Baubranche tut sich noch schwer mit digitalem Arbeiten

Die digitale Arbeitsmethode BIM ist bald verbindlicher Standard, aber noch ist die Zurückhaltung bei Planern und Baufirmen groß

Baubranche tut sich noch schwer mit digitalem Arbeiten

Die deutsche Bauwirtschaft boomt aktuell, schöpft ihre Möglichkeiten allerdings bei weitem nicht aus. Verglichen mit der Automobilbranche oder dem Maschinenbau hat die Branche einen erheblichen Produktivitätsrückstand. Eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 2018 sieht einen der wesentlichen Gründe dafür in dem “schleppenden Fortschritt” bei der Digitalisierung. Die Experten sehen den Digitalisierungsgrad der Planungs- und Baubranche auf einem Level mit der Gastronomie oder der Landwirtschaft. Statistische Tatsache ist, dass die Produktivitätsfortschritte im deutschen Baugewerbe seit Jahrzehnten deutlich unter denen der Gesamtwirtschaft liegen.Warum nutzt eine Schlüsselindustrie im Zeitalter der allumfassenden Digitalisierung ihre digitalen Chancen nicht ausreichend und arbeitet zu wenig vernetzt? Dies hat sicher mit Eigenheiten wie der starken Fragmentierung von Planungsbüros und Baufirmen und auch mit dem vergleichsweise geringen Globalisierungsgrad zu tun. Die Zurückhaltung könnte für einige Akteure jedoch bald zu einem Problem werden.Ab dem Jahr 2020 schreibt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in Umsetzung einer EU-Richtlinie die Nutzung des Building Information Modeling (BIM) als Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland verbindlich vor. BIM bezeichnet die Arbeitsmethode, Bauwerke anhand eines konsistenten, virtuellen Modells über ihren gesamten Entstehungsprozess mit allen relevanten Informationen abzubilden. Auf diese Weise können Planungsfehler vermieden, Prozesse beschleunigt und Kosten gesenkt werden.Der Bund sieht damit die digitale Vernetzung aller am Bau Beteiligten nicht nur als Chance, sondern als Notwendigkeit, um effizientes und kostengünstiges Planen, Bauen und Verwalten von Immobilien zu ermöglichen und international Schritt zu halten. In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Finnland, Norwegen, Dänemark oder den Niederlanden hat der BIM-Standard bei öffentlich finanzierten Bauten bereits heute Gültigkeit. Nicht ausreichend vorbereitetDas Problem ist: Bislang sind noch zu viele deutsche Unternehmen auf diese Herausforderung nicht ausreichend vorbereitet. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts nutzten 2015 nur etwa 29 % aller Akteure der deutschen Baubranche BIM für 2-D- und 3-D-Modelle. Bei “BIM 4D”, in dem das detailgetreue Bauwerksmodell zusätzlich mit der Zeitplanung verknüpft wird, sind es sogar nur 6 %.Anlass für die verschiedenen Disziplinen im Bauwesen, enger zusammenzuarbeiten und Modelle auszutauschen, gibt es auch abseits gesetzlicher Vorschriften genug. Bauvorhaben werden aufgrund wachsender Regulierung und steigender Ansprüche der Bauherren immer komplexer. Prominente Projekte wie die Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 zeigen, wie sehr Großvorhaben aus dem Ruder laufen können – sowohl zeitlich als auch finanziell. Allein die Zahl der Bauvorschriften hat sich dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen zufolge seit dem Jahr 1990 mehr als vervierfacht. Die Vorgaben reichen von den Bereichen Lärm- und Brandschutz bis hin zur Energiesparverordnung und Barrierefreiheit.Mit seinen einzelnen Planungsebenen verschafft BIM sämtlichen Beteiligten – das Spektrum reicht von Architekten, Ingenieuren, Bauunternehmen, Zulieferern, Handwerksbetrieben bis zu Facility-Managern – einen stets aktuellen und aussagekräftigen Überblick über alle Phasen und Prozesse eines Bauprojektes. Vor allem die BIM-Dimensionen 4D (Bauzeitenplanung) und 5D (Baukostenplanung) führen zu höherer Effizienz und Transparenz. Gravierende Fehlkalkulationen in Bezug auf Planung und Umsetzung werden so deutlich minimiert. “Open BIM” als StandardDabei ist zu hoffen, dass sich “Open BIM” als Standard langfristig durchsetzen wird. Denn das volle Potenzial entfaltet die Arbeitsmethode erst dann, wenn sie unabhängig von Softwarelösungen einzelner Anbieter realisiert wird und “open”, also anbieter- und schnittstellenübergreifend, genutzt werden kann. Nur auf diese Art können alle Beteiligten garantiert miteinander kommunizieren und sich sozusagen “barrierefrei” vernetzen. Mit Insellösungen aufgrund inkompatibler Softwaretools wäre dagegen niemandem geholfen.Doch wie die Digitalisierung insgesamt hat auch BIM keine Top-Priorität in der deutschen Baubranche. Eine Roland-Berger-Studie aus dem Jahr 2016 ergab: 23 % der befragten Architekten stimmten “voll und ganz” sowie 45 % “überwiegend” zu, dass Unternehmen, die sich nicht mit BIM beschäftigen, negative Folgen erfahren werden. Bei den Baufirmen hingegen waren es lediglich 15 %, die dieser These “voll und ganz” sowie “überwiegend” zustimmten.Schon im aktuellen Bauboom stößt die Branche an ihre Kapazitätsgrenzen, dabei bleibt der Bedarf riesig: Die Wohnungsnot in urbanen Zentren bestimmt beinahe täglich die Schlagzeilen, und die Politik hat endlich begonnen, Infrastrukturdefizite wie marode Straßen und Brücken als Hindernis Deutschlands im internationalen Wettbewerb zu erkennen. Das Bundesbauministerium schätzt allein den Bedarf an neuen Wohnungen auf 400 000 pro Jahr. Die Frage ist, wie dieser immense Kraftakt in den kommenden Jahren mit einer unterdurchschnittlichen Produktivitätsentwicklung bewältigt werden soll. Auswirkungen ungleich größerDie Planungs-, Bau- und Immobilienbranche muss ihre digitale Entwicklung also dringend beschleunigen. Im Container auf der Baustelle sollte nicht länger das Klemmbrett, sondern das iPad regieren. Andernfalls könnte im Jahr 2020 ein ähnliches Szenario wie bei der seit Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung drohen: Obwohl lange angekündigt, wurde sie von vielen Unternehmen offenbar nicht ausreichend ernst genommen. Als sie in Kraft trat, hatten viele Firmen Probleme, die Anforderungen rechtzeitig zu erfüllen. Der Unterschied beim Thema BIM ist jedoch, dass die volkswirtschaftlichen Auswirkungen ungleich größer wären.—-Patrik Heider, Vorstandssprecher der Nemetschek Group