Ausländische Finanzinvestoren greifen in Japan an
Von Martin Fritz, Tokio Viele Jahrzehnte galt Japan als eine uneinnehmbare Festung für ausländische Finanzinvestoren. Shareholder-Aktivismus und Nippon waren Gegensätze. Das ändert sich: Seit einiger Zeit vollzieht sich ein Kulturwandel, und die Türen für Beteiligungsfonds und andere Investoren öffnen sich. Henry Kravis, Co-CEO von KKR, spricht von “grünen Trieben” des Wandels und erklärt Japan zur “obersten Priorität”. Der Aktienstratege der Blackstone Group, Joseph Baratta, vergleicht die Chancen für Investoren in Japan mit Deutschland unter Kanzler Gerhard Schröder, als viele Konzerne ihre gegenseitigen Beteiligungen abbauten und ihre Geschäfte umstrukturierten. Auftritt der AktivistenZwar ist in Japan immer noch keine unerwünschte Übernahme ohne vorherige Kapitalbeteiligung gelungen, aber ausländische Aktionäre werden stärker gehört. Das Instrument der feindlichen Übernahme wird vermehrt eingesetzt, neuerdings auch von japanischen Unternehmen. Zugleich sehen japanische Berater, Anwälte und Investmentbanken in den Transaktionen neue Geschäftschancen. Früher hielten sie sich aus Sorge um ihren guten Ruf zurück.Laut Activist Insight ist die Zahl der japanischen Unternehmen, bei denen Aktionäre als Aktivisten auftreten, von 15 (2013) über 41 (2017) auf 66 im abgelaufenen Jahr gestiegen. Trotz der Pandemie blieb die Fallzahl auf dem Niveau von 2019. Über ein Drittel fand im Industriesektor und knapp ein Viertel bei zyklischen Konsumgütern statt. Die Zahl der öffentlichen Shareholder-Forderungen an das Management legte unterdessen von 24 im Jahr 2013 auf den Höchstwert von 166 im vergangenen Jahr zu.Unter den Finanzinvestoren stechen die US-Branchengrößen KKR und Carlyle heraus, die schon länger in Japan aktiv sind. KKR beschafft sich gerade 12,5 Mrd. Dollar für den nächsten Asienfonds. Für ihren vierten Buy-out-Fonds in Japan sammelte Carlyle im vergangenen März 258 Mrd. Yen (2 Mrd. Euro) ein. Apollo Global Management bereitet mit einem eigenen Japan-Team die ersten Engagements vor. Im August kaufte Blackstone bei ihrem bisher größten Japan-Deal für 242 Mrd. Yen die Sparte für rezeptfreie Arzneien von Takeda Pharma. CVC Capital Partners hält 150 Mrd. Yen für Japan in der Hand. Der Hongkonger Investor PAG, der bisher nur in Immobilien investierte, plant Zukäufe in Japan von bis zu mehreren Mrd. Dollar. Die australische KKR-Sparte Pepper Group will laut der Finanzzeitung “Nikkei” durch die Pandemie notleidend gewordene Firmenkredite in Japan aufkaufen.Gleichzeitig treten aggressive Player wie die Hedgefonds Elliott Management und Effissimo stärker auf. Nach dem Einstieg fordern sie Änderungen, die den Aktienkurs erhöhen sollen, etwa Aktienrückkäufe oder Abspaltungen von Sparten mit Börsengang, und steigen danach wieder aus. Um den unterbewerteten Hotelbetreiber Unizo kämpften 2019 mit Elliott, Fortress und Blackstone gleich drei solche Player.In der Vergangenheit hielten sich ausländische Finanzinvestoren in Japan in erster Linie aufgrund wechselseitiger und taktischer Kapitalbeteiligungen zurück. Die Muttergesellschaft vieler Mischkonzerne kontrollierte ihre börsennotierten Tochtergesellschaften. Das Management war geschützt, feindliche Übernehmen ließen sich leicht abwehren. “Nun gibt es ein Umdenken in Richtung mehr Transparenz und Corporate Governance”, erklärt Shigeo Yamaguchi, Partner der auf deutsch-japanische Transaktionen spezialisierten Kanzlei Arqis. Die undurchsichtigen Beteiligungsverstrickungen würden aufgelöst, die Zahl der börsennotierten Töchter verringert und Abwehrmechanismen abgebaut.Tatsächlich sanken die Überkreuzbeteiligungen in den drei Jahrzehnten bis Ende 2019 von 50 % der Marktkapitalisierung auf 4 %. Die Finanzkrise und die Governance-Reformen in der Amtszeit von Premier Shinzo Abe beschleunigten den Trend. Entweder verkaufen die Gruppen Sparten oder übernehmen sie selbst. Zum Beispiel reduzierte Hitachi die Zahl der Börsentöchter von 22 auf zwei. Dabei kam KKR zweimal zum Zug und übernahm Koki und Kokusai Electric. Bei letzterem Deal trieb Elliott den Kaufpreis hoch, um selbst davon zu profitieren. Umgekehrt schluckt manche Konzernmutter eine Tochter komplett, um die Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. So übernahm kürzlich der Telekomriese NTT in dem bisher größten Deal dieser Art seine Mobilfunktochter NTT Docomo für 4,3 Bill. Yen (33,9 Mrd. Euro).Als Gründe für den Wandel nennt Yamaguchi den Digitalisierungsdruck, den Abschied von überholten Investitionsstrategien und die Anerkennung der Vorteile von Finanzinvestoren. “Sie versprechen Kontakte, Erfahrung, Unbefangenheit, Investitionen und internationale Expansionschancen”, erläutert der Anwalt. “Feindlich muss nicht per se schlecht für das Interesse eines Unternehmens und der Aktionäre sein.” Niedrige Bewertungen Ein weiteres Motiv für das starke Interesse ausländischer Spieler ist die niedrige Bewertung vieler Unternehmensperlen. Diesen Chancen stehen spezifisch japanische Risiken gegenüber. Dazu gehören die geringe Digitalisierung vieler Unternehmen, die Anfälligkeit der Lieferketten für Unterbrechungen und die demografisch bedingte Schrumpfung des Heimatmarktes mit häufig zu vielen Anbietern in einem Segment.Die kommenden Änderungen in der Börsenstruktur dürften die Einstiegsbedingungen für ausländische Investoren weiter verbessern. Die Japan Exchange Group will die Unternehmen ab April 2022 in die Segmente Prime, Standard und Wachstum einteilen und für die Prime-Gruppe mehr unabhängige Verwaltungsräte empfehlen. Derzeit sollte jedes Topix-Unternehmen mindestens einen unabhängigen Direktor haben. Nun diskutiert man für das Prime-Segment ein Minimum von einem Drittel. Aktuell erfüllen dies 59 % der Topix-Firmen. “Die Regierung sieht in mehr fremden Direktoren die Chance auf Belebung und Öffnung der Wirtschaft”, erklärt M&A-Berater Yamaguchi.