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Bei den Kreditgenossenschaften grassiert die Fusionitis

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 21.6.2018 "Herzlich willkommen bei Ihrer neuen Volksbank!" So werden die 140 000 Kunden, soweit sie online Kontakt aufnehmen, auf der frisch renovierten Homepage der Vereinigten Volksbank eG Saarlouis...

Bei den Kreditgenossenschaften grassiert die Fusionitis

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt”Herzlich willkommen bei Ihrer neuen Volksbank!” So werden die 140 000 Kunden, soweit sie online Kontakt aufnehmen, auf der frisch renovierten Homepage der Vereinigten Volksbank eG Saarlouis – Sulzbach/Saar (VVB) empfangen. Wieder haben es zwei getan, diesmal die Vereinigte Volksbank in Sulzbach/Saar und die Volksbank Westliche Saar plus in Saarlouis. Mit 1,9 Mrd. Euro Bilanzsumme kommt das Institut, das 59 000 Mitglieder zählt und 458 Menschen beschäftigt, nahe an die Top 100 unter den 915 Primärbanken heran, die der Volks- und Raiffeisenbankenverband BVR auflistet. Die Wurzeln der seit dem vorigen Wochenende nicht nur rechtlich, sondern nun auch technisch vereinten Bank, deren beide Vorläufer wiederum jeder für sich auf eine Reihe von Zusammenschlüssen zurückblicken, reichen bis ins Jahr 1904. Doppelt hält besserDie Kräftebündelung im Saarland ist alles andere als von akuter wirtschaftlicher Not getrieben. Die Partner gelten als kerngesund, handeln aus einer Position der Stärke und haben in den vergangenen Jahren überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Die Vereinigte Volksbank Sulzbach/Saar zum Beispiel betont im Geschäftsbericht 2017, dass sie mit Betriebsergebnissen von 1,23 % und 1,34 % der durchschnittlichen Bilanzsumme vor respektive nach Bewertung auch bundesweit zu den rentabelsten Volksbanken gehöre. Die Gründe dafür, sich nach dem Motto “Doppelt hält besser” dennoch zusammenzutun, unterliegen nicht dem Bankgeheimnis. Schon bei Ankündigung der Fusion vor gut einem Jahr war auf die Zinspolitik der EZB, die die Ertragslage gerade von Retailbanken enorm belaste, die überbordende Regulatorik, die Digitalisierung und den verschärften Wettbewerb verwiesen worden. Im gegebenen Umfeld haben die Genossen im kleinsten deutschen Flächenland von langer Hand darauf hingearbeitet, sich durch organisches Wachstum und Zusammenschlüsse “so zu positionieren, dass letztlich eine Volksbank entsteht, die den Anforderungen der Zukunft in jedem Fall gewachsen sein wird”, so der Vorstandsvorsitzende Mathias Beers. Durch die jetzige Fusion entstehe eine weiterhin in der Region verwurzelte Bank, die dank ihrer Größe und ihres Marktauftritts für die Anforderungen des Wettbewerbs und des Gesetzgebers bestens gerüstet sei.Die Saarländer sind mit ihrem Schritt im Verbund der Kreditgenossenschaften in guter und zahlreicher Gesellschaft. Allein in den beiden vergangenen Jahren gaben bundesweit gut 100 Institute dieser Gruppe ihre Eigenständigkeit auf. Dutzende weiterer Häuser haben sich das Ja-Wort gegeben, arbeiten aber noch an der Umsetzung. Zuweilen wird freilich auch mal eine Fusion abgeblasen, weil die Gremienmitglieder kalte Füße bekommen oder weil es Widerstand seitens der Mitglieder beziehungsweise der Vertreter gibt. So geschehen im April in Niedersachsen, wo die Volksbanken Hildesheim-Lehrte-Pattensen und Hildesheimer Börde schon die Verlobung gefeiert hatten, den Bund fürs Leben dann aber doch nicht eingingen.Für historisch Interessierte: 1925 gab es in Deutschland fast 23 000 Kreditgenossenschaften, deren jeweilige “Region” etwa von einer Milchkanne bis zur nächsten reichte. 1960 waren es laut Bundesbankstatistik im Westen noch 11 600 Volks- und Raiffeisenbanken, Sparda- und PSD-Banken. Mehr als neun von zehn Instituten sind seither verschwunden, während sich die durchschnittliche Bilanzsumme allein in der zurückliegenden Dekade auf nahezu 1 Mrd. Euro fast verdoppelt hat. Die Fusionitis grassierte also, lange bevor das Trio infernal aus Null- und Negativzinsen, Regulierung und Digitalisierung den Kreditgenossen – wie auch den Sparkassen und kleineren Privatbanken – das Leben schwer machte. Die Märkte und die Kundenbedürfnisse haben sich ja seit dem Zeitalter der genossenschaftlichen Urväter Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch auch früher schon mal verändert. Aber der Druck ist durch die jüngeren Entwicklungen natürlich ungleich stärker geworden. Armin Pabst, damals Chef der seit zehn Tagen mit der Frankfurter Volksbank verschmolzenen Volksbank Griesheim, hat es im vorigen Jahr auf den Punkt gebracht, als er von der “haarsträubenden Belastung” durch die EZB-Zinspolitik und vom “Moloch Bankenregulierung” sprach, der gerade Minibanken wie der seinen (kaum mehr als 300 Mill. Euro Bilanzsumme, drei Dutzend Mitarbeiter) den Hals zuschnüre. Getriebene der UmständeUnd auch wenn sich die Volks- und Raiffeisenbanken jetzt rasant ihrer 1999 auf einer Mitgliederversammlung in Garmisch-Partenkirchen unter Leitgedanken wie “Bündelung der Kräfte” und “Ein Markt – eine Bank” auf Zehnjahressicht vorgegebenen Orientierungsmarke von bundesweit 800 Kreditgenossenschaften nähern: Sie fusionieren in vielen Fällen eben nicht aus innerer betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit und in freier unternehmerischer Entscheidung, sondern als Getriebene der äußeren Umstände. Wenn sogar Institute, die vor Ertrags- und Kapitalkraft kaum laufen können, in der Eigenständigkeit keine Zukunft mehr sehen, gewinnt man doch den Eindruck, dass etablierte und bewährte Strukturen ohne Not zerstört werden. Von der Politik geplante regulatorische Entlastungen kommen für die betroffenen Häuser zu spät.