GASTBEITRAG

Banken in Deutschland nehmen Risikokultur ernst

Börsen-Zeitung, 24.12.2019 Auch nach über zehn Jahren ist die weltweite Finanzbranche noch immer geprägt durch die Nachwirkungen der Finanzmarktkrise, die für einzelne Institute zum Teil existenzgefährdende Verluste bedeutete. Das öffentliche...

Banken in Deutschland nehmen Risikokultur ernst

Auch nach über zehn Jahren ist die weltweite Finanzbranche noch immer geprägt durch die Nachwirkungen der Finanzmarktkrise, die für einzelne Institute zum Teil existenzgefährdende Verluste bedeutete. Das öffentliche Vertrauen in die Finanzbranche wurde durch diverse Skandale rund um fragwürdige Geschäftspraktiken nachhaltig erschüttert.Daher richtete sich noch nie so viel Aufmerksamkeit auf Kultur und Verhalten im Finanzdienstleistungssektor wie heute. Als Voraussetzung für werteorientierte Geschäftspraktiken und risikoadäquates Verhalten soll die Risikokultur in Banken zu einer bewussten Auseinandersetzung mit Risiken im täglichen Geschäft führen. Sie ist das entscheidende Bindeglied zwischen operativen und methodischen Verfahren des Risikomanagements und deren tatsächlicher Effektivität und Nachhaltigkeit. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Aufsicht erwarten von Instituten, dass sie sich aktiv mit ihrer gelebten Risikokultur befassen, sie als Werkzeug für ein angemessenes Risikomanagement begreifen und entsprechend weiterentwickeln und nutzen.Das Konzept einer “angemessenen Risikokultur”, das mit der 5. MaRisk-Novelle auch in die deutsche Gesetzgebung aufgenommen wurde, strebt keinen neuen Risikomanagementansatz an. Vielmehr erwartet die Bankenaufsicht, dass sich die Institute “mit der Thematik verstärkt auseinandersetzen und für sich definieren, welche Geschäfte, Verhaltensweisen und Praktiken letztlich als wünschenswert angesehen werden und welche nicht”. Dabei wird der Begriff Risikokultur als “die Gesamtheit der Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen einer Bank in Bezug auf Risikobewusstsein, Risikobereitschaft und Risikomanagement sowie Kontrollen, die Risikoentscheidungen gestalten”, definiert.KPMG hat im ersten Quartal 2019 führende deutsche Finanzinstitute nach der Ausgestaltung und Umsetzung ihrer Risikokultur befragt. Persönliche Gespräche mit den Chief Risk Officers von 13 Banken und halb strukturierte Interviews anhand eines selbst entwickelten Fragebogens lieferten die Datenbasis für diese Untersuchung. Fünf der Teilnehmer zählen zu den zehn größten Banken in Deutschland gemäß Bilanzsumme per 31. Dezember 2018. Von den befragten Finanzinstituten sind zwölf bedeutende Institute, die direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) überwacht werden. Bei dem übrigen handelt es sich um ein nicht unter EZB-Aufsicht fallendes, aber ähnlich großes Institut. Einen ergänzenden, übergreifenden Blick lieferten Interviews mit Führungskräften zweier Bankenverbände.Die Ergebnisse dieser Umfrage zeichnen einerseits ein sehr heterogenes Bild des aktuellen Umsetzungsstands. Viele Institute haben sich dem Begriff der Risikokultur genähert und Strukturen, Methoden oder Prozesse identifiziert, die auf die von der Aufsicht genannten Indikatoren der Risikokultur einzahlen. Dagegen sind Umsetzungsprogramme zur Erreichung der Zielkultur oder Instrumente, mit denen sich die Zielerreichung nachhalten lässt, nur vereinzelt im Einsatz.Andererseits zeigen die Befragungsergebnisse Aspekte der Risikokultur auf, die vielen Instituten gemeinsam sind. Die Institute sind sich darüber einig, dass das Risikomanagement, aber auch andere Geschäftsbereiche, bereits jetzt und zukünftig von einer guten Risikokultur profitieren können. Die Umsetzung und Überwachung einer tragfähigen Risikokultur sehen sie mehrheitlich als Aufgaben des Gesamtvorstands. Auch bei den Herausforderungen während der Etablierung einer tragfähigen Risikokultur ergeben sich Parallelen zwischen den Instituten. So werden beispielsweise große Herausforderungen für Führungskräfte erkannt, die sich im Idealfall an einem offenen und kollegialen Führungskonzept orientieren müssen. Ebenso häufig betonen die Institute, wie wichtig die Vorbildfunktion des mittleren Managements, auch für die einheitliche Kommunikation der erwünschten Werte, ist. