Regionalanalyse

Bankgeschäft in Osteuropa bietet Wachstumspotenzial

Westeuropäische Banken sind Platzhirsche in Osteuropa und beteiligen sich dort an der Branchenkonsolidierung. Den Instituten winken gute Wachstumschancen.

Bankgeschäft in Osteuropa bietet Wachstumspotenzial

Führende westliche Kreditinstitute in Zentral- und Osteuropa (CEE) haben ihren Beitrag zur Überwindung der Covid-19-Krise geleistet. Das zeigen zweistellige Bilanz- und Kreditwachstumsraten in Zentral- und Südosteuropa (CE/SEE). Es gibt keine Anzeichen von Bilanzabbau wie nach der globalen Finanzkrise. Kreditwachstum wie in den letzten zwölf bis 24 Monaten war – wenn überhaupt – nur in der „Osteuropa-Bonanza“ im Vorfeld der globalen Finanzkrise erkennbar. Damals tummelten sich noch mehr westliche Banken in CEE, darunter auch die Commerzbank. Diese hat sich 2021 mit dem Verkauf des Ungarngeschäfts an die Erste Group noch mehr auf den Heimatmarkt fokussiert. Diese Transaktion ist spiegelbildlich für Branchentrends in CEE. Führende westeuropäische CEE-Banken nehmen aktiv an der regionalen Marktkonsolidierung teil, verstärken sich gezielt. Die Raiffeisen Bank International (RBI) kaufte in Tschechien und Serbien zu.

Platzhirsche aus Westeuropa

Westeuropäische Kreditinstitute sind weiter die Platzhirsche in CE/SEE, auch wenn sich einige teils grenzüberschreitend tätige lokale Champions etablieren wie die ungarische OTP Bank, die slowenische NLB, die rumänische Banca Transilvania oder Moneta in Tschechien. Dennoch verfügen die drei führenden großen paneuropäischen CEE-Banken – Erste, RBI, Unicredit – zusammen über Marktanteile von 20 bis 30% in CE/SEE. Jüngste Bilanzdaten zeigen auch: Die beiden größten Kreditgeber in CEE sind zwei österreichische paneuropäische Banken, nämlich Erste Bank und RBI. Sie sind die einzigen westlichen Kreditgeber mit Aktiva von mehr als 100 Mrd. Euro in CEE (ohne Türkei).

Durch eine solide Kreditvergabe haben Banken zum V-förmigen Aufschwung in der Region CE/SEE mit BIP-Wachstumsraten im Bereich von 5 bis 6% beigetragen, nach geringeren Rückgängen der Wirtschaftsleistung im Vergleich zu Westeuropa im Krisenjahr 2020. Dies begünstigte niedrige Risikokosten. Der Anteil notleidender Kredite in der Gesamtregion CEE ist heute signifikant niedriger als vor der Covid-Krise. Die NPL-Quote liegt in der Region bei knapp 6%. Ohne Märkte wie Russland oder die Ukraine liegen die NPL-Quoten in CE/SEE zwischen 2 und 4%. Das sind Kennziffern wie in Westeuropa, aber mit anderem Ertragspotenzial versehen. Die Eigenkapitalrendite im CEE-Banking im Aggregat ist 2021 und Anfang 2022 wieder zweistellig.

Derzeit stehen im CEE-Banking alle Zeichen auf Expansion, Konsolidierung sowie Rückbesinnung auf die Märkte zu Beginn der Ostexpansion vor 20 Jahren. Alle großen westlichen CEE-Banken weisen ein Kredit-Einlagen-Verhältnis von 70 bis 80% auf. Nun geht es darum, Einlagen in renditetragende Aktiva zu kanalisieren. Die regionale Zinslandschaft ist attraktiv. Die rasche Erholung hat zu Inflationsraten deutlich über dem Niveau des Euroraums geführt, denen regionale Notenbanken aktiv entgegenwirken. Die Leitzinsen in der Region liegen derzeit bei 2 bis 4% (Rumänien, Ungarn, Tschechien) bzw. im Bereich von 9 bis 10% (Russland, Ukraine). Auch die M&A-Aktivität hat beachtlich zugenommen. In den vergangenen zwölf bis 18 Monaten waren Aktiva von 34 Mrd. Euro Gegenstand von M&A-Vereinbarungen.

