SERIE: NACHHALTIGKEIT IM FINANZSEKTOR (TEIL 1) - DER FINANZSEKTOR WIRD GRÜNER

Aus der Nische in den Mainstream

Der Markt für nachhaltige Finanzanlagen ist schlicht zu groß geworden, um ihn noch ignorieren zu können - Das Volumen der Investments nimmt zu

Aus der Nische in den Mainstream

Das Bemühen um Nachhaltigkeit hat alle relevanten Bereiche des Finanzsektors erreicht: Regulierer, Aufseher, Emittenten und Investoren.Von Bernd Neubacher, FrankfurtFür Bankmanager, die sich nicht über das Normalmaß hinaus um Fragen der Ökologie scherten, hat es lange Zeit keinen einzigen Grund gegeben, dem Trend hin zu grünen Finanzen gesonderte Beachtung zu schenken: Zu klein die Nische, zu verstiegen die Konzepte, zu larifari die Begriffe – so schien es.Inzwischen stellen diese Manager indes fest, dass sie nolens volens umdenken müssen: Der Markt für nachhaltige Finanzanlagen, einst eine Nische, ist längst schlicht zu groß, um ihn noch ignorieren zu können. Beispiel Investmentfonds: In den Jahren von 2006 bis 2016 ist das Volumen allein der nachhaltigen Investmentfonds und Mandate im deutschsprachigen Raum von 20 Mrd. auf 242 Mrd. Euro in die Höhe geschossen. Vorreiter sind dabei Österreich und die Schweiz. Deutschland kommt per Ende 2016 immerhin auf 79 Mrd. Euro, das entspricht einem Marktanteil von ungefähr 3 %. Werden die in Eigenregie verwalteten Mittel von Investoren sowie Kunden- und Eigenanlagen hinzugezählt, werden bereits 420 Mrd. Euro gemäß nachhaltiger Kriterien verwaltet, darunter 157 Mrd. Euro in Deutschland. Beschleunigtes TempoDiese Entwicklung ist damit noch lange nicht zu Ende. Vielmehr dürfte sie sich fortsetzen, und zwar in beschleunigtem Tempo, etwa in der Geschwindigkeit, in welcher sich etwa “Die Grünen” von einer Ansammlung als strickende, Bäume umarmende Öko-Spinner titulierter Aktivisten zu einer den Vizekanzler und Bundesaußenminister stellenden Partei wandelten. Einiges spricht also dafür, dass sich bald nicht mehr die Verfechter nachhaltiger Geldanlagen erklären müssen, sondern vielmehr Anbieter, die keine nachhaltigen Anlagen offerieren, als Dinosaurier gelten. Der Finanzsektor wird grüner.Die Anzeichen dafür, dass sich Green Finance etabliert, mehren sich. Das Thema ist allerorten präsent, angefangen auf der höchsten Ebene. Da präsentiert auf dem G 20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg eine vom globalen Finanzstabilitätsrat Financial Stability Board (FSB) eingesetzte Arbeitsgruppe Empfehlungen an Emittenten für eine freiwillige Publikation klimabezogener Finanzinformationen für den Kapitalmarkt – mittlerweile werden diese von 237 Emittenten mit einem Börsenwert von insgesamt mehr als 6,3 Bill. Dollar unterstützt. Da legt eine von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe einen Zwischenbericht zu nachhaltigen Finanzen vor, den das Forum Nachhaltige Geldanlagen, ein Fachverband für den deutschsprachigen Raum mit 170 Banken, Kapitalanlagegesellschaften, Versicherern, Ratingagenturen, Investmentgesellschaften und anderen Spielern in seinen Reihen, als “wichtigen Meilenstein bei der grünen Transformation des europäischen Finanz- und Wirtschaftssystems” preist. Da verabschiedet das EU-Parlament Direktiven zur Berücksichtigung von Kriterien der Environmental and Social Governance (ESG) in Pensionsfonds.Da regt der im EU-Parlament für die Eigenkapitalrichtlinie zuständige Berichterstatter Peter Simon (SPD) an, bei Überarbeitung des Regelwerks eine Förderung “grüner” Vermögenswerte sowie sozialer Unternehmen zu verankern, vergleichbar mit der bereits existierenden Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch den sogenannten KMU-Faktor, der Erleichterungen bei den Eigenkapitalanforderungen ermöglicht. Die EU-Kommission hat zugesichert, diesen Vorschlag in Betracht zu ziehen, um grünen Anlagen und Krediten einen Schub zu verleihen.Da müssen bundesweit Emittenten in ihren Lageberichten ab dem soeben abgelaufenen Geschäftsjahr 2017 das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz beachten, das die Transparenz hinsichtlich