett.——