Der russische Bankensektor stellte auch im Jahr 2021 eine Ertragsperle dar. Die Profitabilität war die höchste seit 2007/2008. Dennoch agieren westliche Banken hier bzw. in der Region Osteuropa (Russland, Ukraine, Belarus) schon länger umsichtig und als risikodisziplinierte Nischenspieler. Derzeit ist die RBI die führende westliche Bank in Russland. Hier liegt die Raiffeisenbank mit einem Marktanteil von 1,3% leicht vor Société Générale und Unicredit (1,2 bzw. 1,0%). Unter Einberechnung internationaler Geschäfte sind Société Générale und Unicredit etwas größere Russlandspieler.

Einfluss der Geopolitik

Allerdings erreichte das aggregierte Engagement westlicher Banken gegenüber der Region Osteuropa und vor allem Russland 2021 den niedrigsten relativen Stand der letzten zwei Dekaden. Der Bezug zur Geopolitik ist klar, der relative Abwärtstrend hat sich von 2014 bis 2016 verschärft. In diesem Zeitraum sank der relative Anteil der osteuropäischen Märkte an den westlichen Banken-Exposures in der gesamten CEE-Region von 22 auf 14% und liegt nun bei 11%. Auf Russlands Bankenmarkt entfallen 9% der CEE-Exposures westlicher Banken. Das klingt beachtlich, muss aber in einen größeren Kontext gestellt werden. Westliche Banken haben in der Slowakei etwa die gleichen Vermögenswerte im Einsatz wie in Russland, das BIP der Slowakei macht aber nur 6 bis 7% der Wirtschaftsleistung Russlands aus.

Derzeit prägen außerordentliche geopolitische Risiken das Russlandgeschäft. Westeuropäische Banken haben hier in Summe noch circa 100 Mrd. Euro an Geschäften ausstehend. Neben gezielter Sanktionierung einzelner russischer (Staats-)Banken und Firmen stehen wegen der Ukrainekrise auch sektorale Finanzsanktionen im Raum. Da die in Russland tätigen westeuropäischen Banken bzw. ihre lokalen Töchter viele Geschäfte für Europas Realwirtschaft abwickeln, erwarten wir – wenn nötig – eine gezielte Sanktionierung russischer Banken.

Selbst ein gezielter Ausschluss einzelner russischer (Staats-)Banken aus dem Swift-System, wenn nötig, auch von weiten Teilen des Bankensektors in einem eher unwahrscheinlichen kompletten Eskalationsszenario in der Ukraine, wäre unter Inkaufnahme hoher Friktion verkraftbar. Ohne Sanktionierung der russischen Notenbank und des Euro-Rubel-Clearings sollten die europäischen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland finanziell halbwegs geordnet abgewickelt werden können.   

Aktiva auf Höchststand

Im Lichte geoökonomischer Risiken ist Zentraleuropa derzeit der Gewinner im Hinblick auf eine wieder zunehmende Bedeutung im CEE-Bankgeschäft. Wir sehen diesen Trend als Ausdruck soliden Wachstums in Tschechien und der Slowakei sowie einer Wiederbelebung des ungarischen Marktes. Die Engagements in Polen bewegen sich weder nach oben noch nach unten. In Summe liegen die Aktiva westlicher Banken in den CE-Ländern im Verhältnis zu den gesamten CEE-Engagements derzeit auf dem höchsten Stand seit 2004 (70% des Gesamtvolumens), während wir in SEE (circa 20%) leicht unter historischen Höchstständen bleiben und Osteuropa – wie zuvor skizziert – mit circa 10% weit unter historischen Höchstständen liegt.

Im Massengeschäft sieht es so aus, als würden westliche Banken dorthin zurückkehren, wo sie ihre Ostexpansion begonnen haben. Die CE-Märkte haben ihre relative Attraktivität bewahrt. Wir sehen heute im Gegensatz zu Erwartungen in den 2000er-Jahren keine weiteren bzw. raschen Euro-Einführungen über Kroatien und Bulgarien hinaus bis zum Ende dieses Jahrzehnts, was die Attraktivität der Bankenmärkte aufrechterhalten wird. In Südosteuropa sehen wir einen Fokus auf die Märkte Serbien und Rumänien, wobei die Zinslandschaft hier derzeit noch etwas weniger attraktiv ist als in Zentraleuropa. Langfristig gibt es hier aber noch viel Wachstums- und Konsolidierungspotenzial für westeuropäische Banken.