BANKING 3.0

Aufbruch in die hybride Welt

Total vernetzt oder auch offline glücklich - Versicherer erkunden, was die Kunden eigentlich wollen

Aufbruch in die hybride Welt

Von Michael Flämig, München, und Antje Kullrich, Düsseldorf”Hybrid” klingt nicht gerade sexy. Die Vokabel allerdings ist gefragt. Nach den Autoherstellern, die damit die Kombination aus Elektro- und Otto-Motor kennzeichnen, haben auch die Versicherer das Label entdeckt. Landauf, landab charakterisiert die Branche mittlerweile jene Kunden als hybrid, die das Beste zweier Welten verlangen: Sie wollen sich im Internet über Versicherungskonditionen informieren, die Police aber anschließend bei einem Menschen ihres Vertrauens unterzeichnen.Keine große Sache, sollte man meinen. Digitalisierung halt. Hatte nicht die Allianz schon im Jahr 2000 eine “E-Business-Taskforce” eingesetzt? Ja, hatte sie, und jährlich dreistellige Millionenbeträge für ihre Internet-Strategie ausgelobt. Doch als der Online-Hype zusammenbrach, folgten auch bei dem Branchenprimus nur Trippelschritte in Richtung Internet. Aus gutem Grund, denn die meisten Bundesbürger klingelten weiter brav bei den Vertretern an.Dies allerdings hat sich geändert – die Kunden wollen mehr. Als Vorreiter gilt die Kfz-Versicherung. Dort wählt nur noch die Hälfte den Weg zur Agentur. Ein kleiner Teil schließt im Internet ab, während rund 40 % aller Kunden online recherchieren und offline den Vertrag festzurren. Und dies sei doch eine große Sache, so die Überzeugung mancher Versicherer. Ihr Konsens: “Das gesamte Geschäftsmodell wird sich ändern.” Allianz setzt groß anDies lässt sich bei der Allianz zeigen. Mit viel Tamtam etablierten die Münchner auf ihrem Heimatmarkt eine neue Online-Struktur. Wer glaubt, dabei würden einfach die existierenden Produkte ins Internet geschoben, der täuscht sich. Ein Rezept zum Scheitern wäre dies, lautet die Analyse in München. Stattdessen – und dies erst macht die Neuordnung zur wirklich großen Sache – wird die Allianz ausgehend von der Kfz-Versicherung gleichzeitig an drei Stellschrauben drehen: den Produkten, der Kanallandschaft und den Prozessen. Ebenso wichtig: Jede Umdrehung muss sowohl von Kunden, Mitarbeitern als auch Vertretern nachvollzogen werden, sonst steckt das Gesamtprojekt fest.Ausgangspunkt sind die Produkte. Einfachheit ist Trumpf. Der Abschluss einer Autoversicherung sei nun nach zwölf bis 15 Fragen möglich, erläutert Deutschland-Chef Markus Rieß: “Bisher waren es mehr als 30 Fragen.” Zudem sollen Versicherungsfloskeln durch Kundensprache ersetzt werden. Zweiter Ansatz: die Vertriebskanäle. Beispielsweise kann der Kunde wählen, ob er ein online ermitteltes Produkt direkt abschließt oder an den Vertreter übergibt. Für die Agenturen gibt es nur Geld, wenn der Kunde sie ins Spiel bringt. Andererseits erhält der Kunde keinen Preisvorteil, wenn er sich auf den Online-Kanal beschränkt – außer er wählt den Allianz-Direktversicherer Allsecur mit seinem anderen Produktspektrum. Dritter Hebel: Die Prozesse sollen intuitiv verständlich sein. Blackbox und SmartwatchWeg von der Komplexität und vom Multichannel zum Omnichannel – über die grobe Richtung, wie Versicherer künftig mit ihren Kunden in Kontakt treten und kommunizieren, herrscht weitgehend Einigkeit. Ganz anders sieht es mit anderen Opportunitäten der Digitalisierung aus. Wer sich als Versicherungskunde risikoavers verhält, soll in Zukunft von Boni oder Rabatten profitieren können. Dazu jedoch muss sich der Versicherte elektronisch überwachen lassen und einen stetigen Datenstrom fließen lassen. Die Blackbox im Auto oder das smarte Armband am Handgelenk – die Vorstöße in diese Richtung haben auf dem deutschen Markt in den vergangenen Monaten stark zugenommen.Am forschesten gehen die Ableger großer internationaler Versicherungskonzerne mit dem Thema um. Sie haben zum einen genügend Geld für Experimente. So will zum Beispiel die französische Axa binnen drei Jahren 800 Mill. Euro in digitale Projekte weltweit pumpen.Zum anderen haben die länderübergreifend tätigen Player in anderen Märkten viel intensiver mit “Big Data” experimentiert und wollen ihre Erfahrungen nun auf Deutschland, den zweitgrößten Versicherungsmarkt Europas, übertragen.Doch sie tun sich schwer: Die Zurich kommt mit ihrem Telematik-Versuch in der Kfz-Flottenversicherung über die Pilotphase nicht hinaus und stößt auf Widerstände bei Mittelständlern wie Großunternehmen. Die Generali hat eine breite Front von Daten- und Verbraucherschützern gegen sich aufgebracht, als sie kürzlich Krankenversicherungsprodukte ankündigte, die gesundheitsbewusstes Verhalten mit Rabatten für Fitness-Studios, Reisen oder anderen Boni belohnen sollen. Der Kunde wird dafür Daten über Vorsorge, Sport, Fitness oder Ernährungsgewohnheiten von sich übermitteln müssen.Viele Vorstände hauptsächlich in Deutschland operierender Versicherer fürchten jedoch nicht nur den in Sachen Datenschutz skeptischen Kunden zu verärgern. Sie zweifeln auch den betriebswirtschaftlichen Sinn an. Die Investitionskosten in Big Data nutzende Produkte seien hoch, heißt es. Das müsse in stark umkämpften Sparten wie der Kfz-Versicherung erst einmal wieder hereingeholt werden. Und das sei mehr als schwierig.