GASTBEITRAG

Banken müssen sich konsequent von ihren Illusionen verabschieden

Börsen-Zeitung, 18.8.2016 Die von der Bundesbank im vorigen Jahr durchgeführte und erstaunlicherweise in der Öffentlichkeit wenig beachtete Abfrage zur erwarteten Ergebnisentwicklung der Banken im Niedrig- bzw. Negativzinsumfeld hat es quasi amtlich...

Banken müssen sich konsequent von ihren Illusionen verabschieden

Die von der Bundesbank im vorigen Jahr durchgeführte und erstaunlicherweise in der Öffentlichkeit wenig beachtete Abfrage zur erwarteten Ergebnisentwicklung der Banken im Niedrig- bzw. Negativzinsumfeld hat es quasi amtlich gemacht: Die Ergebnisse der Banken werden dramatisch einbrechen. Die tradierten Antworten auf Herausforderungen wie Vertriebsinitiativen, Kosteneinsparungsprogramme, Personalabbau im Rahmen der natürlichen Fluktuation, Suche nach attraktiven Anlagen des eigenen Vermögens oder vermehrte Fristentransformation versagen im Angesicht der Dimension des Ergebnisrückgangs um bis zu 70 %. Es ist verwunderlich, dass bei diesen Ergebnissen die Aufsicht nicht deutlicher reagiert hat als mit der Aufforderung, die Geschäftsmodelle zu überdenken. Quersubventionierung passéEs rächt sich nun, dass die bisherige Geschäftsstrategie der Mehrzahl der Institute getragen wurde von dem Leitbild des Managements: Wir lassen das Geschäftsmodell unverändert, machen mehr vom Gleichen, aber besser! Die sinkenden Ergebnisse lassen keinen Spielraum mehr für verdeckte oder bewusste Quersubventionierung. Die neuen Wettbewerber folgen in sehr stringenter Weise der Formel der digitalen Wirtschaft: Eine Software zu entwickeln kostet viel Geld, sie beliebig oft zu vertreiben ist aber billig. Über Plattformen Transaktionen ohne transaktionsabhängige Kosten, aber zu attraktiven Preisen anzubieten, eröffnet gleichfalls interessante Geschäftsmöglichkeiten – all dies in bisher nicht gekannten kurzen Entwicklungszeiten. Davon profitieren zuallererst globale Riesen wie Google, Facebook & Co., da sie bereits über ihre Plattformen zu null Grenzkosten ausliefern. Weiterhin verfügen diese Unternehmen im Gegensatz zu den hier ansässigen Banken über nahezu unbegrenzte Mittel. Die neuen Wettbewerber suchen auf der Wertschöpfungskette der Finanzdienstleister nach Teilschritten, für die sie eine “digitale Lösung” entwickeln können. Wegen der Freiheit von Lasten bisheriger Altsysteme sind sie im höchsten Maße effizient, aber vor allem beliebig skalierbar und nahezu grenzkostenfrei. Mit dieser “eindimensionalen” Lösung wird die Benchmark für Leistungen und Preis im Wettbewerb gesetzt, und jeder, der diese Lösung nicht einsetzen kann, hat einen Wettbewerbsnachteil, der in der transparenten digitalen Welt unmittelbar offensichtlich wird.Zwar werden der Aufwand und die Komplexität der aufsichtsrechtlichen Regelungen beklagt, und es wird viel von der digitalen Herausforderung gesprochen. Allmählich greift auch die Angst vor den deutlich zurückgehenden Ergebnissen um sich. Die höchsten Vertreter der Verbünde fordern mittlerweile einen Paradigmenwechsel zur Bewältigung der anstehenden Probleme. Die zu beobachtenden Veränderungen und Maßnahmen wirken jedoch eher traditionell und konventionell: Gebührenerhöhungen bei Kontoführung und Zahlungsverkehr – also in einem Feld, in dem Wettbewerber besonders aggressiv angreifen -, erneute Kostensenkungsprogramme, allerdings im Rahmen der bestehenden Strukturen.Sicherlich kann man den Banken zugestehen, dass sie in den vergangenen Jahren Erfahrungen mit