„Banken werden wieder kollektiv am Abgrund stehen“
Im Interview: Pirmin Hotz
„Banken werden wieder kollektiv am Abgrund stehen“
Der Schweizer Vermögensverwalter erklärt, warum er von UBS-Aktien die Finger lässt, welche Trugschlüsse an der Börse drohen und was er von Gurus hält
Von Daniel Zulauf, Zürich
Diversifikation ist für Pirmin Hotz das zentrale Kriterium für den langfristigen Börsenerfolg. Doch in den Portefeuilles des Schweizer Vermögensverwalters hat nicht jede Branche Platz. Bank-, Automobil- und Airline-Aktien werden seit etwa zehn Jahren ausgeschlossen. Die Titel halten langfristig nicht mit dem Durchschnitt des Marktes mit, glaubt er.
Herr Hotz, wie wird das neue Börsenjahr?
Die Frage habe ich befürchtet. Ich weiß ebenso wenig wie alle anderen, wie die Zukunft aussieht, und bin ehrlich gesagt froh darüber.
Und das sagen Sie auch Ihren Kunden, die Ihnen ihr Vermögen anvertrauen, damit Sie es mehren?
Klar. Aber ich sage ihnen auch, dass ich mich gut auskenne mit intelligenten und wissenschaftlich erprobten Methoden, mit denen man diese Unsicherheit bewältigen kann.
Und wie machen Sie das?
Ich investiere nur in Anlagen, denen ein ökonomischer Wertschöpfungsprozess zugrunde liegt. Und eine solide Diversifikation der Anlagen ist zentral für den langfristigen Börsenerfolg. Ein durchschnittliches Aktienportefeuille enthält etwa 50 Titel – aufgeteilt nach Branchen, geografischen Regionen und anderen Kriterien. So kommt man langfristig auf eine Durchschnittsrendite von 7% bis 9% pro Jahr – je nach Beobachtungszeitraum. Das belegen die historischen Performance-Analysen, wie sie die Bank Pictet seit 1926 oder die drei Finanzmarkthistoriker Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton über eine Periode von 122 Jahren nachweisen.
Die Schweizer Börse hat 2023 unterdurchschnittlich abgeschnitten – vor allem wegen Roche. Manche Risiken lassen sich nicht wegdiversifizieren.
Ihr Beispiel zeigt sehr gut, warum eine gute Diversifikation wichtig ist. Gerade weil wir nicht wissen, welche Aktien im nächsten Jahr die besten sein werden, ist es wichtig, dass wir die Risiken ausdiversifizieren. Wüssten wir, dass im kommenden Jahr Novo Nordisk und Eli Lilly noch einmal alle anderen Pharmatitel in den Schatten stellen werden, dann müssten wir uns natürlich ganz auf diese beiden Titel konzentrieren und Roche, Novartis, Pfizer oder Merck beiseitelassen.
Folgt aus einer Diversifikation, dass man auch Aktien kaufen muss, die man gar nicht gut findet?
Nein. Es gibt auch Ausschlusskriterien. Vor etwa zehn Jahren entschlossen wir uns, keine Airline-, Automobil-und Bankaktien mehr zu halten. Wir mussten uns eingestehen, dass diese Branchen in einer langen Frist nicht mit dem Durchschnitt des Marktes mithalten können. Es sind Branchen, in denen der Wettbewerb verhindert, dass langfristig Aktionärswert geschaffen werden kann.
UBS hat sich mit der Credit Suisse (CS) ein Schnäppchen einverleibt. Verpassen Sie nicht eine große Gelegenheit?
Banken werden in einer nächsten Krise wieder kollektiv am Abgrund stehen. Darum meiden wir die Aktien dieser Branche generell. Die Banken haben viel zu wenig Eigenmittel. Auch das ganze Bonussystem in den Großbanken ist mir suspekt.
Der schwedische Investor Cevian prophezeit UBS eine Kursverdoppelung.
Natürlich hat UBS jetzt eine große Chance, sich viel Credit-Suisse-Geschäft einzuverleiben. Aber Cevian ist für uns kein Grund, auch einzusteigen. Aktivistische Investoren sind Spekulanten, wir spekulieren nicht, sondern investieren langfristig. UBS wird erst noch beweisen müssen, dass die CS-Übernahme der große Hit war.
Diversifikation verhindert vielleicht Abstürze, aber sie verhindert doch auch Spitzenresultate.
Jedes diversifizierte Portefeuille enthält auch immer Titel, die schlechter laufen. Aber nehmen Sie das Beispiel von Martin Ebner ...
... ein schillernder Schweizer Bankier ...
