Automobilzulieferer müssen sich fit machen
Alternative Antriebe, moderne Mobilitätskonzepte, Digitalisierung: Die gesamte Automobilindustrie steht vor großen Veränderungen und Herausforderungen. Auch die Zulieferindustrie muss sich strategisch auf grundsätzliche Änderungen der Branchen- und Wettbewerbsstruktur einstellen. Die praktischen Folgen des Wandels sind schon heute deutlich spürbar: Änderung der Teilestruktur, vor allem rückläufige Folgeaufträge im Bereich Verbrennungsmotor; nur schwer kalkulierbare Nachfrage für neue Produkte der Elektromobilität und gleichzeitig massive Capex-Investitionen in neue Fertigungsanlagen; zunehmende Verkürzung der Modelllaufzeiten und weiteres Auffächern der Modellreihen; steigende Auftragsvarianz bei abnehmenden Stückzahlen; erhöhter Entwicklungs- und Investitionsbedarf.Die Automobilzulieferer müssen sich für einen nicht absehbaren Zeitraum auf verringerte Planbarkeit bei höherem Kapitalbedarf einstellen. Und das vor dem Hintergrund, dass die klassischen Banken die Branche zurzeit praktisch nicht finanzieren möchten, teilweise sogar ihr Zuliefererportfolio reduzieren müssen. Alternative Finanzierer, beispielsweise aus London, stehen dagegen mit Milliardenvolumina bereit, um in deutsche Zulieferer zu investieren, teils sogar für die Phase der Ausproduktion.Es lassen sich in dieser Marktphase drei Typen von Automobilzulieferern unterscheiden:Typ 1 – Uneingeschränkte Zukunftsfähigkeit: Dieser Typus, stark im Elektroniksegment und mit hohen Cash-Reserven, wird die anstehende Transformation mit eigener finanzieller Stärke bewältigen können. Die Mitarbeiter müssen auf die neuen Arbeitswelten vorbereitet werden und neue Fähigkeiten erlernen. Moderne Formen der Zusammenarbeit wie agile Teams und übergreifende Kooperationen mit anderen Unternehmen werden an Bedeutung gewinnen. Neue Ideen aus der Start-up-Szene werden sich mit der Old Economy vermischen. Die Zulieferer werden versuchen, neue Erlösmodelle im Markt zu etablieren. Die Wertschöpfungskette wird bunter und vielfältiger. Dieser Typus von Zulieferern wird sich frisch kapitalisieren und die Konsolidierung der Branche vorantreiben.Typ 2 – Eingeschränkte Zukunftsfähigkeit: Diese Unternehmen müssen sich auf die Reduzierung ihrer Kapazitäten einstellen, bei gleichzeitigem Wachstum anderer Segmente. Dies geht mit einem massiven Kapitalverzehr und Bonitätsverlust einher. Ob sie die Transformation eigenständig bewältigen, ist zumindest fraglich. Die Geschäftsführung ist gezwungen, ehrliche und knallharte Sanierungsschritte und Szenarien durchzuspielen, wobei die finanziellen Reserven den Handlungsspielraum limitieren. Insbesondere die Automobilindustrie ist seit Jahren auf schlank getrimmt worden, so dass nur bedingt finanzielle Reserven im Working Capital bestehen. Eventuell müssen jetzt Assets oder Beteiligungen verkauft werden.Die Gefahr ist, dass man wegen fehlender finanzieller Mittel beim Rückbau zu kurz springt und damit die Verlustsituation weiter aufrechterhält. Schleichender Kapitalverzehr und der Zusammenbruch des Gesamtunternehmens wären die Konsequenz. Neben der leistungswirtschaftlichen Restrukturierung muss insbesondere die Finanzierung neu strukturiert werden. Dies bedeutet letztlich, Wachsendes und Nicht-Zukunftsfähiges vorsorglich voneinander zu trennen. Die Finanzierung wird wieder deutlich assetlastiger, da sich der Glaube an das Booked Business und den berechenbaren Cash-flow zerschlagen hat.Die Finanzierung über Zweckgesellschaften (SPV) für eine neue Produktionsanlage mit einem Automobilhersteller als Abnehmer kann ein Modell für eine alternative Finanzierung sein. Dabei übernimmt der Automobilzulieferer die neuen Maschinen und Anlagen nicht auf die eigenen Bücher. Stattdessen wird eine SPV GmbH gegründet, die die von der Zuliefergesellschaft ausgelöste Bestellung der Anlagen im Wege eines Geschäftsbesorgungsvertrags übernimmt und einen Leasingvertrag mit der Zuliefergesellschaft abschließt. Letztere erhält auch ein Andienungsrecht gegenüber der SPV. Die Finanzierung erfolgt durch eine Bank oder einen Investor. Für den Automobilhersteller besteht zwar die Notwendigkeit, durch Zusagen von Abnahmemengen zumindest eine gewisse Finanzierungssicherheit zu gewährleisten. Auf der anderen Seite hat er den Vorteil, im Falle einer Krise des Zulieferers individuelle Zugriffsrechte auf die finanzierten Anlagen zu erhalten und sich somit die Lieferfähigkeit zu sichern.Typ 3 – Keine Zukunftsfähigkeit: Auch das Erkennen, dass es perspektivisch nicht mehr weitergeht, ist eine unternehmerische Leistung. Es gibt sogar Finanzierer und Investoren, die sich in einer derartigen Situation engagieren. Für die Autohersteller geht es vor allem darum, die Lieferfähigkeit seines Zulieferers aufrechtzuerhalten, denn so einfach kann ein Serienteil nicht fremdvergeben werden. Es gibt also ein beiderseitiges Interesse, geordnet und frühzeitig den Weg des Rückbaus anzutreten und damit die Wertevernichtung zu begrenzen. In einem solchen Fall bieten sich insbesondere insolvenzgerichtliche Verfahren wie die Eigenverwaltung an, auch um für alle Beteiligten das Haftungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Wer trägt die Lasten?Zurzeit gibt es eine Reihe von Insolvenzfällen unter Zulieferern, teils getrieben durch den Auslieferungsknick des letzten Jahres, teils getrieben durch die gegensätzlichen Interessenlagen von Finanzierern, Autoherstellern und Gesellschaftern. Wer trägt die Lasten und das finanzielle Risiko des Branchenumbaus? Die Autohersteller werden ihre Risiken zu einem erheblichen Teil in ihre Lieferkette weitergeben. Nicht jeder Zulieferer wird die damit verbundenen Gefahren tragen können oder auch wollen. Gleichzeitig werden aber auch neue Player mit neuen Technologien in den Markt drängen. Steigende InsolvenzzahlenSollten die Interessen nicht durch Verhandlungen aller Beteiligten zusammengebracht werden können, kann der gordische Knoten im Einzelfall nur mit einem Hieb durchtrennt werden, und das ist das “Zwangscommitment” durch die Insolvenz. Wir werden daher in den nächsten Jahren deutlich steigende Insolvenzzahlen im Automobilzulieferbereich sehen.Sich fit für die Zukunft zu machen, heißt also für Geschäftsführung und Gesellschafter, nicht nur auf die Schlange zu starren und darauf zu hoffen, dass schon alles gut gehen wird. Vielmehr gilt es, klar und faktenorientiert die Vergleichsrech-nungen für einzelne Szenarien zu erstellen – und das möglichst früh. Christian Gerloff, Partner der Kanzlei Gerloff Liebler Rechtsanwälte, München und Volker Riedel, Partner der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH