Banger Blick nach Großbritannien

Eine gesetzliche Neuregelung des Corporate Access könnte die Arbeit in IR-Abteilungen schon bald nachhaltig verändern

Banger Blick nach Großbritannien

Mit einem Gefühl der Unsicherheit schauen viele Investor-Relations(IR)-Manager momentan über den Ärmelkanal. Sie beobachten, wie sich das etablierte System des Corporate Access in Großbritannien neu strukturiert. Auch hierzulande müssen Unternehmen mit Veränderungen rechnen. Bis Mitte 2015 dürfte die EU mit der Neuformulierung ihrer Richtlinien für die Markets in Financial Instruments (Mifid II) die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen.Es gärt schon länger: Bereits vor zwei Jahren untersuchten die britischen Regulierungsbehörden, wie institutionelle Investoren die Gebühren ihrer Kunden – die sogenannten Client Commissions – verwenden. Sie stießen dabei auf große Intransparenz und forderten die Investoren zu mehr Nachvollziehbarkeit und Zurückhaltung beim Umgang mit den Client Commissions auf. In einem umfassenden Consultation Paper kritisierte die Financial Conduct Authority (FCA) zudem die bei Investoren gängige Praxis, Corporate-Access-Dienstleistungen aus den Client Commissions zu bezahlen. Kosten des Corporate Access, so die FCA, seien Betriebskosten, die der Investor aus eigenen Mitteln zu tragen habe.Die UK Investment Management Association empfahl ihren Mitgliedern zu prüfen, ob die eigenen Prozesse die Ansprüche der FCA erfüllen. Die Forderungen des Regulierers sind damit praktisch umgesetzt, eine Änderung der Gesetzeslage in Sicht – mit vermutlich weitreichenden Folgen. Das Geschäftsmodell der Broker als Vermittler zwischen Emittent und Investor im Corporate Access steht auf dem Prüfstand.Ein Investor engagiert den Broker, damit dieser in seinem Namen Wertpapiertransaktionen durchführt. Er entlohnt ihn dafür mit einer Handelskommission, deren Höhe sich nach dem gehandelten Volumen bemisst. In der Regel nehmen Investoren zudem der Transaktion vorausgehende Services in Anspruch. Dazu gehören Beratung und Research, also die Erstellung von (Sell-Side-)Analysen und Marktberichten, wie auch das Zusammenbringen der Investoren und Unternehmen im Rahmen von Non-Deal-Roadshows. Die Kosten für diese Dienstleistungen reichen Investoren bislang an ihre Kunden weiter. Die FCA lehnt das ab. Lediglich Research-Leistungen, so die FCA, dürften den Kunden in Rechnung gestellt werden. Diese zunächst banal klingende Forderung hat für Emittenten weitreichende Folgen.Wenn Investoren künftig eigene Gelder, sogenannte “Hard Dollars”, in die Hand nehmen müssen, um für Corporate-Access-Dienste zu bezahlen, so werden sie diese voraussichtlich selektiver in Anspruch nehmen. Das für den Broker lukrative Geschäftsmodell der Roadshows würde sich verändern: Denn ein Investor, der dafür zahlen muss, ein Unternehmen zu sehen, wird nur noch die Emittenten sehen wollen, deren Aktien er wirklich kaufen will. Die Zahl der Roadshows dürfte deutlich abnehmen. Für IR-Manager stellt sich damit die Frage, wie sie den Kontakt zu Investoren herstellen. Es tut sich etwasMöglicherweise springen neue Intermediäre in die Bresche. Der Unternehmer Michael Hufton etwa ist überzeugt, dass es möglich ist, Unternehmen und Investoren auf der Basis anderer Vergütungsmodelle kostengünstiger zusammenzubringen. Mit Ingage hat er eine Online-Plattform entwickelt, die den Broker überflüssig machen soll.Denkbar wäre auch, dass Unternehmen und Investoren direkt miteinander in Kontakt treten – entweder auf Initiative des Investors oder auf Initiative des Unternehmens. Investoren können Broker-Dienstleistungen internalisieren, etwa ihre Buy-Side-Analysen ausweiten und eigene Roadshows organisieren. Einige Riesen der Branche wie der norwegische Pensionsfonds Norges oder Fidelity und Aberdeen verrichten typische Broker-Services bereits In-House. Und viele Unternehmen in Deutschland erleben bereits einen Anstieg der sogenannten Reverse Roadshows, bei denen die Anleger die Unternehmen besuchen und nicht umgekehrt. Andererseits