Bank of England öffnet Türen für Nicht-Banken

Mark Carney plant Erlaubnis von Übernacht-Depositen - API für regulatorische Datenübertragung geplant

Bank of England öffnet Türen für Nicht-Banken

Von Björn Godenrath, FrankfurtRevolutionen gibt es nicht im Bankensektor, Veränderungen erfolgen in der Regel evolutiv und damit schrittweise. Aber das, was Mark Carney in seiner Funktion als Chef der Bank of England (BoE) in seiner Rede mit dem Titel “Enable, Empower, Ensure: A New Finance for the New Economy” auf die Schäfchen, die er hütet, losgelassen hat, steht zumindest für einen Paradigmenwechsel. Zugang für alleDenn den Banken droht nun ganz konkret der Verlust des Privilegs der Übernacht-Deponierung überschüssiger Liquidität bei der Notenbank. Konsultiert werden soll die Öffnung der “Balance Sheet” der Notenbank für die neuen Teilnehmer am Zahlungsverkehr – also Fintechs wie Transferwise und, so lässt sich vermuten, eventuell auch die von Facebook und der Libra Association geplante Digitalwährung.Mit Veränderung der Kern-Infrastruktur der Notenbank mache es Sinn zu prüfen, solche Übernacht-Fazilitäten zu erlauben, sagt Carney. Wer bei der Notenbank Depositen einliefert, erhält in der Regel eine geringe Verzinsung dieser Einlage. In den USA erzielen die Geschäftsbanken damit signifikante Einnahmen, während Europas Bank pro Jahr gut 7 Mrd. Euro an Negativzinsen für ihre Einlagen berappen müssen. Erhalten Fintechs oder neue Payment-Dienstleister wie eine Alipay Zugang zum Notenbank-System, verlieren die Geschäftsbanken einen Wettbewerbsvorteil. Carney geht davon aus, dass dies zum einen zur Finanzstabilität beiträgt und zum anderen private und geschäftliche Nutzer von geringeren Payment-Kosten profitieren können.Carney zufolge beträgt der Bargeldanteil an Transaktionen in Großbritannien heute nur noch ein Viertel gegenüber zwei Dritteln vor zehn Jahren. Dabei habe man zwar schon einige Fortschritte im elektronischen Zahlungsverkehr erzielt – über Faster Payments wird innerhalb von zwei Stunden abgewickelt -, hinke aber noch stark hinter Ländern wie Schweden oder Indien zurück. Außerdem dauere es immer noch bis zu drei Tage, bis ein Händler sein Geld aus einer Kreditkartenzahlung erhalten habe bei Kosten von 0,5 bis 2 % des Warenwertes, führt Carney genüsslich aus. Und grenzüberschreitende Zahlungen seien bis zu 10-mal so teuer, während das Settlement bis zu zehn Tage beanspruche. Immer mehr in EchtzeitDas will er ändern, indem er Nicht-Banken den Zugang zum Echtzeit-Settlement-System (RTGS) der BoE gewährt – bei Transferwise und fünf weiteren Fintechs ist das schon der Fall. 20 weitere Anträge für diesen Anschluss an Zentralbank-Infrastruktur liegen schon vor, so Carney. 850 Mrd. Pfund werden täglich über das RTGS abgewickelt und dieses wird derzeit renoviert, um den Anforderungen einer “Distributed Finance” gerecht zu werden. Das Settlement-System wird API-fähig gemacht, was eine neue Qualität von Datendiensten ermöglicht.So könne dann jeder Zahlungsvorgang dank eines global standardisierten Formats “getaggt” werden, führt Carney weiter aus. Dafür werde das RTGS dann LEI-fähig gemacht, also der Legal Entity Identifier (LEI) als “Messaging Standard” integriert. Dieser LEI ist dann auch Teil einer übergreifenden digitalen Identitätslösung, die Carney im Interbanken-Verkehr verpflichtend einführt und im nächsten Schritt auch auf den Zahlungsverkehr von Firmenkunden ausweiten will. Damit könnten dann auch die von Nicht-Banken kreierten Payment-Daten in das von der BoE gepflegte Kreditregister einfließen. Außerdem könne der LEI bei der digitalen Identifizierung in dem zweistufigen Prozess zur Freischaltung von Payment-Aufträgen helfen, so Carney.Das soll dann auch beitragen zu einem zentralen Anliegen des Notenbank-Chefs: dem Aufbau einer offenen Plattform für KMU-Finanzierung. “Putting data to work is critical to closing one of the biggest funding gaps in the country.” Diese Finanzierungslücke beziffert er auf 22 Mrd. Pfund, jeder zweite Mittelständler (KMU) werde vom umständlichen Kreditprozess abgeschreckt – und zwei von fünf Kreditanträgen lehnten die Banken ab. Dabei lobt Carney zwei Fintech-Geschäftsmodelle zum Kreditscoring: Zum einen habe Iwoca in Großbritannien schon gut 900 Mill. Pfund ausgereicht auf Basis von Daten aus dem Verkaufsverlauf der Firmen auf Online-Marktplätzen. Und Santander habe eine Partnerschaft mit Ebay geschlossen zur Kreditvergabe, bei der auf Basis des eingehenden Sales Flow sowie von Kundenbewertungen Kreditentscheidungen getroffen werden. Carney will dafür sorgen, dass der Datenfluss von und zu KMU über APIs offener gestaltet wird – was Aufgabe der Privatwirtschaft sei, die BoE kann aber unter anderem mit Integration des LEI beim Aufbau offener Plattformen mitwirken. 65 Milliarden DatenpunkteTechnologiegetriebene Effizienzgewinne wittert Carney auch im Zusammenspiel von Cloud Computing als Infrastruktur mit Künstlicher Intelligenz. Auf skalierte Struktur gebracht könnten 30 bis 50 % IT-Kosten (“Unit Cost Savings”) gespart werden. Dabei ist die Bank of England als Regulator selbst mit einer riesigen Datenwand konfrontiert: Jedes Jahr seien 65 Milliarden Datenpunkte zu verarbeiten, so Carney. Und die Bankenindustrie fahre einen Aufwand von 2 bis 4,5 Mrd. Pfund pro Jahr für ihre Berichtspflichten: Carney nennt die Erneuerung dieser Compliance-Prozesse die “new frontier of regulatory efficiency and effectiveness”. Informationen rausziehenUm das für beide Seiten einfacher zu machen, will Carney eine API-Plattform-Infrastruktur aufbauen, die es der Aufsicht erlaubt, Daten nach Bedarf selbst aus den Bankensystemen zu ziehen, statt “rumzusitzen und auf die Lieferung der Daten zu warten.” Wie das funktionieren kann, das will man nun in Zusammenarbeit mit der Branche erarbeiten.