Automatisierter Kontenabruf greift um sich

Gesetzgeber hat Spielraum der Behörden stetig ausgeweitet - Neuer Zwang zu elektronischem Verfahren treibt Zahlen in die Höhe

Automatisierter Kontenabruf greift um sich

Die Kontodatenabfragen durch Behörden wie Finanz- und Sozialämter steigen von Jahr zu Jahr deutlich. Im vergangenen Jahr erreichten sie einen neuen Spitzenwert. Dazu hat auch ein neues Verfahren beigetragen. wf Berlin – Fast 1 Million Mal haben staatliche Stellen Kontodaten von Bürgern im vergangenen Jahr automatisiert abgefragt. Von den insgesamt 915 257 Abfragen entfiel nach Angaben des Bundesfinanzministeriums 2019 mit 670 964 der größte Teil auf den nichtsteuerlichen Bereich. Finanzämter fragten in Steuersachen in 244 293 Fällen nach, erfuhr die Börsen-Zeitung auf Nachfrage.Die einzelnen Gründe für die Abfragen werden statistisch nicht erfasst. Mittlerfunktion zwischen Behörden und Kreditwirtschaft übernimmt das Bundeszentralamt für Steuern. Dort laufen auch die Auskunftsersuchen der Behörden zusammen. Der erneute Anstieg im vergangenen Jahr wird auf ein neues Abfrageverfahren zurückgeführt: Demnach dürfen Anträge nur noch elektronisch gestellt werden. Dies habe vor allem die Abfragezahlen bei den Gerichtsvollziehern in die Höhe getrieben.Andere Bundesbehörden, die nachfragen, sind nach früheren Angaben der Bundesregierung etwa der Zoll, das Bundesamt für Justiz und das Bundeskriminalamt oder Sozialbehörden wie Jobcenter, Sozialämter oder Bafög-Stellen. Nachgeforscht wird auf diesem Weg auch wegen des staatlichen Unterhaltsvorschusses für alleinerziehende Elternteile, den die Behörden beim Unterhaltspflichtigen wieder eintreiben wollen. Seit 2020 mehr Information Ermittelt wurden bislang Kontostammdaten. Die Behörde erfährt, bei welchen Kreditinstituten der Betreffende Konten unterhält. Kontostände werden nicht mitgeteilt. Die Kreditinstitute haben bis Ende 2019 Name, Vornamen und Geburtsdatum übermittelt. Dies hat nun weitere Kreise gezogen. Seit Jahresbeginn 2020 müssen Banken und Sparkassen auch die Adressen und steuerlichen Identifikationsnummern weiterleiten. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus dem vergangenen Frühjahr äußerte die Bundesregierung die Erwartung, dass damit eine genauere Auswertung der Daten möglich sei. Zudem werde verhindert, dass fehlerhafte Daten übermittelt oder Personen verwechselt werden.Das Verfahren war zunächst zur Bekämpfung schwerer Verbrechen und zur Abwehr von Terrorismus eingeführt worden. Seit April 2005 dürfen auch Finanz- und Sozialämter oder die Arbeitsagentur nachfragen. Abgefragt wird auf Basis der Abgabenordnung (AO § 93) in Einzelfällen. Die Umstände dafür müssen hinreichend konkret oder aufgrund allgemeiner Erfahrung geboten sein. Sammelabfragen oder Auskunftsersuchen “ins Blaue” sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht erlaubt. Gerichtsvollzieher sind seit 2013 berechtigt, Daten abzufragen. Seit Ende 2016 gilt dies auch für Beträge unter 500 Euro. Die Finanzaufsicht BaFin darf Kontodaten abrufen, wenn sie unerlaubten Bankgeschäften oder Geldwäsche auf der Spur ist. Auch die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ist ein Grund, sofern bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.