Auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Agrarbranche
Der Klimawandel ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt gerückt und wird, richtigerweise, 2020 ebenfalls eines der beherrschenden Themen sein. Inmitten von Fridays-for-Future-Demonstrationen und Klimakonferenzen wurde zwischen Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft eine diffizile, wenngleich unerlässliche Diskussion über die Begrenzung und die Herausforderungen des Klimawandels angeschoben.Temperaturrekorde, Waldschäden, Flächenbrände und Starkregen ließen 2019 die Tragweite des Themas zudem direkt spürbar werden. Dies betrifft auch die Branche, in der wir uns bei KWS als Pflanzenzüchter und Saatgutproduzent für ackerbauliche Kulturpflanzen bewegen – die Landwirtschaft: Dürren in Europa und Überschwemmungen in Nordamerika forderten die Landwirte stark und erschwerten ein ertragreiches Wirtschaften von der Aussaat bis zur Ernte. Die Branche ist vom Klimawandel besonders beeinflusst und ebenso bei der Eindämmung dessen besonders gefordert. Intensiv mitwirkenLaut Weltklimarat entfällt rund ein Viertel der weltweit verursachten Treibhausgasemissionen auf den Agrarsektor. Bei der einhellig geforderten Erreichung des Zwei-Grad-Ziels ist er aufgerufen, intensiv mitzuwirken. Dabei ist das Umfeld sehr komplex: Kernaufgabe der Landwirtschaft ist es, ausreichend Nahrung, möglichst qualitativ hochwertig und nährstoffreich, für eine wachsende Weltbevölkerung zu produzieren, die bis 2050 auf ca. zehn Milliarden Menschen anwachsen wird.Zugleich müssen chemische Pflanzenschutzmittel und Dünger reduziert werden, aber Insekten, Unkräuter und Pilzkrankheiten bedrohen weiterhin die Erträge. Konsumenten fordern höhere Standards in der Ackerwirtschaft und Viehzucht sowie die Umstellung auf ökologische Bewirtschaftungsformen, sind aber oft nicht bereit, den Mehrpreis dafür zu tragen. Auf den Farmen bedarf es Investitionen in neue Technik, die dafür notwendige Rentabilität gerade kleinerer Betriebe ist jedoch oft nicht gegeben.Eine weitere Herausforderung: Während die Weltbevölkerung wächst, stagniert die Anbaufläche – die Konkurrenz um die endliche Ressource Boden ist groß. Doch dieser Produktionsfaktor kann als einer der größten Kohlenstoffsenker unserer Erde deutlich dazu beitragen, klimaschädliche Gase zu binden. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge enthalten die obersten 30 cm unseres Bodens insgesamt ca. die doppelte Menge Kohlenstoff wie die gesamte Atmosphäre. Je gesünder der Boden, desto besser kann eine Pflanze auf ihm gedeihen und desto mehr überschüssiger Kohlenstoff kann aus der Atmosphäre gebunden werden. Ziel sollte es also sein, die Bodenbewirtschaftung nicht weiter zu intensivieren, sondern – im Gegenteil – nachhaltiger zu gestalten.Die zusammengefasste Zielformel lautet demzufolge, höchstmögliche Erträge bei gleichzeitig möglichst geringem Ressourceneinsatz zu erzielen. Doch wie kann diese komplexe Aufgabenstellung gelöst werden? Mit weniger mehr erreichenEine der hierfür benötigten Schlüsseltechnologien ist die Pflanzenzüchtung. Ihre Bedeutung wird weiter zunehmen, denn der größte Teil der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung wird heute durch technologische Innovationen geleistet. Grundlegend betrachtet, betreiben Pflanzen Fotosynthese, ein lebensnotwendiger Prozess des Stoffwechsels und der Energieumwandlung. Mithilfe von Chlorophyll und Lichtenergie werden im Ergebnis Glucose und Sauerstoff produziert. Das für die Umwandlung benötigte Wasser zieht sich die Pflanze über ihre Wurzeln aus dem Boden, den Kohlenstoff nimmt sie über ihre Blätter aus der Atmosphäre auf. Dieses Zusammenspiel zwischen Luft und Boden, oder letztlich zwischen Input und Output, ist in vielerlei Hinsicht, wie in Bezug auf den Klimawandel, ein entscheidender Faktor. So auch in der Züchtung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen, hinter der heute ein hochwissenschaftlicher und -technologischer Prozess steckt.Bei der Entwicklung jeder einzelnen Saatgutsorte bewerten Züchter, mit welchen Eigenschaften eine Sorte ausgestattet sein muss, damit Landwirte unter unterschiedlichen Bedingungen eine gute und sichere Ernte erzielen. Eine jährliche Ertragssteigerung von 1 bis 2 % sorgt für die Sicherung und Steigerung der Ernte, ohne dass landwirtschaftlich genutzte Flächen in gleichem Maße ansteigen müssten. Parallel gilt es den Einsatz von Ressourcen zu verringern und beispielsweise die benötigten Mengen Wasser, Pflanzenschutzmittel oder Dünger und damit