... er war in den 1990er Jahren ausgesprochen erfolgreich mit seiner Strategie, auf ganz wenige Titel zu setzen. Ich hatte ihn drei- oder viermal in Zürich getroffen. Er lachte über meinen konsequenten Diversifikationsansatz. Er sagte mir: Wir wissen doch genau, welche Titel wir kaufen müssen. Wir kaufen drei oder vier Aktien – Roche war eine, ABB eine andere –, von denen wir so viel wissen, dass wir auf den Markt immer einen Vorsprung haben und besser sind.
Aber dann ging Ebner fast pleite.
Genau. 2001 platzte die Dotcom-Blase. Im September des gleichen Jahres kam es zum Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center. Die Märkte brachen um mehr als 40% ein. Ebner kollabierte komplett – aus zwei Gründen: Weil er seine Anlagen nicht diversifiziert hatte und weil er zu viel Fremdkapital einsetzte. Das Beispiel Ebner beweist, dass irgendwann jeder Guru zum Opfer von Selbstüberschätzung wird.
Wann überschätzt sich ein Investor?
Das ist der Kernpunkt, warum ich so gern sage, dass ich ein wissenschaftsbasierter Vermögensverwalter bin. Ich habe meine Dissertation über die Portfoliotheorie von Harry Markowitz geschrieben, der übrigens erst kürzlich mit 95 Jahren verstorben ist. Viele lachen heute über diese Theorie, die im Grunde nichts anderes sagt, als dass die Märkte unglaublich schnell und effizient darin sind, neue Informationen zu verarbeiten und in die Kurse von Aktien, Obligationen und allen anderen börsengehandelten Wertschriften einzupreisen. Weil das so schnell geht, kommen selbst Profis immer zu spät.
Aber ein Profi ist doch kein Profi, wenn er immer zu spät kommt.
Doch, damit müssen wir leben. Aber die Ebners und all die Hedgefondsmanager dieser Welt, die alle mehr oder weniger Guru-Status genießen, stehen am Morgen auf und glauben, sie wüssten mehr als die anderen. Markowitz hat mir in jungen Jahren Bescheidenheit beigebracht. Ich sah, dass sich jede Bank mit ihren besten Analysten, Produkten und Prognostikern hervorzutun versuchte. Ich habe gelernt, dies als komplette Selbstüberschätzung zu entlarven, und weiß inzwischen, dass dies die Krankheit aller vermeintlichen Gurus ist.
Warren Buffett ist auch ein Guru, aber ein erfolgreicher.
Sie haben recht. Warren Buffett ist wirklich eine Legende. Aber Buffett ist trotzdem kein Vorbild für mich – heute noch weniger als früher. Erstens investiert er fast ausschließlich in amerikanische Titel. Zweitens hat er ein großes Gewicht bei Aktien von Versicherungen und Banken. Vor allem aber repräsentiert drittens seine Apple-Beteiligung etwa die Hälfte seines ganzen Anlagevermögens. Das widerspricht vollständig meinem Prinzip. Auch Apple ist kein unverletzliches Unternehmen.
Wie sieht es denn mit Aktien einzelner Firmen aus? Wie lange schaut man dem Niedergang zu?
Solche Entscheidungen zu treffen ist viel schwieriger, als eine ganze Branche zu meiden. General Electric war bis in die 1990er Jahre eine Ikone im amerikanischen Aktienmarkt. Alle mussten diesen Titel haben – auch wir. Aber dann kam allmählich der Niedergang. Die Trennung von den Papieren war extrem schwierig, denn je tiefer eine Aktie fällt, desto größer wird das Potenzial einer Kurserholung. Aber das können trügerische Momente sein, denn das Risiko ist extrem hoch. Nicht immer funktioniert eine Sanierung so gut wie damals vor gut 20 Jahren im Fall von ABB. Wer auf eine Aktie setzt, die 80 Prozent verloren hat, verhält sich im Prinzip wie ein Casinogänger, der am Roulettetisch auf Rot oder Schwarz setzt.
Das Interview führte Daniel Zulauf.
Zur Person
Pirmin Hotz, 63, dissertierte an der Universität St. Gallen zur Portfolio-Theorie von Harry Markowitz, der 1990 mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Viele Banken in der Schweiz und in Deutschland waren empfänglich für die moderne Theorie und engagierten den jungen Doktoranden aus Zug als Ausbilder für ihre Kundenberater. 1986 gründete er seine nach ihm benannte Vermögensberatungsfirma, die inzwischen 25 Mitarbeitende zählt. 2021 verfasste er unter dem Titel „Über die Gier, die Angst und den Herdentrieb der Anleger“ (FinanzBuch Verlag, München) ein umfangreiches Buch über Anlagestrategien.