Banken und FinTechs - ein facettenreiches Spannungsfeld

Externe Erwartungshaltungen und kulturelle Besonderheiten laufen auseinander

Banken und FinTechs - ein facettenreiches Spannungsfeld

Von Prof. Dr. Thomas A. LangeVorstandsvorsitzender National-Bank Aktiengesellschaft, und Vorstandsmitglied Bundesverband deutscher Banken e.V.Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seit die Kreditwirtschaft von der ersten Welle der Digitalisierung von Bankdienstleistungen erfasst worden ist. “Banking is essential, banks are not”, lautete das Bill Gates zugeschriebene Postulat für die Zukunft der Finanzwirtschaft. Gemessen an der Klarheit dieser Vorhersage und dem vielerorts anzutreffenden Konsens hinsichtlich ihrer Richtigkeit ist bislang vergleichsweise wenig geschehen. Zwar gehört das Internet heute zum allgemein anerkannten Standard bankbetrieblicher Transaktionsdienstleistungen nicht nur im Retail, sondern auch im Corporate oder Investment Banking, eine grundlegende Veränderung bankbetrieblicher Geschäftsmodelle ist allerdings – auch unter Berücksichtigung neuer Zahlungsdienstleister wie PayPal -bislang nicht zu verzeichnen.Seit rund fünf Jahren rollt die zweite Digitalisierungswelle. Anders als bei der ersten geht es nunmehr um die Entwicklung grundlegend neuer Geschäftsmodelle, die sogenannten FinTechs. Diesmal misst ihr die Kreditwirtschaft einen deutlich größeren Stellenwert bei, denn vor allem das Transaction Banking ist der Gefahr einer Partialsubstitution ausgesetzt. FinTechs brechen einzelne, für sie attraktiv erscheinende Elemente der traditionellen bankbetrieblichen Wertschöpfungskette heraus und ersetzen sie durch neue intelligente Lösungen.Beispiele hierfür sind Online-Kreditvermittler wie das auf Studentenkredite spezialisierte US-Unternehmen Social Finance, Lending Club oder das australische Prospa, das mittelständischen Unternehmen Kredite bis zu einer Höhe von 20000 Dollar anbietet. Aber auch Unternehmen wie das deutsch-amerikanische Start-up Datameer, mit Hilfe dessen Programmdaten aus verschiedenen Internetquellen eingelesen und zur Prävention von Betrug oder Geldwäsche in einen Zusammenhang gesetzt werden können, gehören dazu.Banken wird in diesem Zusammenhang teilweise vorgeworfen, im Wettbewerb mit FinTechs unterlegen zu sein. Der fehlende Mindset, also das Fehlen derjenigen mentalen, sozialen und prozeduralen Rahmenbedingungen, die innovationsfördernd sind, wird häufig als kausal diagnostiziert. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Fehlurteil, denn die Sachverhaltsanalyse beweist, dass sich beim Vorgehen von Banken und FinTechs grundlegende Gegensätze erkennen lassen, die in ihrer Logik den verschiedenen Erwartungen der jeweils unterschiedlichen Share- und Stakeholder geschuldet sind.Das liegt zunächst daran, dass die Erwartungen sowohl der Kunden als auch der Öffentlichkeit gegenüber Banken und FinTechs weit auseinandergehen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Kunden sehr hohe Qualitätsansprüche an Banken haben. Mangelnde Qualität oder unzureichende Verfügbarkeit (Systemausfall) schlagen unmittelbar auf die Reputation des Institutes durch.Demgegenüber sind Kunden der FinTechs oft nachsichtiger. Fehlern wird mit einer größeren Sympathie begegnet, da es sich noch um eine Unternehmensneugründung handelt. FinTechs erstellen ihr Produkt häufig zügig und zunächst mit geringen Anforderungen an die Eigenschaften. Maßgebend ist der First Mover Advantage. Die Optimierung erfolgt anschließend auf Basis stetig eingeholter Kundenreaktionen. Da sich die Kunden als integralen Teil des Innovationsprozesses verstehen, sind sie bei Qualitätsabfällen oder Verfügbarkeitsausfällen oft nachsichtiger.Ein weiteres Beispiel unterschiedlicher Erwartungshaltungen der Share- und Stakeholder von Banken und FinTechs liegt im Umgang mit Kundeninformationen begründet. Banken verfügen über eine Vielzahl unterschiedlicher Kundendaten. Im Hinblick darauf erwarten Kunden von ihren Banken eine umfassende Diskretion. Insofern ist ihre Verwendung stark eingeschränkt. Auch Öffentlichkeit und Datenschützer würden eine offensive Nutzung zumindest skeptisch betrachten. Demgegenüber sind Kunden von FinTechs vielfach entspannter hinsichtlich ihrer Daten und deren Nutzung durch Dritte. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von PayPal oder Android Pay sprechen für sich.Neben den unterschiedlichen Erwartungen von Kunden und Öffentlichkeit sind darüber hinaus auch die Erwartungen der Investoren und Einleger von Banken gegenüber denen der FinTechs unterschiedlich. Investoren und Einleger von Banken sind in der Regel risikoavers. Sie wünschen stabile Erträge. Stabilität und Solidität des jeweiligen Geschäftsmodells sind die typischen Merkmale des jeweiligen Investment Case. Sie werden auch von Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen aufgenommen, die bei bankbetrieblichen Geschäftsmodellen mit ausgeprägter Volatilität entsprechende Bewertungsabschläge vornehmen.Im Gegensatz dazu unterliegt die Finanzierung der FinTechs auch bei kleineren Summen harten, ausschließlich erfolgsabhängigen Auflagen, deren Erfüllung Voraussetzung für weitere Finanzierungsrunden ist. FinTech-Investoren denken deutlich unternehmerischer, denn sie sind nicht dem Erhalt eines bestehenden, teilweise sogar systemrelevanten Geschäftsmodells mit komplexer Vernetzung und vielschichtigem Risikoprofil verpflichtet. Zugleich sind sie stärker innovationsgetrieben, was sie höhere Risiken eingehen lässt beziehungsweise eingehen lassen muss.Aber nicht nur die Erwartungshaltung von Kunden, Investoren und Öffentlichkeit, also eher exogene Einflussfaktoren, sondern auch kulturelle Besonderheiten, also endogen geprägte Faktoren, spielen eine Rolle. Banken sind im Vergleich zu FinTechs (oberhalb der Schwelle von kleinen und mittleren Unternehmen – KMU) durch eine strenge Regulierung mit detaillierten Prozessanforderungen und umfangreichen Dokumentationsnotwendigkeiten, eine grundsätzlich konservative Geschäftsausrichtung sowie vielschichtige Profile unterschiedlicher Einzelrisiken mit undifferenziert konfigurierten und vernetzten Mechanismen der Spartensteuerung (Connectivity) gekennzeichnet. Die Folge ist eine eher innovationsunfreundliche Unternehmenskultur. Dies vor allem deshalb, weil Banken dazu neigen, neue Herausforderungen in die Hände vorhandener (bewährter) Mitarbeiter zu legen, eine Verfahrensweise, die es systemisch gerade in sich trägt, neue Lösungsansätze im Sinne von “out of the box” nicht zu begünstigen.FinTechs hingegen arbeiten mit dem Spirit des Newcomers und können sich Teams nach den jeweils benötigten Kenntnissen und Fertigkeiten zusammenstellen. Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsbefugnisse spielen dabei in der Regel keine Rolle. Eine deutlich stärker leistungsbasierte und an der Entlohnung mit Unternehmensanteilen orientierte Vergütungssystematik bei FinTechs führt zudem zu einem starken Zusammenhalt im Team und erschwert die Abwanderung talentierter Angestellter. Das begünstigt zugleich eine höhere Motivation, die bei Banken, insbesondere vor dem Hintergrund des historisch einmalig niedrigen Zinsniveaus und der damit verbundenen Restrukturierungsnotwendigkeiten, ohnehin dem einen oder anderen Belastungstest ausgesetzt ist.Angesichts der unterschiedlichen Erwartungen der jeweiligen Share- und Stakeholder von Banken und FinTechs wird sich die Finanzwirtschaft mehr denn je damit auseinandersetzen müssen, wie sie mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgeht. Schon heute werden in einer Reihe von Instituten systematisch die FinTech-Märkte mit dem Ziel analysiert, attraktive Geschäftsmodelle zu identifizieren und durch Co-Investments zu binden. Das mag für einen überschaubaren Zeitraum von einigen Jahren der strategisch richtige Ansatz sein, um Innovationsgehalt und -geschwindigkeit von FinTechs messen und beurteilen zu können. Am Ende wird aber die Frage zu beantworten sein, ob die durch den digitalen Wandel ausgelöste Betroffenheit der Finanzwirtschaft eine “schöpferische Zerstörung” im Schumpeter’schen Sinne nach sich ziehen wird oder nicht.Während sich bei Vertrieb und Beratung Chancen und Risiken der Digitalisierung die Waage halten, sind Transaktionsmodelle herausgefordert. Soweit die Funktion der Risikotransformation betroffen ist, wird sich an der Dominanz der Banken voraussichtlich wenig ändern. Somit dürfte die auf den ersten Blick bestehende Divergenz bank- und FinTech-basierter Geschäftsmodelle letztlich in eine Konvergenz derselben münden. Ob das der Erwartung der jeweiligen Share- und Stakeholder entspricht, ist allerdings offen.