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass das Verhalten und die Kultur von Führungskräften immer relevanter werden. Es hapert an KommunikationDer größte Entwicklungsbedarf besteht den Befragungsergebnissen zufolge im Bereich “offene Kommunikation und kritischer Dialog”. Tradierte Hierarchien und Rollenbilder werden neben dem Silodenken als große Hemmnisse angesehen. So existieren beispielsweise kaum regelmäßige Kommunikationswege zwischen Bereichen der ersten und zweiten Verteidigungslinien. Unterschiedliche Standards und Sichtweisen innerhalb der Institute erschweren die offene Kommunikation zusätzlich. Zudem existieren in vielen Instituten auffällige Unterscheidungen zwischen finanziellen und nicht finanziellen Risiken. So ist für nicht finanzielle Risiken oft noch kein Risikoappetit definiert, obgleich sich der Zero-Tolerance-Ansatz als nicht durchführbar erwiesen hat.Weiterer Entwicklungsbedarf lässt sich für den Bereich “angemessene Anreizstrukturen” ableiten. Denn während dieser Indikator einer tragfähigen Risikokultur für die meisten Institute dadurch abgehandelt zu sein scheint, dass sie die Institutsvergütungsverordnung bereits hinreichend einhalten, übersehen sie die Möglichkeit, Beschäftigte für erwünschte Verhaltensweisen zu belohnen. Bei der holistischen Definition ihrer Ziel-Risikokultur stehen die Institute mehrheitlich noch vor großen Herausforderungen. Insbesondere haben viele von ihnen die Kulturdefinition noch nicht durch beobachtbare und erfassbare Indikatoren, durch welche die aktuelle Risikokultur sichtbar gemacht werden und ein Abgleich mit der definierten Ziel-Risikokultur erfolgen kann, konkretisiert. Somit ist es noch nicht möglich, Umsetzungsprogramme zur Erreichung der Zielkultur zu gestalten und die Zielerreichung fortlaufend nachzuhalten.Während sich die Institute darüber einig sind, dass es sich bei der Schaffung einer angemessenen Risikokultur um eine dauerhafte Aufgabe handelt, erkennen sie auch ihre Abhängigkeit von der Veränderungsbereitschaft und -geschwindigkeit ihrer Belegschaft. Viele wünschen sich eine größere Diversität innerhalb ihrer Mitarbeiterschaft, um Entscheidungsprozesse durch verschiedene Sichtweisen verbessern zu können. Eine tragfähige Risikokultur wird eine Organisation sicher nicht vor allen Schäden schützen können. Die bewusste Auseinandersetzung mit Risiken im täglichen Geschäft und auf allen Ebenen verringert jedoch die Wahrscheinlichkeit, vermeidbaren Risiken ausgesetzt zu sein. Noch NachholbedarfGenau dies soll eine tragfähige Risikokultur leisten. Auch wenn die deutschen Institute jenen in anderen europäischen Ländern bei der Einrichtung einer Risikokultur hinterherhinken und diesbezüglich stark variieren, bestätigt die vorliegende Umfrage, dass das Thema Risikokultur in der deutschen Bankenlandschaft angekommen ist und dort ernst genommen wird. Die Institute haben die Bedeutung der Risikokultur erkannt und verstehen die Vorteile, die sich aus ihr ergeben.Die formale Ausgestaltung der Risikokultur wird in den meisten Instituten sehr schnell beendet werden können. Für die praktische Umsetzung jedoch, die Änderung von Verhaltensweisen und die Beeinflussung von Einstellungen, wird Zeit vonnöten sein, um Angst vor Unsicherheit zu überwinden sowie ein langer Atem, um – trotz des großen Zeitrahmens – den Fokus nicht zu verlieren. Ebenso bedarf es einer fortlaufenden kritischen Analyse von Elementen, die nötig sind, um eine tragfähige Risikokultur zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Thomas Kaiser, Partner bei KPMG