ökologischer und sozialer Aspekte von Unternehmen erhöhen soll. Und da warnt Andreas Dombret, im Vorstand der Deutschen Bundesbank unter anderem für Banken und Finanzstabilität zuständig, Kreditinstitute seien zunehmend von steigenden Kosten durch extreme Wetterereignisse betroffen, und macht damit deutlich, dass Nachhaltigkeit auch für die Aufsicht ein Thema geworden ist. Frankreich macht es vorIm politischen Wettbewerb auf europäischer Ebene zeigt dabei Frankreich seinem östlichen Nachbarn längst die Hacken. Denn Präsident Emmanuel Macron will aus Paris das globale Zentrum der grünen Finanzwirtschaft machen. Während die staatliche Agentur Agence France Trésor (AFT) schon grüne Staatsanleihen emittiert hat, mit denen Frankreich Umwelt- und Klimaschutzprojekte finanziert, sind diese für die Deutsche Finanzagentur noch kein Thema, wie man dort erst kurz vor dem Jahreswechsel betont hat. Unterdessen haben die Großbanken Frankreichs bereits angekündigt, besonders umweltfeindliche Projekte nicht länger zu unterstützen: BNP Paribas will die Finanzierung der Kohleförderung einstellen, Société Générale und Natixis wollen hingegen nicht mehr die Ölgewinnung aus Ölsand fördern.Auch global tut sich etwas im Bankensektor. So schreibt die Nachhaltigkeitsratingagentur Oekom Research in ihrer Corporate Responsibility Review 2017, die großen Geschäftsbanken hätten sich “überdurchschnittlich positiv entwickelt”. So mache sich zunehmend eine größere Beachtung von Nachhaltigkeitsaspekten im Assetmanagement im Rahmen von Investmentfonds oder auch übergeordnet im Sinne einer Integration- und Asset-Overlay-Strategie bemerkbar. Auch würden immer mehr Banken Nachhaltigkeitsmindeststandards bei Projektfinanzierungen anerkennen, und zwar auch in Ländern, in denen dies noch vor kurzem nicht verbreitet gewesen sei, wie etwa in Asien. Das Spektrum wird breiterÜberhaupt aber wird das Spektrum der Anlagemöglichkeiten breiter, gerade in der zweiten Reihe. So hat sich der Anteil der von Oekom Research in Sachen Nachhaltigkeit als “gut” oder “sehr gut” bewerteten Unternehmen 2016 zwar nur geringfügig von 16,3 % auf knapp über 16,5 % erhöht. Der Anteil der Unternehmen in den Industrieländern mit einem “mittelmäßigen Nachhaltigkeitsengagement” zog gleichwohl von 35 % im Jahr 2015 auf über 40 % an.Die Dynamik hat nicht nur Regulierer, Aufseher und Banken, sondern auch Investoren erfasst. Laut einer Umfrage der Fondsgesellschaft Amundi und des britischen Create-Research Institute unter europaweit 161 Pensionskassen mit einem Anlagevolumen von 1,71 Bill. Euro planen 61 % der Pensionskassen in den kommenden drei Jahren, ihren Anteil von Anlagen, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) entsprechen, auszuweiten. Nach Auffassung der Investoren sind langfristig stabile Renditen eher in einer nachhaltig orientierten Gesellschaft und Wirtschaft möglich. “ESG ist heute faktisch eine Mainstream-Strategie”, schreiben die Autoren.Mit diesem Ansatz liegen die Anleger wohl nicht ganz falsch. “Wir können belegen, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum”, erklärt etwa EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis und rechnet vor, dass die Emissionen in der EU in den zurückliegenden 27 Jahren um über 20 % gesunken sind, während die Wirtschaft in dieser Zeit um über 50 % gewachsen ist. Mehr ErtragskraftWie eine Analyse der LBBW ergeben hat, verbessert nachhaltiges Wirtschaften nicht nur das Image eines Unternehmens beim Verbraucher. Besonders Konsumgüterhersteller und Einzelhändler erzielen mit diesem Ansatz auch höhere Gewinne. Bis zu 6 Prozentpunkte mehr Marge im Gewinn vor Steuern und Zinsen sind drin, wie es heißt. Schon Reputationsrisiken können im Bankensektor bekanntlich sehr teuer werden.Nicht zuletzt müssen mittlerweile auch die größten Klimawandelskeptiker abgesehen von US-Präsident Donald Trump einräumen, dass die Folgen der globalen Erwärmung mehr und mehr spürbar sind, mit empfindlichen Folgen für die davon betroffenen Menschen, aber eben auch für Finanzmarktakteure. Bei Banken