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Banken stimmen die Europahymne vorerst nicht an

Von Anna Sleegers, Frankfurt Börsen-Zeitung, 18.11.2020 Mit dem Bekenntnis der spanischen Großbank BBVA, den heimischen Wettbewerber Banco Sabadell übernehmen zu wollen, ist die Konsolidierungsfantasie an den Markt zurückgekehrt. Immerhin könnte...

Banken stimmen die Europahymne vorerst nicht an

Von Anna Sleegers, FrankfurtMit dem Bekenntnis der spanischen Großbank BBVA, den heimischen Wettbewerber Banco Sabadell übernehmen zu wollen, ist die Konsolidierungsfantasie an den Markt zurückgekehrt. Immerhin könnte sich auf der Iberischen Halbinsel derzeit nach Caixabank/Bankia und Unicaja/Liberbank bereits der dritte Zusammenschluss anbahnen. Kommt sie jetzt also, die lange erwartete Bankenkonsolidierung in Europa?Die Rahmenbedingungen sprechen dafür. Da ist zum einen der enorme Investitionsbedarf, der sich aus der veralteten IT vieler europäischer Banken ergibt und der durch die Filialschließung und den Umzug der Beschäftigten ins Homeoffice noch an Dringlichkeit gewonnen hat. Eine Kennzahl, an der sich diese Notwendigkeit ablesen lässt, ist die Aufwand-Ertrags-Quote, die sich laut der Studie “European Banks: New M&A Wave” des Analystenteams um Magdalena Stoklosa von Morgan Stanley Research seit dem Ausbruch der Pandemie in Europa deutlich erhöht hat. Besonders schmerzhaft spüren das die irischen und die deutschen Banken, die mit 76,5 % und 76,6 % gemessen an ihrem Ertrag die mit Abstand höchsten Kosten mit sich herumschleppen.In Spanien, das zu den Ländern mit dem striktesten Lockdown weltweit gehörte, stieg die Aufwand-Ertrags-Quote zwar ebenfalls an, sogar auf den höchsten Wert seit 2008. Dieser lag mit 53 % jedoch in einem Bereich, von dem die hiesigen Institute nur träumen können. Ruinöser WettbewerbFür viele Banken in Europa lohnen sich die hohen Kosten, die mit der Modernisierung der IT-Systeme einhergehen, kaum. Das hat auch mit den negativen Zinsen zu tun, die seit Jahren an den Margen nagen. Noch schwerer wiegt jedoch, dass sich in nahezu allen europäischen Bankenmärkten zu viele Wettbewerber tummeln, um Preise durchzusetzen, mit denen sich substanzielle IT-Investitionen gegenfinanzieren ließen.Auch hier haben die deutschen Banken die Nase vorn, was nicht nur an der speziellen Drei-Säulen-Struktur liegt, sondern auch dem Umstand geschuldet ist, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Auslandsbanken ihre Zelte hierzulande aufgeschlagen haben, um am scheinbar niemals enden wollenden Wirtschaftsboom teilzuhaben.Vereinen die jeweils fünf größten Banken der Eurozone im Durchschnitt 60 % der gesamten Bankassets ihres Heimatmarktes auf sich, sind es in Deutschland gerade mal 31 %, wie die Analysten der Commerzbank auf der Basis der Geschäftszahlen des Jahres 2019 ausgerechnet haben. Die fünf größten spanischen Banken standen schon damals – also ohne die jüngsten Fusionsvorhaben – bereits für 67 % der nationalen Bankassets. Mit Blick auf die Möglichkeit, IT-Investitionen durch Skaleneffekte zu refinanzieren, zehren die spanischen Großbanken aber nicht nur von ihrer starken Position auf dem Heimatmarkt, sondern auch in Übersee. So dürften die wenigsten Banken in Europa über ein derart ausgeprägtes US-Geschäft verfügen wie BBVA, die dort mal eben mehr als 600 Filialen verkauft, um mit dem Verkaufserlös den heimischen Rivalen zu schlucken. Auch der bisherige Marktführer Banco Santander versteht es, die Digitalisierungskosten auf viele Schultern zu verteilen. Mit 6,7 Millionen Kunden ist das Institut die drittgrößte Privatkundenbank in Brasilien, außerdem ist das Institut auch in Mexiko und Chile aktiv.Angesichts ihrer relativen Stärke mit Blick auf den Digitalisierungsgrad, die Kosteneffizienz und ihre Position auf dem Heimatmarkt wäre es den spanischen Großbanken durchaus zuzutrauen, sich als aktiver Part an einer Konsolidierung des europäischen Bankenmarktes zu beteiligen. Die dafür in Frage kommenden Akteure binden die erforderlichen Kapazitäten jedoch lieber, indem sie ihren heimischen Wettbewerbern Avancen machen.Für diese grenzüberschreitende Zurückhaltung gibt es gute Gründe. Denn auch wenn die europäischen Aufseher frühere Vorbehalte gegen grenzüberschreitende Fusionen im Bankensektor nicht bloß aufgegeben haben, sondern das Thema zum Teil sogar aktiv bewerben, ist der Markt viel zu heterogen, um ein solches Vorhaben verlässlich zu planen. Die Bankenmärkte sind nach wie vor national, wenn nicht sogar regional geprägt. Mehr als 80 % der innerhalb der Eurozone vergebenen Kredite entfallen auf Banken, deren Sitz im Heimatmarkt des Kreditnehmers liegt.In einigen Geschäftsbereichen, etwa der Immobilienfinanzierung, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage, um außerhalb der eigenen Landesgrenzen einen Kredit zu beantragen. Die gemeinsame Einlagensicherung wird nach wie vor blockiert, sprich: Von einer Bankenunion kann keine Rede sein. Unterschiedliche RegelnDamit entfällt der triftigste Grund für grenzüberschreitende Fusionen. In einem Markt, in dem die Banken nach wie vor nach 19 verschiedenen Regeln spielen, lassen sich auch mit der neuesten IT keine einheitlichen Dienstleistungsangebote konstruieren, die sich mit geringem Aufwand überall vermarkten ließen. Bis der spanischen Fusionswelle eine europäische folgt, dürften noch Jahre ins Land gehen.