LEITARTIKEL

Ballast abwerfen

Die Tabus fallen. Die deutschen Lebensversicherer wollen Millionen alter Verträge aus ihren Bilanzen werfen und von externen Anbietern abwickeln lassen. Damit wird salonfähig, was lange mit Blick auf Image und Reputation als No-Go galt und von den...

Ballast abwerfen

Die Tabus fallen. Die deutschen Lebensversicherer wollen Millionen alter Verträge aus ihren Bilanzen werfen und von externen Anbietern abwickeln lassen. Damit wird salonfähig, was lange mit Blick auf Image und Reputation als No-Go galt und von den Marketingabteilungen der Assekuranz verteufelt wurde. Doch einige kleinere Versicherer haben die ersten Schritte gewagt und Bestände an Run-off-Plattformen abgegeben. Jetzt folgen auch Schwergewichte der Branche. Generali und Ergo, Nummer 2 und 3 im Markt der Lebensversicherer, haben öffentlich ihre Bereitschaft signalisiert, große Teile ihrer Portfolien an spezialisierte Abwickler abzugeben. Auch für die Axa ist Verkauf eine Option. Es sind die Töchter großer börsennotierter Konzerne, die mit ihren internationalen Investoren im Rücken weniger Berührungsängste haben.Das klassische Produkt der deutschen Lebensversicherer ist tot. Es ist das Ende eines Verkaufsschlagers, der jahrzehntelang Geld brachte. Doch die unverrückbaren Garantien der Vergangenheit sind für die Unternehmen wegen der geforderten hohen Kapitalunterlegungen prohibitiv teuer und für die Kunden unattraktiv geworden, da im Zinstief die Versprechen auf magere 0,9 % zusammenfielen. Viele Lebensversicherer haben das Neugeschäft mit diesen Produkten komplett eingestellt. Der nächste logische Schritt ist für viele eine Trennung von den Altbeständen.Das Abschneiden der alten Zöpfe birgt jedoch Risiken. Die Bedenken sind groß: Wie groß ist der Vertrauensverlust der Kunden, wenn ihre Verträge einfach weitergereicht werden? Schadet das dem Neugeschäft in anderen Sparten? Wie werden die Kunden langfristig behandelt? Drohen unbeherrschbare Imageschäden?Die gesamte Branche betritt Neuland. Weder die abgebenden Konzerne noch die aufnehmenden Plattformen können von Erfahrungen der Vergangenheit profitieren. Das Geschäftsmodell der spezialisierten Abwicklungsgesellschaft für Lebensversicherungsbestände ist nicht erprobt für den deutschen Markt. Und leider bislang auch noch zu wenig kommuniziert worden: In der Öffentlichkeitsarbeit haben die Plattformen, die sich zu Zahlen und Fakten recht bedeckt halten, noch Luft nach oben. Mehr Transparenz ist gefragt. Generelles Misstrauen gegenüber den internationalen Investoren – die chinesische Fosun bei der Frankfurter Leben, US-dominiertes Private Equity bei Viridium und Athene – ist allerdings kritisch zu hinterfragen. Denn die Run-off-Plattformen mit ihren kühl kalkulierenden Investoren haben einen starken Anreiz, dass die Abwicklung möglichst reibungslos läuft und unzufriedene Kunden nicht für ein negatives Image sorgen. Denn wenn Run-off auf den Plattformen funktioniert, winkt das große Geschäft: In den Büchern der deutschen Lebensversicherer schlummern alte klassische Verträge mit einem Volumen im höheren dreistelligen Milliardenbereich. Und die Plattformen verdienen an der Skalierbarkeit ihres Geschäftsmodells. Je mehr Volumen sie anziehen können, desto rentabler wird die Sache.So weit die Theorie. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, die Umsetzung kann holpern, doch entscheidend ist: Alle Beteiligten, inklusive der Versicherungsaufsicht, haben ein großes Interesse daran, dass das Geschäftsmodell der Abwicklungsplattformen funktioniert. Das schafft eine gewisse Sicherheit für die Kunden und den Verbraucherschutz.Für die abgebenden Gesellschaften macht die Auslagerung ihrer Altbestände betriebswirtschaftlich ohne Zweifel Sinn und hat viele Vorteile: Sie können sich voll auf die neue Produktwelt und die Fülle an weiteren Herausforderungen der nächsten Jahre konzentrieren. Die Stichworte heißen Digitalisierung, Regulierung und für manche IFRS 17. Die Volatilität der Solvenzquoten dürfte bei den Unternehmen deutlich sinken. Auf lange Sicht haben sie sich außerdem eines Kostenproblems entledigt. Denn die Altverträge laufen sukzessive aus, und irgendwann sitzen die Gesellschaften auf einem Kleinbestand an teuer zu verwaltenden Policen.Auch wenn die Debatte über Run-off-Plattformen für Lebensversicherungen aktuell von Unsicherheit geprägt ist, scheint die Entwicklung unaufhaltsam: In einigen Jahren dürfte externer Run-off in der Lebensversicherung Routine sein. Die Aufsicht muss aber im Interesse der Kunden ein waches Auge darauf behalten. Vertrauen auf die Marktkräfte ist gut, Kontrolle aber bekanntlich besser.——–Von Antje KullrichAlle Beteiligten haben ein Interesse an funktionierenden Run-off-Plattformen für Lebensversicherungen. Das relativiert die Risiken des Geschäftsmodells.——-