Aus Konkurrenten werden Verbündete

Die Vielzahl an Herausforderungen drängt die deutschen Automobilhersteller zur Kooperation

Aus Konkurrenten werden Verbündete

Über viele Jahrzehnte waren die großen Automobilhersteller sehr darum bemüht, sich am Markt so stark wie möglich von ihren schärfsten Wettbewerbern zu differenzieren. Das wichtigste Differenzierungsmerkmal bildete – insbesondere bei den Premiumherstellern – die motorische Leistung. Ob BMW M-Reihe, Mercedes-AMG oder die Audi S- und RS-Modelle, sie alle spiegelten die PS-Höchstleistungen der einzelnen Hersteller wider und unterstrichen das technische Leistungsvermögen der hauseigenen Entwicklungsingenieure. Motor und Ausstattung bestimmten über mehrere Dekaden fast ausschließlich die guten Margen der Premiumanbieter. Ende der heilen WeltMit den neuen Antriebsarten wie etwa Elektromobilität oder Wasserstoff schwindet das Differenzierungsmerkmal “Motor” und somit ein wesentlicher Margengarant. Gelingt es den Herstellern nicht nachhaltig, die EU-Auflagen zum CO2-Flottenverbrauch in den Griff zu bekommen, drohen ab 2021 empfindliche Bußgeldzahlungen, womöglich in Milliardenhöhe. Gleichzeitig rücken weitere neue Aspekte in den Mittelpunkt, die sich als äußerst investiv und komplex in ihrer Bewältigung darstellen: autonomes Fahren, Fahrassistenzsysteme, Fahrzeugvernetzung, Infotainment, Datensicherheit und eine allumfassende Mobilität ohne Kaufzwang.Hinzu kommen weitere disruptive Risiken: Die US-amerikanischen Unternehmen Tesla, Google und Apple sowie einige große chinesische Anbieter schicken sich an, den deutschen Auto-Ingenieuren ihren über Jahrzehnte gewachsenen technischen Vorsprung streitig zu machen. Im Kampf gegen die neuen Wettbewerber aus dem Silicon Valley und aus Fernost müssen die deutschen Branchengrößen alle Kräfte mobilisieren. Und auch die von der Politik verursachten Handelsbarrieren wie Zollbeschränkungen oder der Brexit und Veränderungen in den Märkten (China als Absatzmarkt Nummer 1 im Abwärtstrend) stellen große Herausforderungen dar. Zu allem Überfluss befinden sich mittlerweile alle deutschen Hersteller in der Bewältigung einer hausgemachten Dieselaffäre, welche Milliarden an Kosten verschlingt, sei es durch Strafzahlungen oder durch langjährige Rechtsstreitigkeiten.Diese Schere aus Margenverlust, EU-Auflagen, erheblichen Investitionen, disruptiven Risiken und kostenintensiven Sonderbelastungen stellen die Welt der erfolgsverwöhnten Hersteller nun völlig auf den Kopf und drängt diese früher so selbstbewussten und auf Eigenständigkeit achtenden globalen Player an den gemeinsamen Tisch. Aus Konkurrenten müssen nun Partner werden. Das Erstaunliche dabei: Dies gilt offensichtlich auch für Unternehmen, die ihr Shareholder-Portfolio in den letzten Jahren immer wieder deutlich ausweiteten, um sich frisches Geld zu holen und ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang Daimler genannt. Als Großinvestoren sind beim Stuttgarter Konzern neben dem kuwaitischen Staatsfonds nunmehr auch der chinesische Investor Li Shufu (2018) und die chinesische BAIC Group (2019) aktiv beteiligt. Wie, wo, wann und mit wem?Die Frage, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist, stellt sich angesichts dieser Vielzahl an Mega-Herausforderungen nicht mehr. Es geht vielmehr um die existenziellen Fragen “wie”, “wo”, “wann” und “mit wem”. Im Hinblick auf das “Wie” besteht offensichtlich Einigkeit: Das Ende von Übernahmen oder Fusionen ist eingeläutet. Zu viel Lehrgeld hat die Automobilindustrie in den letzten Jahren bezahlt. Die Übernahme von Chrysler brachte Daimler fast an den Rand der Existenz. Die Übernahme von Rover durch BMW wurde bereits nach wenigen Jahren mangels Erfolges aufgelöst. Auch der jüngste Versuch zwischen Fiat Chrysler Automobiles und Renault scheiterte bereits im Anfangsstadium: zu komplex, zu unübersichtlich, zu schwerfällig, zu different die Kulturen.Auch