kümmern sich auch Unternehmen hierzulande immer aktiver um die Suche nach Investoren und deren Ansprache.Welche Folgen die Auflösung des derzeitigen Corporate-Access-Systems für das IR-Management hat, hängt unter anderem von der Größe, Bekanntheit und Attraktivität seines Unternehmens für den Kapitalmarkt ab. Vor allem für kleine Unternehmen könnte es aufwendiger werden, den Investorenkontakt aufzubauen und zu pflegen. Zum einen sind sie bei Investoren nicht unbedingt bekannt genug, um von diesen als Anlagemöglichkeit wahrgenommen zu werden. Zum anderen haben sie in der Regel nicht die (personellen) Ressourcen in der IR-Abteilung, um eine größere Zahl von potenziellen Investoren zu identifizieren und den Kontakt zu diesen dauerhaft zu pflegen. Vor allem IR-Manager in Unternehmen außerhalb des Dax sind daher beunruhigt.Andererseits hätten eine Neustrukturierung des Corporate Access und ein damit verbundener “kürzerer Draht” vom Emittenten zum Investor durchaus Vorteile. So dürfte sich die Markttransparenz deutlich verbessern. Schließlich könnten IR-Manager, die die Suche und Ansprache potenzieller Investoren selbst übernehmen, ein (noch) besseres Gespür für die Wahrnehmung ihres Unternehmens am Kapitalmarkt entwickeln. Neue technische Entwicklungen können Unternehmen dabei helfen, das Investor Targeting selbst in die Hand zu nehmen. So setzen viele Unternehmen schon jetzt systematisch Investor-Targeting-Datenbanken ein.Sofern der Investor die Organisation und Finanzierung einer Roadshow übernimmt, erkennen IR-Manager auch hier, wie es um die Nachfrage nach Anteilen an ihrem Unternehmen bestellt ist. Die Effizienz der Roadshows dürfte sich aus Unternehmenssicht verbessern. Die Fehlallokationen der Vorstandszeit auf unergiebige Investorentermine würden sinken. IR-Manager sollten es zudem leichter haben, auch Buy-and-Hold-Investoren zu sehen – eine für Emittenten wichtige Zielgruppe, die im derzeitigen System für den Broker eher uninteressant ist, da er selbst an der Transaktion verdient. Kleine Unternehmen stellt die Organisation von persönlichen Zusammentreffen mit Investoren allerdings vor große Herausforderungen. Für sie wird es wichtig sein, dass sie neue Dienstleister finden, die sie sowohl bei der Identifikation von Investoren und der Kontaktpflege als auch bei der Organisation von Roadshows unterstützen. Online-Targeting im FokusDie hohen Kosten für Roadshows könnten sich durch das Ausweichen auf Online-Targeting in Zukunft reduzieren lassen. In den USA etabliert sich aktuell ein neuer Marktstandard für Videokonferenzen. Diese haben den Vorteil, dass sich das Top-Management des Unternehmens relativ leicht integrieren lässt. Terminprobleme werden gemindert, lange Reisezeiten entfallen. Die gefürchtete “Meilen pro Meeting”-Ratio sinkt dramatisch. Online-Targeting ersetzt sicher nicht die persönliche Begegnung, hilft aber den Erstkontakt herzustellen und auch den Kontakt zu pflegen.Aus Unternehmenssicht ist Corporate Access ohne Broker nicht unbedingt erstrebenswert. Allerdings sollte eine zunehmende Transparenz über die Kosten des Prozesses einerseits den Zugang zu den Unternehmen für alle Investoren unabhängig vom Handelsvolumen öffnen und andererseits den Unternehmen mehr Hoheit über Struktur und Inhalt von Roadshows bringen.IR-Manager verantworten die Auswahl der Investoren. Sie sollten sich aktiv in den Veränderungsprozess einbringen, um ihre künftige Rolle zu stärken. Hier gilt es in Einklang mit möglichst schriftlich formulierten Roadshowzielen eine optimale Reichweite mit vertretbarem Ressourceneinsatz (Vorstandszeit) zu erreichen. Das bedeutet: Nicht nur die “üblichen Verdächtigen” bedienen, sondern aktiv die Eignerstruktur festigen und diversifizieren. Die “Relations”-Arbeit, also der persönliche Beziehungsaufbau und die Beziehungspflege werden für IRManager in Zukunft an Bedeutung gewinnen.—Jörg Hoffmann, CFA, Senior Vice President bei der Wacker Chemie AG und Kay Bommer, Geschäftsführer des DIRK, Deutscher Investor Relations Verband