PARADIGMENWECHSEL

Autobanken fahren weitsichtig

Fahrzeugfinanzierer verbreitern ihr Geschäftsmodell - Mobilität zählt

Autobanken fahren weitsichtig

Von Karin Böhmert, FrankfurtJeder spricht von Nachhaltigkeit, doch wie stellen sich Autobanken in einem Umfeld auf, in dem immer stärker eine Verkehrswende gefordert wird? Gerät das Geschäftsmodell der Autobanken unter die Räder, weil Autos unter Umweltaspekten verpönt werden und der zu finanzierende Fahrzeugabsatz deshalb sogar drastisch sinken könnte? MarktverwerfungenAutobanken haben angesichts möglicher Marktverwerfungen bereits vor Jahren ihr Geschäftsmodell gravierend geändert, indem sie es stark ausgeweitet haben, wie das Beispiel von Europas größtem Captive Volkswagen Financial Services (VW FS) zeigt. Gestartet vor mehr als 70 Jahren als klassischer Autofinanzierer, zählen Endkunden- und Händlerfinanzierung sowie Leasing für VW FS zwar weiterhin zum Kerngeschäft. Denn für Captives, also die Autobanken der Fahrzeughersteller, geht es schließlich darum, den Autoabsatz der Konzernmutter durch Finanzierungsangebote für Endkunden und Händler zu gewährleisten.Erweitert hat VW FS das reine Finanzierungsangebot aber frühzeitig um Kfz-Versicherungen und schließlich um Dienstleistungen wie Wartungs- und Verschleißverträge sowie Reifenservice. Finanzierungen zusammen mit Versicherung und Services in einer festen und damit für den Kunden kalkulierbaren Rate abzubilden, kommt gut an. Gerade die jüngere Generation tendiere zu Flatrates, also dem Rundum-sorglos-Paket, wie VW-FS-Finanzvorstand Frank Fiedler im Interview der Börsen-Zeitung berichtet hat (vgl. BZ vom 2. November).Abzulesen ist dies an den Zahlen von VW FS. Während die reinen Finanzierungsverträge von 2015 bis Ende des ersten Halbjahres 2019 um 11,8 % auf 6,5 Millionen zulegten, wuchs die Anzahl der Dienstleistungsverträge (einschließlich Versicherungen) ungleich schneller um 57 % auf 9,9 Millionen Stück. Das hängt auch in gewisser Weise mit dem stark expandierenden Flottengeschäft zusammen, denn jeder Leasingvertrag eines Großkunden ist mit einem oder mehreren Dienstleistungsverträgen verbunden. Kurzum: Schwächelt das Autofinanzierungsgeschäft bei infolge der Niedrigzinsen ohnehin dünnen Margen, dann hebelt das Non-Asset-Based-Geschäft der ertragreichen Dienstleistungen die Eigenkapitalrentabilität.Wie wichtig der Ausbau des Geschäftsmodells über reine Finanzierungen hinaus ist, zeigt sich auch an der Ertragsstruktur von VW FS. Die Hälfte des Ertrags resultiert aus dem Asset-Based-Geschäft, und bereits 20 % stammen aus dem Non-Asset-Based-Geschäft. Die restlichen 25 % gehen auf das Transformationsergebnis von Eigenkapital- und Fristentransformation zurück.Damit nicht genug: Es geht darum, das Geschäftsmodell durch eine starke Kundenbindung abzusichern, denn die Finanzierungen und die damit verbundenen Dienstleistungsverträge laufen regelmäßig nach ein paar Jahren aus. Der Kunde muss also in der Sphäre des Autokonzerns gehalten werden, um neue Finanzierungen dort und nicht beim Wettbewerber abzuschließen.Die Kundenbindung soll über die seit einigen Jahren angebotenen und ständig erweiterten Mobilitätsangebote erfolgen. Dazu zählen Tank- und Servicekarten für alle Antriebsarten, also auch für Erdgas- und Elektrofahrzeuge, bis hin zur digitalen Parkplatzsuche und -bezahlung sowie Payment-Plattformen. Unnötige Fahrten reduzierenIm Thema Parken steckt auch ein wichtiger Umweltaspekt. So testet VW FS derzeit eine App, die vorhersagt, wo am Fahrtziel ein Parkplatz verfügbar sein wird. Auf diese Weise sollen unnötige Fahrten während der Parkplatzsuche reduziert werden.Die Dienstleistungen und Mobilitätsangebote lassen sich nicht nur mit neuen, sondern auch mit gebrauchten Fahrzeugen kombinieren. Also hat VW FS das Geschäftsmodell um eine Gebrauchtwagen-Plattform erweitert.An Heycar als “markenunabhängige Plattform für hochwertige Gebrauchtwagen”, wie sie sich selbst darstellt, ist Daimler mit 20 % beteiligt. In Deutschland nutzen bereits 1 300 Händlergruppen an etwa 4 000 Standorten Heycar als Plattform, um ihre Autos online zu verkaufen.Auch in der Gebrauchtwagenstrategie kann man einen Umweltaspekt sehen. Laut Fiedler existieren 100 Millionen Fahrzeuge aus dem VW-Konzern auf den Straßen der Welt. Die Ressourcen für den Bau wurden bereits verbraucht, also wäre es angezeigt, die Autos lange zu nutzen. Offenbar geschieht dies auch, da bei VW FS in Deutschland 60 % der bestehenden Finanzierungsverträge bereits auf Gebrauchtwagen entfallen. Da Fahrverbote für Fahrzeuge mit schadstoffreichen Antrieben diese Gebrauchtwagenstrategie untergraben könnten, konzentriert man sich auf junge Gebrauchte mit verbotsfreien Schadstoffklassen. Schlüssel liegt im LeasingHinzu kommt eine von der Politik forcierte Förderung von Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb statt Autos mit Verbrennungsmotoren. Trotz staatlicher Subventionierung sind jedoch die Kaufpreise für E-Fahrzeuge in der Regel derzeit noch höher als solche für Autos mit herkömmlichem Antrieb. Um E-Fahrzeuge dennoch in den Markt zu bringen, gibt der Captive dem Leasing gegenüber einer Kreditfinanzierung den Vorzug. Denn die Leasingrate kann so strukturiert werden, dass sie annähernd auf dem gleichen Niveau wie diejenige eines Verbrenners liegt.Der Schlüssel dazu liegt in den günstigeren Betriebskosten eines E-Fahrzeuges, der Total Cost of Ownership. Denn Steuern, Wartungs- und Verschleißkosten sowie der Verbrauch sind geringer, was die Attraktivität und damit den Restwert des Fahrzeugs steigert. Nach dem ersten Leasingvertrag können die Autos auf diese Weise mit einem stabilen Restwert in einen weiteren Leasingzyklus eingebracht werden.Nach dem Dieselskandal könnten Autohersteller und ihre Captives jetzt also ökologisch punkten. Bei VW FS scheint man von diesem Konzept überzeugt. Zumindest hat man in Deutschland das Ziel ausgegeben, 80 % aller E-Fahrzeuge des VW-Konzerns zu finanzieren bzw. zu verleasen. Bei den herkömmlichen Fahrzeugen sind es nur 60 %.