die Frage nach dem “Wo” lässt sich leicht definieren. Kooperationen müssen entweder in den kostenintensiven Segmenten wie Materialeinkauf, Produktion und Personal, in den investitionsintensiven Segmenten wie autonomen Fahren und Fahrassistenz oder in der synergetischen Erschließung von (Schwellen-)Märkten vorangetrieben werden.Gleiches gilt für das “Wann”: Die Branche befindet sich bereits mitten im Wandel. Alle globalen Hersteller sind von den Herausforderungen gleichzeitig betroffen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Während VW den Dieselskandal durch Megazahlungen in einer Größenordnung von ca. 30 Mrd. Euro weitestgehend hinter sich gelassen hat, stehen Daimler und BMW noch am Anfang. Bleibt noch die Frage nach dem “mit wem”, die vor allem von den unterschiedlichen Entwicklungsständen der global agierenden Player und deren Interessen abhängt. Während Audi, Daimler und Tesla bereits reine Elektroautos im Angebot haben, hat BMW seinen einstigen Vorsprung verspielt und muss auf dem Gebiet der Elektromobilität kräftig nachbessern und aufholen. Ähnlich sieht es bei Porsche und VW aus. Beide müssen im Hinblick auf E-Mobilität nachlegen – daher auch das Milliarden-Investitionsprogramm im zweistelligen Bereich. Renault-Nissan verfügt zwar über reichlich Erfahrung und Vorsprung, hat aber Differenzen in der Mittel- und Oberklasse und ist am zweitgrößten Absatzmarkt Amerika so gut wie nicht vertreten.Die großen amerikanischen Hersteller, allen voran Ford sowie Fiat Chrysler Automobiles, haben die gesamte Entwicklung buchstäblich versäumt und sind jetzt mehr als alle anderen auf eine Zusammenarbeit in diesem Bereich angewiesen. Boden gutmachen können die beiden allerdings im margenträchtigen Pick-up-Segment Nord- und Südamerikas, wo sich Daimler und VW erfahrungsgemäß sehr schwertun. Kooperationspotenzial ist demnach vorhanden. Es muss nur noch ausgeschöpft werden. Das Zünglein an der WaageWas alle eint, ist der Druck Kosten zu sparen. Insofern werden sich Kooperationen im Einkauf weiter häufen und intensiver ausweiten. Besonders betroffen von dieser Art der Kooperation ist die Zuliefererindustrie. Wer sich auf Seiten der Zulieferer noch nicht gerüstet hat oder gerade mit anderen Herausforderungen kämpft, wird in den Abwärtssog gezogen. Insbesondere die großen Zulieferer wie Bosch, Continental, Magna oder ZF Friedrichshafen werden sich wohl oder übel überlegen müssen, ob sie nicht doch noch als Fahrzeugvollanbieter auf dem Markt in Erscheinung treten wollen, eine eigene E-Mobilitätsflotte ausrollen und neue Märkte und somit Margen erschließen.Alle großen Zulieferer können mehr als alle bestehenden Automobilhersteller mit dem begehrten Know-how in den Bereichen autonomes Fahren, Fahrassistenz, Fahrzeugvernetzung und Infotainment aufwarten. Darüber hinaus verfügen sie bereits heute über einen elektrifizierten Stromer als Prototypen, derzeit noch geparkt in ihren Entwicklungsabteilungen. Magna könnte diesen sogar in den eigenen Produktions- und Montagestätten fertigen.Auch die Digitalisierung wird in allen Bereichen – von der Beschaffung über die Entwicklung und Herstellung bis zum Vertrieb – vollumfänglich Einzug halten müssen und dazu beitragen, Kosten und Personal zu sparen. Der Einsatz von Personal wird neu geordnet werden: weniger im Motorenbau, mehr in der Entwicklung von Hard- und Software und der mobilen Dienstleistung. Der Vertrieb von Fahrzeugen wird voll digitalisiert.Unter den bestehenden Herstellern wird es wohl dünner werden. Bereits heute durch Staatsgelder beatmete Marken wie Fiat dürften wohl keine Partner mehr finden. Einige werden im Sog chinesischer Übernahmen enden und neue Anbieter – vor allem chinesische wie etwa Geely, SAIC Motor oder BYD – werden ihre Marktmacht ausbauen. Und wiederum andere werden vom Markt gänzlich verschwinden. Stefan Randak, Leiter der Solution Group Automotive bei der Atreus GmbH