ebenso Treibhausgase zu reduzieren. Erfolgsbeispiel ZuckerrübePrägnantes Erfolgsbeispiel ist die Zuckerrübe: Dank einer jährlichen Ertragssteigerung um rund 2 % werden bis zu 2 Tonnen mehr Rüben pro Hektar und Jahr geerntet. Ohne diesen züchterischen Fortschritt bräuchten wir heute 20-mal mehr Fläche für denselben Ertrag. Parallel wurde die benötigte Menge an Stickstoff in den vergangenen 30 Jahren um nahezu drei Viertel reduziert.All dies gewinnt durch klimatische Herausforderungen noch an Brisanz: zum einen indem die Züchtung die Widerstandskraft gegenüber Wetterextremen fördert. Zum anderen stärkt sie die Resistenz, beziehungsweise Toleranz, gegen mehr und neue Schädlinge, die infolge des Klimawandels in andere Regionen vordringen können. Die European Environment Agency hat zwölf Wirkungsbereiche identifiziert, in deren Rahmen Landwirte auf ihren Betrieben Klimaanpassungsmaßnahmen vornehmen und zu einer nachhaltigeren Bewirtschaftung beitragen können. Auf die Hälfte der Maßnahmen zahlen Saatguthersteller wie KWS direkt ein: Dazu gehört in erster Linie die Bereitstellung von an Wetterextreme und Klimabedingungen angepassten Sorten.Zusätzlich umfasst es die Anwendung geeigneter Fruchtfolgen, die schonendere Bodenbearbeitung sowie den Anbau von Zwischen- und Deckfrüchten. Primäres Ziel dabei ist es, die Fruchtbarkeit des Bodens, seine Qualität und damit die Kohlenstoffbindung zu verbessern sowie die Artenvielfalt auf dem Feld zu erhöhen. Precision Farming, also beispielsweise die Nutzung von Satellitendaten und digitalen Technologien, trägt ebenfalls zu einer effizienten Ressourcennutzung bei und ermöglicht zudem die bessere Anpassung von Aussaat und Ernte an die Umgebungsbedingungen. Denn bei zu früher oder zu später Ernte kann es mitunter zu Ertragseinbußen von bis zu 10 % kommen. Voll auf dem Gas bleibenEs liegt also immenses Potenzial für die Pflanzenzüchtung in der Zukunft. Um dieses zu erschließen, bedarf es weiterhin intensiver Anstrengungen in Forschung und Entwicklung. Das Züchten neuer Sorten ist ein langwieriger und aufwendiger Prozess, der gut und gerne zehn Jahre in Anspruch nehmen kann. Immer neue Erkenntnisse und Verfahren, von der Aufstellung der Mendelschen Regeln (1866) über die Anwendung der Hybridzüchtung (1920) oder markergestützter Züchtung (2000) bis hin zu den heutigen neuen Möglichkeiten der Genomeditierung führen jedoch zu immer schnelleren und zielgerichteten Lösungen. Die Anwendung Letzterer ist allerdings durch die aktuelle Rechtsprechung in Europa nicht möglich. Aus unserer Sicht eine Schwächung der europäischen Innovationskraft.Abseits dessen muss sich die Pflanzenzüchtung künftig stärker mit dem so wichtigen Produktionsfaktor Boden, seiner Interaktion mit der Pflanze und den Wechselwirkungen geeigneter Fruchtfolgen auseinandersetzen und dies messbar machen. Spinnt man diesen Faden weiter, liegt in der vollumfänglichen und globalen Betrachtung der Leistungsbilanz von Pflanzen, und damit des Ackerbaus, ein enormer Hebel: Der Ertrag einer Pflanze wird bereits nach eindeutigen Kriterien monetarisiert. Bei der (wirksamen) Bepreisung des Ausstoßes von Treibhausgasemissionen sind wir auf dem Weg.Im logischen Schluss sollte die Bindung von Kohlenstoff im Boden genauso vergütet werden. Das Zusammenspiel von Emission und Bindung könnte damit quantifizierbar gemacht werden. Das bietet Landwirten zum einen die Möglichkeit, ihre Leistung für den Klimaschutz klar belegbar zu machen, was nicht zuletzt helfen würde, die gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern. Zum anderen kann ein marktfähiges Anreizsystem geschaffen werden, mit dessen Hilfe wiederum klimafreundliche Investitionen getätigt werden können.Klingt wie Zukunftsmusik? Nicht wenn man auf die Ansätze des Wissenschaftlers Prof. Rattan Lal blickt, der mit seiner Arbeit bereits umfangreiche Erkenntnisse zur globalen Betrachtung der Kohlenstoffbindung in landwirtschaftlichen Böden zusammengetragen hat. Lal geht so weit, dass er umfangreiche Schutzrechte für den Boden und dessen Leistungsfähigkeit einfordert.Und auch Lösungen aus anderen Bereichen wie der New Food Economy sind zukunftsweisend – beispielhaft hierfür steht die digitale Plattform Pielers, eine Direktvermarktung für Lebensmittel, bei der 85 % der Erlöse direkt an den Erzeuger gehen. Und es gibt noch mehr vielversprechende Schritte auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Agrarsektor, auf dem die Pflanzenzüchtung Brücken schlagen und Teil der Lösung sein wird. Hagen Duenbostel, Vorstandssprecher von KWS