effizienzsteigernden Maßnahmen gesammelt haben und auch die Vertriebsstärke besser geworden ist. Der notwendige Paradigmenwechsel muss allerdings Folgendes beinhalten: Nicht die weitere Effizienzsteigerung, also die Frage danach, ob die Dinge richtig gemacht werden, sondern die Frage nach der Effektivität, also ob die richtigen Dinge getan werden, rückt in den Mittelpunkt. Ein solcher Paradigmenwechsel, also der Wechsel zu einer gänzlich anderen Auffassung über das Funktionieren des Bankgeschäfts, bedarf eines konsequenten Abschieds vom Althergebrachten, das in vielen Teilen zur Illusion geworden ist.Produktillusionen: Alle Marketingspezialisten, Vertriebsbereiche, Produktentwickler werden es nicht gerne hören: Gemäß der Basisfunktion der Banken als Intermediär sind die Produkte nur “abgeleitete” Produkte. Eingedenk der bekannten Werbung des Onlineversenders Zalando schreit kein Mensch vor Glück, wenn er ein Sparkonto eröffnet oder einen Anschaffungskredit bekommen hat. Auf dem Sparkonto will er Geld ansparen, um sich am Ende das leisten zu können, was er wirklich haben will. Er wird sich dann freuen, wenn er mit dem Geld eine Reise antreten, sich ein Möbelstück kaufen oder sein Hobby finanzieren kann.Gleichfalls derjenige, der den Anschaffungskredit von der Bank erhalten hat. Selbst beim oftmals mit vielen Emotionen belegten Immobilienerwerb ist nicht der Erhalt des Immobilienkredits der wahre Grund der Freude, sondern schließlich der langersehnte Bezug des Wohneigentums. Durch den Zutritt immer neuer Wettbewerber wird zunehmend deutlich, dass auch sogenannte Finanzinnovationen nur geringen Einfluss auf die Kundenbindung haben und für die heute geforderte Transparenz aus Kundensicht eher als hinderlich angesehen werden. Als Lösung für die eigene Produktpalette helfen hier nur die Verabschiedung von Althergebrachtem und eine konsequente Ausrichtung an Kundenbedürfnissen, Einfachheit, Transparenz, und dies zunehmend auf dem Service- und Preisniveau der Anbieter, welche der oben zitierten Formel der digitalen Wirtschaft folgen.Beratungsillusionen: Insbesondere auf dem Feld der Geldanlage und Vermögensbildung wird immer noch die Vorstellung verfolgt, dass auch Geringverdiener und Menschen mit geringem Vermögen in den Genuss einer qualitätsvollen und umfassenden Beratung kommen müssten – lobenswert, aber dauerhaft nur zu leisten, wenn diese Leistung auch bezahlt werden soll. Dass dies gemäß den neuesten Zahlen der Europäischen Zentralbank (EZB) bei etwa 50 000 Euro Geldvermögen des typischen deutschen Haushalts gelingen kann, muss als Illusion bezeichnet werden. Bei diesen Summen muss eine bedürfnisorientierte, transparente und einfache Beratung zu einer risikoarmen und stark kostenreduzierten Anlage führen. Nicht kostendeckendEine umfassende Analyse der aktuellen finanziellen Situation, eine ganzheitliche Beratung, das Aussuchen individueller Serviceangebote, die Absicherung spezieller Lebensrisiken und die Formulierung einer individuellen Strategie zum Vermögensaufbau und -erhalt werden kostendeckend nicht zu leisten sein. Der Aufbau oder auch nur der Erhalt von Berater- und umfangreichen Researchkapazitäten lassen sich vor diesem Hintergrund nur als Illusion bezeichnen. Auch hier sind die Lösungen längst entwickelt, das Festhalten an der alten Illusion schützt das Management vor unliebsamen Anpassungen der auf diesem Feld eingesetzten Mitarbeiterkapazitäten.Wettillusion: Bemerkenswerterweise hält sich gerade bei den sogenannten Fachleuten der Bankenbranche hartnäckig die “Wettillusion”: Gemeint ist damit die Vorstellung, dass man durch geschicktes, aktives Disponieren in der eigenen Vermögensanlage der Bank eine Überrendite über der jeweiligen Marktrendite erzielen könnte. