IN DER SOHLE DES ZINSTALS

Banken rechnen mit sanfter Wende

Institute erwarten, negative Auswirkungen eines Zinsanstiegs abfedern zu können - Dennoch Risiken

Banken rechnen mit sanfter Wende

Von Tobias Fischer, FrankfurtDie meisten deutschen Banken und Sparkassen und deren Aufseher sind zuversichtlich, eine geldpolitische Wende mittelfristig gut wegzustecken. Dennoch bestehen Risiken. Zwar verfügen die Aufseher kaum über belastbare Daten zu den Effekten eines sich abzeichnenden sanften Zinsanstiegs, der sich in mehreren kleinen Schritten der Europäischen Zentralbank (EZB) vollziehen dürfte. Sie schätzen aber, dass Banken dies wesentlich besser verkraften würden als einen Zinssprung von 200 Basispunkten, den Deutsche Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ihrer Niedrigzinsumfrage unter 1 555 Kreditinstituten zugrunde legten, deren Ergebnisse sie Ende August vorgestellt hatten. In diesem Fall würde nach einem zunächst drastischen Einbruch der Erträge nach etwa drei Jahren das Ausgangsniveau übertroffen. Aufsicht warnt vor SchocksEin schlagartiger Zinsanstieg gilt zwar als wenig wahrscheinlich, aber nicht als unmöglich. Zuletzt haben im November die Bundesbank im Finanzstabilitätsbericht und der Sachverständigenrat im Jahresgutachten auf Gefahren durch Schocks hingewiesen. Die könnten beispielsweise geopolitischen Krisen entspringen, eine Folge plötzlicher Änderungen der Markterwartungen bezüglich der künftigen Geldpolitik sein oder einer rasch und kräftig steigenden Inflation entstammen, auf welche die Notenbank reagieren müsste.Hinweise darauf, welche Folgen derlei Schocks zeitigen könnten, gibt die Niedrigzinsumfrage. Ein Anstieg um 200 Basispunkte würde die Gesamtkapitalrentabilität, also den Jahresüberschuss vor Steuern im Verhältnis zur Bilanzsumme, innerhalb eines Jahres von 0,5 % auf etwas mehr als 0,2 % drücken – ein Einbruch um mehr als die Hälfte. Vier Fünftel dieses negativen Effekts sind auf Wertverluste durch fallende Anleihenkurse zurückzuführen, der Rest auf sinkende Zinsüberschüsse, weil die Zinsen auf kurzfristige Einlagen rasch zulegen würden, jene für Kredite aber erst mittel- bis langfristig. Deutsche Institute haben in den vergangenen Jahren die Fristentransformation deutlich ausgedehnt. Mittlerweile haben im Neugeschäft 44 % der Wohnungsbaukredite eine Zinsbindungsdauer von mehr als zehn Jahren (siehe Grafik). Gleichzeitig ist der Anteil der kurzfristigen Refinanzierung stark gestiegen.Barkow Consulting kehrt hingegen eine positive Auswirkung eines Zinsanstiegs auf kurzfristige Einlagen hervor: Verdienten deutsche Banken vor der Finanzkrise durchschnittlich 27 Basispunkte am Tagesgeld ihrer Privatkunden, so legen sie nun 40 Basispunkte drauf, weil sie für überschüssige Liquidität, die sie bei der EZB parken, Strafzinsen zahlen. Eine Normalisierung des Zinsniveaus könnte einen positiven Effekt von 8,7 Mrd. Euro haben. Besser als im Zinsschock-Szenario kämen die Finanzinstitute weg, wenn die Zinsen graduell erhöht würden. Die BaFin verfügt zwar über keine belastbaren Zahlen für diesen Fall, rechnet aber damit, dass Banken Portfolioanpassungen vornehmen, um die negativen Konsequenzen abzufedern: “Wir gehen daher davon aus, dass Institute mit einem Szenario kleinerer Zinsschritte grundsätzlich besser zurechtkommen würden als mit einem abrupten Zinsanstieg”, heißt es.Die Bundesbank wiederum verweist auf Anfrage auf jene Institute, die in der Niedrigzinsumfrage von moderat steigenden Zinsen zwischen 0,05 % und 0,4 % pro Jahr ausgehen, was bis 2021 einer Zinserhöhung zwischen 0,25 % und 2 % gleichkäme. Obwohl eine Verallgemeinerung der Ergebnisse nur eingeschränkt möglich ist, zeigen sie in der Tendenz, dass sich Wertberichtigungen weniger stark auf das Ergebnis auswirken würden. “Nach Berechnungen der Institute würde sich bei moderaten Zinsanstiegen die Gesamtkapitalrentabilität in jedem Jahr des Fünfjahreshorizonts leicht oberhalb des positiven Ad-hoc-Schockszenarios bewegen”, führt eine Sprecherin aus.Sparkassen und Genossenschaftsbanken rechnen zwar mit moderaten Zinserhöhungen, fühlen sich aber für jedwedes Szenario gerüstet. Der Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen (SGVHT) zum Beispiel sieht seine 49 Mitgliedsinstitute mit einer Kernkapitalquote von 19 % solide kapitalisiert und verweist auf die derivative Absicherung der Fristentransformation. Im Schnitt beträgt der Anteil der täglich fälligen Gelder an den Gesamteinlagen der hessischen und thüringischen Institute 68 %. Der Bundesverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) betrachtet einen abrupten Anstieg um 200 Basispunkte als schlimmsten Fall. “Selbst wenn man in mehreren Schritten bzw. Zinsshifts letztlich wieder in der Summe auf plus 200 Basispunkte käme, würde das Worst-Case-Szenario nicht erreicht, weil die Banken mit jedem einzelnen kleineren Zinsshift Gegensteuerungsmaßnahmen einleiten würden”, bemerkt der BVR.Skeptischer zeigt sich Mark Wahrenburg, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Frankfurt. Die Häufung von Immobilienkrediten mit einer Zinsbindung über zehn Jahre hinaus könnte sich rächen. “Das lastet auf Jahrzehnte wie Blei in den Bankbilanzen.” Selbst eine Zinswende in Trippelschritten sei angesichts dessen möglicherweise “tödlich”. “Es ist eines der größten systemischen Risiken, das wir zurzeit haben”, resümiert Wahrenburg. Geldabfluss drohtÜberdies zweifelt er an einer ausreichenden Risikoabsicherung. “Die meisten Banken hedgen nicht. Und wenn sie es tun, dann unter unrealistischen Annahmen über die Stabilität von Einlagen.” EZB-Generaldirektor Korbinian Ibel bemängelte jüngst, dass Banken allzu oft Hedges nutzen, um zu spekulieren, statt sich damit abzusichern. Daneben untersucht die Aufsicht, wie stabil die Einlagen sind, wenn die Zinsen steigen – ein Aspekt, der auch Wahrenburg beschäftigt. Er kann sich vorstellen, dass Kleinsparer ihr Geld abziehen, wenn etwa die ING-DiBa mit “Kampfpreisen” aufwartet oder Plattformen wie Weltsparen.de deutschen Sparern im Ausland höher verzinsliche Gelder vermitteln, die ja bis zu 100 000 Euro durch die europäische Einlagensicherung geschützt sind.