mag es noch vor allem um Reputationsfragen gehen, in der Assekuranz geht es längst um Ergebnisse. So sind die Wirbelstürme im vergangenen Jahr so heftig ausgefallen wie lange nicht mehr. Swiss Re etwa beziffert die versicherten Schäden für Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Unglücke auf 136 Mrd. Dollar. Dies ist der dritthöchste Wert seit Beginn der Erhebung 1970. Bei der Münchener Rück frisst allein “HIM”, die Serie der Wirbelstürme “Harvey”, “Irma” und “Maria”, die im September und Oktober durch die USA und die Karibik tobten, beinahe den gesamten Jahresgewinn auf. Swiss Re droht sogar ein Verlustjahr.Andererseits sind die Einwände der Kritiker der ersten Stunde nach wie vor nicht vollkommen gegenstandslos, nur weil die Zeit über sie hinweggegangen ist. Was etwa Ausschlusskriterien nachhaltig investierender Fonds angeht, herrscht nach wie vor Wildwuchs. Es ist noch gar nicht so lange her, da ergab eine Untersuchung, dass die zehn größten deutschen Öko-Fonds auf insgesamt 731 verschiedene Unternehmen setzten – gerade einmal drei davon tauchten in sechs dieser Fonds zugleich auf. Es mangelt an TransparenzViele Anlagevehikel lassen an Transparenz nach wie vor zu wünschen übrig. Einen einheitlichen Standard dafür, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, gibt es nach wie vor nicht. Mancher Anbieter nennt ein Produkt nachhaltig, nur weil er einen “Best in Class”-Ansatz verfolgt. Mit dieser Logik lässt sich auch die Aktie eines chinesischen Kohleförderunternehmens in einem Nachhaltigkeitsportfolio platzieren, sofern die Umweltbilanz seiner Konkurrenten nur noch schlechter aussieht. Mit dieser Logik waren auch die Aktien des japanischen Energiekonzerns Tepco, dessen jahrelanges Missmanagement in der Katastrophe von Fukushima gipfelte, im Dow Jones Sustainability Index gelandet, aus dem er erst zwei Monate nach dem Desaster an Japans Küste geflogen war. Ethische Investments bietet etwa auch die in Sankt Augustin bei Bonn ansässige Steyler Bank an, deren Mehrheitseigentümerin Steyler Mission, wie man heute weiß, in der Bundesrepublik vor der Wende als Waschanlage für illegale Parteispenden diente. Mit dem Etikett der Nachhaltigkeit lässt sich einfach sehr viel verkaufen.Dies rührt auch daher, dass der Begriff nach wie vor nicht einheitlich abgegrenzt ist. So listet ein Bericht des Statistischen Bundesamtes, der die Indikatoren für die Messung des Erfolgs der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung umfasst, nicht weniger als 17 Themenfelder mit jeweils diversen Kategorien auf, vom Stickstoffüberschuss in der Landwirtschaft über die Raucherquote von Jugendlichen und Erwachsenen bis hin zur “Anzahl der in betroffenen Weltregionen durchgeführten Projekte zur Sicherung, Registrierung und Zerstörung von Kleinwaffen und leichten Waffen durch Deutschland”. Und dies ist nur die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, neben der die Mehrzahl der Bundesländer über eigene Nachhaltigkeitsstrategien verfügt. Ein weißer FleckNicht nur in der Theorie, auch in der Praxis zeigen sich Defizite. So bleibt der Vertrieb nachhaltiger Finanzprodukte bei Privatanlegern ein weißer Fleck. Denn während nachhaltige Anlagen für institutionelle Investoren gang und gäbe sind, fristen sie bei Kleinanlegern noch ein Schattendasein, was nicht zuletzt an der Beratung liegen dürfte: Der Verkauf eines indexnahen Aktienfonds erfordert nun einmal weniger Beratungsaufwand als eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Spielarten nachhaltiger Geldanlage.Wie sehen die Perspektiven für Green Finance aus? Wer sind die Akteure, was sind die Risiken? Die Börsen-Zeitung möchte es genau wissen und widmet sich diesen Fragen deshalb in den kommenden drei Wochen in einer Serie. Die Entwicklung im Assetmanagement wird dabei ebenso ein Thema sein wie der Umgang der Aufsicht mit Nachhaltigkeit, die Rolle der Förderinstitute oder etwa die Frage, wie sich Versicherer für die Katastrophenrisiken der Zukunft rüsten. Lesen Sie mehr in den kommenden Ausgaben der Börsen-Zeitung.