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass dies bei entsprechender Berücksichtigung der Risikoprämien und der anfallenden Kosten langfristig nicht gelingen kann. Makroökonomische WetteSelbst die Bundesbank äußert sich dazu: “Die eigenen Anlagen werden passiv verwaltet. (…) Wir bilden den Markt ab und versuchen mithin nicht, die Benchmark zu schlagen.” In den Banken hingegen hält sich weiter hartnäckig die Vorstellung, dass sich mit dem Eingehen einer “makroökonomischen Wette” – nichts anderes ist ja Fristentransformation auf der Basis von Zinsprognosen – zusätzlich nachhaltig Geld verdienen lasse.Noch schlimmer ist es, wenn man glaubt, mit strukturierten Produkten, Optionen und schwachen Emittenten Zusatzerträge zu erwirtschaften. Auch von dieser Illusion muss sich das Management verabschieden, will man sich von den darin gebundenen Kapazitäten und entsprechenden Kosten befreien.Leitbildillusion: In jeder Strategie ist ein Leitbild vonnöten, an dem die Bank ihre Aktivitäten ausrichten will. Eingangs wurde ein Aspekt des traditionellen Leitbildes (“Mehr vom Gleichen”) erwähnt. Nun darf ein neues Leitbild, in dem die Bedürfnisorientierung des Kunden an prominenter Stelle steht, aber nicht dazu führen, dass dauerhaft Leistungen ohne entsprechendes Entgelt angeboten werden. Vermeintlich negative Effekte vom Kunden fernhalten oder so weit wie möglich hinausschieben zu wollen, wenn wirtschafts- und geldpolitische Maßnahmen genau diese herbeiführen wollen, mag zwar lobenswert sein, ist aber in einer Wettbewerbswirtschaft eine nicht tragfähige Illusion. Dies gilt auch in der gegenwärtigen Negativzinsphase, in der die EZB ja ganz bewusst die Geld- und Kapitalhaltung mit Kosten, also Negativzinsen, versieht, um verfügbare Einkommens- oder Vermögensbestandteile dem Konsum zuzuführen. Auch wenn man diese Politik für völlig abwegig hält, so muss über betriebswirtschaftlich basierte Entscheidungen Schaden von der Bank abgewendet werden. Keinem Kunden kann damit gedient sein, wenn es Qualitätsanbieter eines Tages nicht mehr gibt, weil man heute seine Leistung verschenkt oder ihr Preis auf einer Illusion beruht.Der Abschied auch von dieser Illusion bedeutet wie in den Fällen zuvor wiederum eine konsequente Hinwendung zur Kundenorientierung und Bedürfniserfüllung gemäß den Prinzipien der Einfachheit wie Reduktion, Transparenz, Bedienfreundlichkeit, Zuverlässigkeit und Fairness.Mittlerweile sind sich nahezu alle Wirtschaftsweisen einig, dass die Negativzinsphase noch lange anhalten wird. Niemand hat eine konkrete Vorstellung darüber, wie ein Ausstieg aus dieser Geldpolitik gelingen kann. Von daher dürfte auch die Hoffnung auf einen nachlassenden Druck auf der Ergebnisseite eine Illusion sein, während die Visionen zur Auswirkung der Digitalisierung schneller Realität werden als erwartet. Nur die Banken, die nicht allein die nächsten Effizienzverbesserungsprogramme aufsetzen, sondern eine Vorwärtsstrategie formulieren, haben eine Chance, auch im Bankgeschäft der Zukunft zu existieren. Dabei müssen sie sich konsequent von den bisherigen Illusionen verabschieden und eine Struktur nach innen und außen gestalten, die den Prinzipien der Einfachheit folgt.—-Johann Rudolf Flesch, Geschäftsführer, Die Einfache Bank – Beratungsgesellschaft, Hannover